Nicht nur Wien, hier ein Bild von der Trauerkundgebung am Stephansplatz vom 3. August, wenige Tage nach dem Suizid von Lisa-Maria Kellermayr, herrschte Betroffenheit.

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Der Suizid der oberösterreichischen Ärztin Lisa-Marie Kellermayr im Juli dieses Jahres beschäftigt nun auch den Deutschen Bundestag und den österreichischen Nationalrat. In Berlin brachte Martina Renner, Abgeordnete der Fraktion Die Linke, eine sogenannte Kleine Anfrage an das Bundesministerium für Inneres ein, in Wien die Neos-Abgeordnete Stefanie Krisper eine parlamentarische Anfrage an das Innenministerium.

Die oberösterreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr kritisierte selbst zu Lebzeiten, dass sie von der Polizei im Stich gelassen wurde.
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Auf beide Anfragen liegen nun Antworten vor. Im Großen und Ganzen sind vor allem die aus dem Ministerium von Gerhard Karner (ÖVP) stammenden Antworten dabei mehr ausweichend als aufschlussreich.

Ungelöschter Polizei-Tweet

Krisper wollte vom Innenminister unter anderem wissen, warum ein Tweet der Landespolizeidirektion Oberösterreich, in dessen Folge sich die erste Welle von Hass und Drohungen von Maßnahmengegnern über die Ärztin ergoss, nicht gelöscht wurde – worum Kellermayr nämlich verzweifelt gebeten hatte. Seitens Karners Ministeriums heißt es dazu, der Tweet sei nie gelöscht worden, weil es darin "um die Richtigstellung mehrerer Falschmeldungen, die auf Twitter kursierten", ging und "nicht ausschließlich" um einen Tweet von Kellermayr.

Krisper weist in einer ihren 36 Fragen den Innenminister auch daraufhin, dass er Mitglied einer Regierung sei, die Hass im Netz zu einem "Fokusthema" mit einer einschlägigen Gesetzesnovelle machte. Dass Kellermayr seitens der Polizei geraten wurde, sich "schweigsamer bzw. weniger aktiv auf (sozialen) Medien zu verhalten", wird in der Beantwortung nicht abgestritten: "Als mögliche Maßnahmen in Bezug auf Hassmails wurden der Betroffenen im Rahmen der Beratungen empfohlen, nicht jedes Posting zu teilen bzw. ihre Aktivitäten in den sozialen Medien zu reduzieren, um eine Interaktion mit allfälligen Aggressoren zu vermindern. Die Empfehlung basiert auf Erkenntnissen von Institutionen wie ,Saferinternet.at‘ unter Mitwirkung der Kriminalprävention", heißt es in Karners Antwort.

Fragen nach Hilfsangeboten

Die Ärztin, die monatelang bedroht wurde, beklagte zu Lebzeiten von der Polizei im Stich gelassen zu werden. Die Neos wollten auch deshalb genauer wissen, was von der Polizei unternommen bzw. unterlassen wurde, um der jungen Ärztin, der immer wieder Gewalt und Ermordung angedroht wurde, zu helfen. "Eine genaue Stundenangabe zu den Beratungen ist nicht möglich, weil jede Beratung auch eine entsprechende Vorbereitung und auch Nachbearbeitung erfordert", heißt es in der Beantwortung, "Jedenfalls dauerte das Erstgespräch mit dem örtlich zuständigen geschäftsführenden Bezirkspolizeikommandanten am 30. November 2021 etwa vier Stunden". Die nächste Beratung wird mit "1. Juli 2022 etwa zwei Stunden und das weitere Gespräch am 12. Juli 2022 ebenso etwa vier Stunden" angegeben. Weiters soll es eine telefonische Kontaktaufnahme betreffend "Sicherheit im öffentlichen Raum" am 25. Juli 2022 von etwa 30 Minuten gegeben haben.

Stefanie Krisper von den Neos kritisiert die Anfragebeantwortung von Innenminister Gerhard Karner als "Konglomerat an ausweichenden, vernebelnden und beschönigenden Aussagen".
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Ob Kellermayr, der das "Abschlachten" von ihr, ihren Mitarbeiterinnen und Pateinten angedroht wurde, eine eigene Ansprechperson bei der Behörde hatte, ist ebenfalls Teil des Fragenkatalogs. In der Antwort liest man: "Unter anderem wurde sie darauf hingewiesen, sie möge sofort über den Notruf die Polizei verständigen, wenn es zu irgendwelchen Auffälligkeiten in oder um die Ordination kommen würde."

Wie die Abschiedsbriefe der Frau, die Beamte vorfanden, an ausgewählte Medien gelangte, wird in der Anfragebeantwortung auch nicht erklärt.

Lehren für die Zukunft?

Gefragt zur Aufklärung etwaiger Fehler im Umgang mit der Bedrohungslage oder Lehren für die Zukunft, wird bloß auf die bestehende Grundausbildung der Polizei sowie "Fortbildungen und Trainings, darunter Interviewtrainings, Sprachtrainings, verpflichtende Basis- und Aufbaumodule", hingewiesen.

Auch keinerlei Antwort bekam Krisper auf die Frage, ob man in der Causa mit deutschen Behörden kooperierte, wie viele Fälle von Hass im Netz es seit Beginn der Novelle und wie viele Drohungen und Störaktionen es speziell gegen Kellermayr gab. "Anfragespezifische Statistiken zu Hassbotschaften und Drohungen via Mail oder Social Media werden nicht geführt."

"Der Fall Kellermayr hat für große Betroffenheit gesorgt. Umso wütender macht es, dass die vorliegende Beantwortung durch Innenminister Karner ein Konglomerat an ausweichenden, vernebelnden und beschönigenden Aussagen ist, das uns im Prinzip keinerlei echten Mehrwert liefert", sagt Neos-Sprecherin für Inneres Stephanie Krisper dem STANDARD am Samstag, "die Beantwortung ist ein Charakterbild des Innenministeriums nach vielen Jahren ÖVP: keinerlei Selbstreflexion, keinerlei persönliche oder systemische Konsequenzen und keinerlei echte Anstrengungen, anderen Betroffenen in Zukunft besser helfen zu wollen und professionellen Schutz zukommen zu lassen."

Drohungen gegen Ärzte in Deutschland

Was Drohungen gegen Ärzte und Ärztinnen angeht, bekam Krispers deutsche Kollegin Martina Renner wenigstens in diesem Detail Zahlen auf ihre Anfrage: "Im Jahr 2022 wurden mit Abfragedatum vom 16. September 2022 insgesamt 276 politisch motivierte Straftaten an das BKA gemeldet, die sich gegen Angehörige des Gesundheitswesens gerichtet haben", heißt es da. (Unter Gesundheitswesen werden dabei in Deutschland aber auch Apothekerinnen und Apotheker subsumiert.) Davon waren 29 dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität (PMK) von rechts und drei der PMK von links zugeordnet.

Auch Martina Renner (Die Linke) wollte mehr zum Fall Kellermayr herausfinden.
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Auf die Frage, wann die Behörden erstmals von der Bedrohung Kellermayrs erfahren haben, in der Causa werde schließlich auch gegen deutsche Staatsbürger ermittelt, heißt es in der Anfragebeantwortung aus Berlin: "Das Bundeskriminalamt (BKA) erhielt erstmals am 8. Mai 2022 Kenntnis von einem Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt". Doch erst nach dem Tod der Ärztin, nämlich am 4. August, erhielt das Bundeskriminalamt erstmals Kenntnis, "dass gegen einen deutschen Staatsbürger im Zusammenhang mit einer Bedrohung gegen Frau Dr. Kellermayr ermittelt wird".

Bedroht durch Rechtsextreme

Was den Zusammenhang mit der rechtsextremen Szene angeht, wird man in der von Staatsekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) beantworteten Anfrage viel deutlicher als die österreichischen Kollegen: "Nach Einschätzung des BfV (Bundesamt für Verfassungsschutz, Anm.) ist aktuell eine abstrakte Gefährdungslage für Personen gegeben, die beispielsweise als politischer Gegner von Rechtsextremisten oder auch von Akteuren aus dem Phänomenbereich der "Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates" im Internet verunglimpft bzw. bedroht werden", heißt es da und: "Zu diesem abstrakt bedrohten Personenkreis gehören auch Ärztinnen und Ärzte. Anfeindungen gegen eben diese haben gerade im Zusammenhang mit dem gegen die staatlichen Coronaschutzmaßnahmen gerichteten Demonstrationsgeschehen und der Desinformationskampagnen im Internet durch Extremisten deutlich zugenommen. Auch wenn die Entwicklungen um Frau Dr. Lisa-Maria Kellermayr sicherlich eine extreme Ausprägung der Bedrohungen von medizinischem Personal darstellen, so stellen diese doch eine Zäsur dar und müssen in die Gesamtbewertung der Gefährdungslage mit einbezogen werden." (Colette M. Schmidt 1.10.2022)