Im Gastblog geht der Jurist Helmut Graupner darauf ein, was bei der Aufhebung des Blutspendeverbots dennoch absurd ist.

Bis 2019 war jeder Mann, der jemals in seinem Leben (ab 1977) Sex mit einem anderen Mann (MSM) hatte (egal welche Art von Sex, auch gegenseitige Masturbation, obwohl nicht ansteckungsgefährdend, reichte), als gemeingefährlich lebenslang vom Blutspenden ausgeschlossen. Und zusätzlich auch jede Frau, die jemals in ihrem Leben mit einem solchen Mann (irgendeine Art von) Sex hatte.

Ist die neue Blutspenderverordnung gelungen?
Foto: IMAGO/Varvara Gert e

Im Dezember 2019 gab das Gesundheitsministerium Empfehlungen heraus, die den lebenslangen Ausschluss nicht mehr enthielten. Der Blutspendemonopolist Rotes Kreuz hielt sich jedoch erst ab September 2020 daran. Und diese Empfehlungen brachten auch kein Ende der Diskriminierung. MSM durften nun zwar Blut spenden, aber nur dann, wenn sie ein Jahr lang abstinent waren, also keinerlei Sex mit einem anderen Mann hatten. Gleichgültig, welche Art von Sex, weiterhin reichte auch bereits gegenseitige Masturbation, gleichgültig ob geschützt (safer sex) oder nicht, gleichgültig, mit wie vielen (einer reichte), und gleichgültig, ob mit Gelegenheitspartnern oder mit dem eigenen Ehemann, mit dem man jahr(zehnt)elang monogam lebte.

Groteske Regelungen

Heterosexueller Verkehr hingegen führte zu keinem Ausschluss, egal ob es zu analen, vaginalen oder oralen Handlungen gekommen ist, ob ungeschützt und ob mit wechselnden Partnern. Nach ungeschütztem Verkehr wurde nicht einmal gefragt. MSM waren immer ausgeschlossen, gleich ob sie geschützten Sex hatten oder nicht. Nur wenn Heterosexuelle mehr als drei Sexualpartner in den letzten zwölf Monaten hatten oder für Sex bezahlt haben, wurden sie zurückgestellt, MSM bereits bei nur wechselseitiger Onanie mit nur einem einzigen Partner.

Frauen, die Sex mit einem Mann hatten, der jemals in seinem Leben (nicht nur im letzten Jahr) irgendeine Art von Sex mit einem anderen Mann hatte (wechselseitige Onanie reichte), waren nur vier Monate ausgeschlossen, während diese Männer selbst ein Jahr ausgeschlossen waren. Bei Sex mit MSM wurde also überdies auch noch nach Geschlecht differenziert.

Der Gipfel der Absurdität: Sogar ungeschützter Heterosex (anal, vaginal, oral) mit einer oder auch mehreren (bis zu drei in den letzten zwölf Monaten) Personen, die nachweislich mit HIV oder einer anderen sexuell übertragbaren Infektion ansteckend sind, führte nur zu vier Monaten Ausschluss.

Auch nach den neuen Empfehlungen des Gesundheitsministeriums von 2019 waren Heterosexuelle, die Swinger- und Gangbang-Partys besuchten und dort ungeschützt in allen Varianten verkehrten und Körperflüssigkeiten mit nachweislich infizierten, ansteckenden Personen austauschten, nur vier Monate ausgeschlossen (solange sich die Zahl der wechselnden Partner auf drei, mit der jeweiligen Person also insgesamt vier, beschränkte). Männer hingegen, die mit ihrem jahr(zehnt)elangen (Ehe-)Mann monogam geschützt verkehrten (oder nur oral oder sogar nur wechselseitig masturbierten), wurden als so viel gefährlicher eingestuft, dass sie ausgeschlossen wurden, bis sie ein ganzes Jahr mit keinem Mann (außer mit sich selbst) mehr Sex hatten.

Hartnäckigkeit trotz EuGH-Urteil

Dabei hatte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) bereits 2015 entschieden, dass so weit wie möglich gezielt nach dem konkreten eigenen Risiko des jeweiligen Blutspenders zu fragen ist und nicht nach dem abstrakten Durchschnittsrisiko einer Bevölkerungsgruppe (Geoffrey Léger 29.04.2015 C-528/13).

Im Dezember 2020 hat der Gesundheitsausschuss des Nationalrats zum Blutspendeverbot fünf Experten angehört. Alle dieser Experten, bis auf einen, haben sich für ein Ende des Blutspendeverbots für MSM zugunsten einer individuellen, geschlechtsunabhängigen Risikobewertung ausgesprochen. Nur der Vertreter des Österreichischen Roten Kreuzes beharrte aus- und nachdrücklich auf dem pauschalen Ausschluss von MSM sowie darauf, bei heterosexuellem Sex weiterhin nicht nach der Verwendung von Kondomen zu fragen.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hatte bereits im Oktober 2020 das Ende des Blutspendeverbots für MSM bis Ende des Jahres 2020 angekündigt. Tatsächlich geschah bis Ende 2020 nichts. Erst im Frühjahr 2021 haben neue Empfehlungen des Gesundheitsministeriums nicht den Ausschluss aufgehoben, sondern bloß die Ausschlussfrist von zwölf auf vier Monate herabgesetzt. Der Blutspendemonopolist Rotes Kreuz hat sich jedoch hartnäckig geweigert, diese Verkürzung umzusetzen, und blieb bei einem Jahr Ausschluss von MSM.

3x3x3-Regel

Das Gesundheitsministerium beauftragte daher die Gesundheit Österreich mit einer Gesundheitsfolgenabschätzung. Dieser Bericht hat im Dezember 2021 (wie bereits die Wissenschaftlichen Dienste des deutschen Bundestags 2020) unter anderem gezeigt, dass in Ländern nach Aufhebung des Blutspendeverbots oder Verkürzung der Rückstellungsfristen für MSM keine nachteiligen Folgen im Hinblick auf HIV-Verbreitung eingetreten sind.

Im Juni 2022 hat Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) die Blutspenderverordnung so geändert, dass das zuvor nicht näher definierte "Risiko für die Ansteckung mit sexuell übertragbaren Infektionen" (§ 6 Absatz 2 Ziffer 15 BSV) nun als mehr als drei Sexualpartner innerhalb von drei Monaten (oder Sex mit einer Person, auf die das zutrifft) festgelegt wurde. In solchen Fällen erfolgt (bei negativen Hepatitis- und HIV-Tests) ein Ausschluss für drei Monate (3x3x3-Regel).

Seit dem Inkrafttreten mit 31. August dieses Jahres wird beim Blutspenden jetzt nicht mehr nach Geschlecht und sexueller Orientierung unterschieden. Ungereimtheiten bleiben.

Verbot bei sozialen Kontakten mit HIV-Positiven

Erfreulich ist, dass das Rote Kreuz, das sich jahrzehntelang vehement dagegen gewehrt hat, jetzt freiwillig (ohne Verpflichtung durch die Blutspenderverordnung) nach "ungeschütztem (auch einmaligem) Sexualkontakt mit neuen Sexualpartnerinnen und Sexualpartnern" fragt. Warum die Ausschlussfrist hier (ungeschützter Sex) nur vier Wochen beträgt, bei geschütztem Sex mit mehr als drei Personen und auch nur mit einer Person, die mehr als drei Sexualpartnerinnen und Sexualpartner hatte, jedoch drei Monate, erscheint nicht verständlich.

Ebenso unverständlich ist der vom Roten Kreuz weiterhin praktizierte Ausschluss von Personen, die in den letzten sechs Monaten engen Kontakt zu HIV-positiven Menschen hatten (zum Beispiel Lebensgemeinschaft oder familiäre Pflege). Dieser Ausschluss betrifft nicht sexuelle Kontakte, denn danach fragt das Rote Kreuz gesondert in einer eigenen Frage (mit Ausschluss von nur vier Monaten). Damit verbreitet das Rote Kreuz den Eindruck, dass auch nichtsexuelle Kontakte mit HIV-positiven Menschen eine Ansteckungsgefahr bergen. Obwohl die Blutspenderverordnung ausdrücklich von "infektionsgefährdendem Kontakt" spricht (§ 6 Absatz 2 Ziffer 12). Und obwohl seit Jahrzehnten gesichert ist, dass es für eine Ansteckung mit HIV eines Austauschs von Körpersäften bedarf und bei üblichen sozialen Kontakten keine Ansteckung erfolgen kann. (Helmut Graupner, 5.10.2022)