Erst Corona, dann Inflation – junge Menschen sind derzeit deutlich weniger zufrieden mit ihren Lebensumständen als ältere Generationen.

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Hofer statt Billa, mehr Nudeln und Gemüse, weniger Fisch, Fleisch und Markenprodukte. Die Inflation merke sie am stärksten bei Lebensmitteln, sagt Sarah Haupt. Die 23-jährige VWL-Studentin lebt in einer Dreier-WG in Wien, neben ihrem Studium hat sie einen Teilzeitjob. "Ich wollte mir das meiste immer selbst finanzieren", sagt sie, ihre Miete, das Essen, das Fortgehen, die Sportkurse. Nun sei sie vielleicht bald wieder auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen.

Sarah Haupt ist nicht die Einzige in ihrem Alter, die sich wegen der steigenden Preise Sorgen macht. Auch in ihrem Freundeskreis sei die Inflation gerade großes Thema. Wie viel mehr ein Fortgehabend kostet, wie viel teurer Einkäufe und Heizen geworden sind. "Das ist wie ein dauerhafter Gedanke im Kopf: Werde ich mir das alles leisten können?"

Unfreiwillig sparen

Es ist das dritte Jahr in Folge, in dem junge Menschen unfreiwillig sparen müssen. Erst wegen den Auflagen der Corona-Pandemie und nun, weil wegen der Teuerung das Geld knapp ist. "Die psychische Belastung nimmt dadurch stark zu", sagt Thomas Moldaschl von der Arbeiterkammer (AK) mit Blick auf die damit verbundenen sozialen Einschränkungen. Dazu kommt, dass die stärkste Inflationswelle seit einem halben Jahrhundert ein für junge Menschen unbekanntes Phänomen ist, was Ängste schürt – besonders, da die Inflation im September mit 10,5 Prozent sogar zweistellige Werte erreicht hat.

Das zeigt sich im AK-Arbeitsklimaindex. Demnach sind Personen unter 25 Jahren deutlich weniger zufrieden mit ihrem Leben sowie ihrem Job als der Durchschnitt. Kein Wunder, schließlich verfügen sie generell über weniger Einkommen, ein Viertel hat nur ein prekäres Arbeitsverhältnis, während das im Mittel in Österreich nur auf neun Prozent der Bevölkerung zutrifft. "Je prekärer die eigene Situation ist, desto stärker wirkt sich die Inflation aus", sagt Moldaschl. Und bringt viel Unsicherheit in die Zukunftsaussichten.

Anderes Konsumverhalten

Dabei sind junge Erwachsene weniger stark vom Preisauftrieb betroffen als ältere Generationen. Daten des Instituts für Höhere Studien (IHS) zufolge lag er für unter 30-Jährige im August mit 8,3 Prozent um einen Prozentpunkt unter der allgemeinen Rate. Die Unterschiede erklärt IHS-Wissenschafter Sebastian Koch mit dem jeweiligen Konsumverhalten, dem Lebensstil und der finanziellen Situation. Wesentlich sei für die individuelle Inflation auch, wie flexibel man auf günstigere Produkte ausweichen oder den Konsum anpassen könne.

Warum die Inflation bei Jüngeren geringer ist? Menschen unter 30 besitzen oft kein Auto und sind damit weniger vom enormen Anstieg der Spritpreise betroffen. Auch für Nahrungsmittel geben Junge anteilig an den Gesamtausgaben weniger aus als ältere Menschen. "Pasta und Reis zählen wahrscheinlich für viele junge Menschen zu den täglichen Grundnahrungsmitteln", sagt Koch. Dafür geben Junge mehr für Essen in Restaurants und Gasthäusern und für Getränke in Lokalen aus – wo die Preiserhöhungen zuletzt recht üppig ausgefallen sind.

Treffen zuhause

Dazu passend berichtet Studentin Haupt, dass in ihrem Freundeskreis kaum jemand ein Auto besitzt. Weil der Sprit so teuer geworden ist, seien mittlerweile viele weitgehend auf öffentliche Verkehrsmittel umgestiegen – was in Städten freilich einfacher ist als in ländlichen Regionen. Auch die Treffen haben sich mittlerweile mehr ins eigene Heim verlagert, sagt Haupt. Dann müsse sie nicht teuer in Lokalen essen und könne Getränke davor günstiger im Supermarkt kaufen.

Experte Koch sieht die stärkste Belastung für junge Menschen durch die Inflation künftig durch steigende Mieten und Heizkosten. Laut Statistik Austria leben rund 82 Prozent der Haushalte mit Menschen unter 30 in Mietwohnungen – mehr als in jeder anderen Altersgruppe. Auch Haupt macht sich mit ihren Mitbewohnern Sorgen hinsichtlich des Winters. Die Mietkosten seien bereits zweimal erhöht worden, auch die Gas- und Stromrechnung für die Altbauwohnung im dritten Bezirk werde höher ausfallen. "Wir haben uns schon darauf geeinigt, dass wir uns in den nächsten Monaten lieber wärmer anziehen, anstatt stark aufzuheizen", sagt Haupt.

Bald höhere Inflation

Junge Menschen wechseln zudem durchschnittlich häufiger ihre Wohnung, wodurch sie meist höhere Mietkosten bei Neuverträgen haben, sagt Koch. Auch ein Austausch einer Gastherme sei in Mietwohnungen tendenziell schwieriger – wodurch die Heizrechnungen im Winter höher ausfallen könnten. Der Experte rechnet deshalb damit, dass die Inflationsrate für junge Menschen in den nächsten Wochen noch stärker steigen wird.

Unten den jungen Menschen leiden die etwa 108.000 Lehrlinge in Österreich besonders stark unter der Teuerung, berichtet AK-Experte Moldaschl. Er ist besorgt, dass etliche ihre Ausbildung als Investition in die eigene Zukunft nicht abschließen könnten. Etwa weil sie ab dem zweiten Antritt zur Lehrabschlussprüfung die Materialkosten, die bis zu 380 Euro betragen, nicht aufbringen können. Oder weil manche kurzfristig als Hilfsarbeiter mehr verdienen können und daher aufgeben. "Das würde den Jugendlichen langfristig sehr schaden", erklärt Moldaschl.

Psychische Belastung

Bei Lehrlingen ist ihm zufolge auch die "gefühlte Machtlosigkeit" gegen Inflation stärker ausgeprägt als bei anderen jungen Menschen, was "mit dem geringeren Bildungsniveau zusammenhängt". Das führe zu psychischer Belastung. Zudem würden ihrer Probleme im Gegensatz zu denen von Schülern oder Studenten in der Öffentlichkeit kaum thematisiert. "Das bekommen die Jugendlichen natürlich mit."

Junge Menschen hätten aber auch einen Vorteil, sagt Koch: Sie seien in ihrem Konsumverhalten flexibler, etwa weil sie Kinder und eine eigene Familie meist nicht in ihre Überlegungen einbeziehen müssen. Beispielsweise indem sie, sofern die Mieten zu hoch werden, eine WG gründen oder vorübergehend wieder ins Elternhaus ziehen. Sarah Haupt möchte freilich weiter in ihrer Wiener WG leben. "Ich hoffe, dass sich mit dem Geld dann alles ausgeht", sagt die 23-Jährige. (Alexander Hahn, Jakob Pallinger, 3.10.2022)