Einer von vielen: Magnus Carlsen.

Foto: Hannes Neumayer

Die Köpfe rauchen in Mayrhofen.

Foto: Hannes Neumayer

Das Zillertal hat schon viele Aufläufe gesehen, so einen aber noch nicht. Mayrhofen ist aktuell der Nabel der Schachwelt, seit Montag laufen der 37. Vereins-Europacup und der 26. Vereins-Europacup der Frauen. Man kann getrost von der Champions League reden, mehr geht auf Klubebene nicht. 87 Teams mit 500 Aktiven bilden ein Rekordfeld, aus dem etliche Stars noch herausstechen. Mit dem Norweger Magnus Carlsen und dem Inder Viswanathan Anand bestritten der aktuelle und ein früherer Weltmeister schon am Montag ihre ersten Partien. Beide remisierten, Carlsen gegen den Letten Nikita Meshkov, Anand gegen den Isländer Johann Hjartason. Auch der Frauenbewerb hat zwei Ex-Champions zu bieten, Marija Muzychuk und Anna Ushenina aus der Ukraine.

Vieles wird sich um Carlsen drehen, der im September für die größte Schachaufregung seit Ewigkeiten sorgte, als er in St. Louis gegen Hans Niemann verlor, in weiterer Folge ein Onlineduell mit dem US-Senkrechtstarter nach seinem ersten Zug hinschmiss und Niemann unterstellte, auch in jüngerer Vergangenheit mehrmals betrogen zu haben. Die Schachgeister schieden sich, der Weltverband Fide ermittelt gegen Niemann, aber auch gegen Carlsen, schließlich ist offen, ob die angeführten Indizien zur Beweiskraft reichen. Tun sie das nicht, ließe sich argumentieren, dass Carlsen zu Unrecht beschuldigt hat.

Carlsens Ankündigung

Hat Carlsen noch etwas in der Hinterhand? Legt er just im Zillertal noch einmal gegen Niemann nach? Der Norweger kündigte schon an, dass er den 19-jährigen Kalifornier künftig schneiden wird, er würde sich wohl auch von der Fide nicht overrulen lassen. Deren WM-Titel hat er quasi vakant gestellt, weil er nicht noch einmal gegen den Russen Jan Nepomnjaschtschi antreten will, der sich nun 2023 mit dem Chinesen Ding Liren ausmacht, wer Carlsens Nachfolge antritt.

All das wird dieser Tage auch in Mayrhofen im Zillertal besprochen. Dort wirkt sich der Carlsen-Niemann-Skandal nicht zuletzt bei den Sicherheitsvorkehrungen aus, die noch strikter sind, als sie ohnedies gewesen wären.

"Handy, Uhr, Kugelschreiber, jedes auch nur irgendwie elektronische Gerät", fasst Österreichs Großmeister Markus Ragger zusammen, was er vor dem Turniersaal im Europahaus abzugeben hätte oder hat. Da werden alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer wie am Flughafen durchleuchtet. Ins Internet wird mit 15-minütiger Verspätung übertragen, all das soll möglichen Betrug verhindern. Ragger, der am Montag übrigens sein erstes Spiel gegen den Niederländer Freddie Van der Elburg gewonnen hat, findet es gut, "dass dieses Thema nicht unter den Teppich gekehrt wird".

Indisches Supertalent

In Mayrhofen ist Österreich mit drei Großmeistern – Ragger, David Shengelia und Andreas Diermair – sowie sieben Teams vertreten. Ragger hat sogar größere Chancen auf einen Spitzenplatz als Carlsen – der Kärntner zählt mit seinem tschechischen Klub Novi Bor zu den ersten Herausforderern des rumänischen Favoriten CSU ASE Superbet, der neben Anand auch das indische Supertalent Gukesh D (16) ans Brett schickt. Gukesh D heißt eigentlich Dommaraju Gukesh, so oder so sorgte er kürzlich bei der Schacholympiade in Chennai mit einer Serie von acht Siegen en suite und insgesamt neun Punkten aus elf Partien für Furore.

Carlsen (31) hingegen ist bei seinem norwegischen Verein Offerspill Chess Club allein auf weiter Flur. Er selbst hat den Verein gegründet, als er in einer Sponsorenangelegenheit mit dem norwegischen Verband im Clinch lag. So sicherte er sich eine Stimmenmehrheit, Kundige bewerteten das als einen klugen, wenn auch nicht sehr sympathischen, nun ja, Schachzug. Hierzulande ist Carlsen erstmals auf Profiebene zu sehen, einmal ist er schon bei einem PR-Event in der Hofburg angetreten, als Zehnjähriger.

Spätes Geschenk

Ursprünglich hätte der Vereins-Europacup schon 2020 nach Mayrhofen kommen sollen, als der Österreichische Schachbund seinen Hunderter feierte. Corona sorgte für die Verschiebung. Heuer war nur dieser Termin frei, auch so erklärt sich eine kleine Aufregung. Dass von Dienstag- bis Mittwochabend der höchste jüdische Feiertag Jom Kippur begangen wird, bringt mit sich, dass die fünf israelischen Teams – und ihre Gegner – zu teils besonderen Zeiten spielen müssen, am Vormittag wie am Abend. Darüber wurde beim Captains-Meeting recht heftig diskutiert – von wegen Chancengleichheit und weil Schachspieler gerne ausschlafen, sie sind ja auch nur Menschen. (Fritz Neumann, 4.10.2022)