Egils Levits war 15 Jahre lang Richter am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg.

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Noch spekuliert die Welt darüber, welche Folgen die russische Erklärung über die Annexion von vier ukrainischen Gebieten in praktischer und militärischer Hinsicht haben wird. Was jedoch die rechtlichen Aspekte betrifft, so herrscht weitgehend Klarheit: "Gar keine", wie es der lettische Präsident Egils Levits am Freitag im Gespräch mit dem STANDARD und der Austria Presse Agentur auf den Punkt brachte.

"Die Erklärung ist völkerrechtlich und aus Sicht des ukrainischen Verfassungsrechts absolut nichtig", sagte der Jurist, der auf Einladung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs zu einer Tagung in Wien war. Man könne Gebiete eines anderen Staates nicht einfach durch Scheinreferenden annektieren, so Levits in Anspielung auf die international nicht anerkannten Abstimmungen: "Auf diese Art kann man niemanden betrügen. Vielleicht betrügt sich Russland selbst. Aber selbst das glaube ich nicht, so infantil kann man gar nicht sein."

VIDEO: Putins Rede anlässlich der Annexion.
DER STANDARD

Lettland ist, wie die beiden anderen baltischen Staaten Estland und Litauen, seit 2004 Mitglied der Nato. Dass nun auch Schweden und Finnland dem transatlantischen Bündnis beitreten wollen, sieht Staatschef Levits als "logische Antwort auf die russische Aggression".

Die Nato-Strategie bestehe in "Verteidigung durch Abschreckung". Man müsse "militärisch so stark sein, dass Russland gar nicht daran denkt, anzugreifen", so Levits. Gleichzeitig sei es "auch wichtig, der Ukraine zu helfen, ihre territoriale Integrität wiederherzustellen – damit Russland versteht, dass imperialistische Politik im 21. Jahrhundert keine Früchte bringt".

Wahl am Samstag

In Lettland, wo am Samstag ein neues Parlament gewählt wird, sieht Levits "große Einigkeit bei der Beurteilung der geopolitischen Lage" – im Sinne einer Ablehnung der russischen Aggression gegen die Ukraine. Das gelte auch für weite Teile der russischsprachigen Minderheit:

"Die meisten davon sind lettische Staatsbürger und sehen das genauso", erklärt der 67-Jährige, der während des Kalten Krieges, als Lettland Teil der Sowjetunion war, lange in Deutschland lebte und später unter anderem Botschafter in Deutschland und in Österreich wurde. "Es gibt zwar eine Minderheit innerhalb der Minderheit, die der sowjetischen Besatzungszeit nachtrauert, doch die hat keine Bedeutung." Umfragen sahen die konservative Regierungspartei Neue Einigkeit (JV) in Führung, die Regierungsbildung könnte aber schwierig werden.

Lettland sieht die Aufnahme von Russen, die ihr Land nach Verkündung der Teilmobilmachung verlassen wollen, skeptisch. Ein gutes Viertel der in Lettland lebenden Menschen ist russischstämmig. Etwa zehn Prozent sind keine Staatsbürger, ihr Status ist aber gesetzlich geregelt und gilt nicht als Staatenlosigkeit. Seit 2020 erhalten in Lettland geborene Kinder von Nichtbürgern automatisch die lettische Staatsbürgerschaft. (Gerald Schubert, 30.9.2022)