Zu ihrem 60. Jubiläum hat Designer Alfredo Häberli die Uhr "DiaStar" von Rado neu interpretiert.

Foto: Rado

Er zählt international zu den ganz großen Namen im Design. Alfredo Häberli hat schon für BMW, Vitra, Kvadrat oder Camper gearbeitet. Autos, Möbel, Stoffe oder Shop-Interieurs – es gibt kaum etwas, das der in Buenos Aires geborene Schweizer nicht gestaltet. Sein neuester Streich: Für die Schweizer Marke Rado hat er die Uhr DiaStar zu deren 60. Jubiläum neu interpretiert. Wir haben uns mit Häberli über Veränderungen in Gestaltungsfragen, der Kreativszene und der Verantwortung seiner Zunft unterhalten.

STANDARD: Herr Häberli, Sie haben für die Schweizer Marke Rado eine Uhr neu gestaltet. Der Auftrag lautete, "das Modell ins Jahr 2022 zu holen, aber die DNA nicht zu verändern". Wie wird man als Designer aus solchen Kundenbriefings schlau?

Häberli: (Lacht) Ja genau, "eine neue Uhr, aber bitte nichts verändern". Das Wort DNA benutze ich nicht gerne. Es ist so abgenutzt. Ich spreche lieber von der "Seele". Man muss spüren, was ein Objekt ausmacht, und überlegen, wie man das zeitgemäß interpretieren kann: Wie kann man möglichst wenig verändern und dabei das Maximum herausholen?

STANDARD: Steckt man als Designer in der Zusammenarbeit mit Kunden also in einem Korsett?

Häberli: Wenn Kunden mich als Designer engagieren, wollen sie ja meine Ästhetik. Ich sollte einmal ein Sofa für eine Firma aus Japan entwerfen und habe mich dabei von der japanischen Kultur inspirieren lassen. Das gefiel den Kunden überhaupt nicht. Sie wollten meine europäische Formensprache. Anders verhält es sich, wenn man ein bestehendes Design überarbeitet. Da ist man nie völlig frei. Man sollte behutsam vorgehen und nur sanfte Adaptionen vornehmen.

STANDARD: Das heißt, es ist einfacher, bei null zu beginnen?

Häberli: Das darf man auch nicht unterschätzen. Aber ja, ich denke schon. Man kann viel falsch machen, wenn man auf bestehenden Entwürfen aufbaut, die 60 Jahre alt sind, wie im Falle dieser neuen Uhr.

STANDARD: Spulen wir 60 Jahre vor. Welche Veränderungen müsste man in der Zukunft wohl bei Ihren eigenen Produkten vornehmen?

Häberli: Da denke ich vor allem an Produkte, bei denen eine Technologie eingesetzt wird, die in Zukunft überholt sein wird. Zum Beispiel habe ich vor zwanzig Jahren eine Leuchte entworfen, für die ein damals innovatives Energiesparleuchtmittel verwendet wird. Das ist heute schon obsolet.

STANDARD: Würde es denn Ihr Ego kränken, wenn jemand anderes Ihre Designs "verbessert"?

Häberli: Das habe ich kürzlich bei einem Restaurant, dessen Einrichtung ich vor 20 Jahren gestaltet hatte, erlebt. Da kam ein neuer Besitzer, der meine Stühle nicht so toll fand. Das tut schon weh, muss ich sagen. Aber ich verstehe es auch. Mein Auftraggeber ist nicht mehr da. Und der neue Besitzer hat schließlich das Recht, Dinge zu verändern. Wichtig ist der Respekt vor den ursprünglichen Entwürfen.

STANDARD: Welche Veränderungen zwischen Ihrer eigenen Generation und den jungen Kreativen nehmen Sie wahr?

Häberli: Ich habe eine leichte Kritik an den Jungen: Sie kennen die Geschichte nicht. Oft sehen ihre Entwürfe wie aus den Siebzigern oder Achtzigern aus. Ich sag dann immer: "Schön und gut, aber das gab’s schon mal." Historische Grundlagen werden nicht ausreichend gelehrt. Das Gleiche gilt auch fürs Handzeichnen. Die Jungen skizzieren meistens am Computer. Darin sind sie gut. Aber oft sieht man an den Entwürfen, dass sie nicht mit Hand gezeichnet worden sind.

STANDARD: Und das ist schlecht?

Häberli: Manchmal schon. Ich frage mich in einigen Fällen, ob der Entwurf auch handgezeichnet so aussehen würde oder ob die Form bloß wegen der Technik entstanden ist. Ein weiterer Nachteil von digitalem Entwerfen ist, dass man dadurch die Dimensionen der realen Welt nicht intus hat. Deshalb bauen wir bei mir im Studio oft Modelle zu den Entwürfen. So bekommt mein Team ein besseres Gespür für Größen.

STANDARD: Aber das Leben der Menschen findet zu einem immer größeren Teil in digitalen Sphären statt. Werden Sie nicht zukünftig vermehrt am Computer Objekte für eine Virtual Reality designen müssen?

Häberli: Ja, die Tendenz besteht schon. Aber es ist auch sofort eine Gegenbewegung zum Virtuellen entstanden. Die Immaterialität tut dem Menschen nicht gut. Das hat man während der Pandemie gesehen. Wir brauchen Kontakt in der physischen Welt.

STANDARD: Vom gestalterischen Standpunkt aus bietet eine virtuelle Welt unendliche Möglichkeiten. Wäre es für Sie reizvoll, unabhängig von physikalischen Gegebenheiten designen zu können?

Häberli: Ganz ins Freie zu designen, finde ich wenig interessant. Dazu müsste ich vielleicht erst Drogen konsumieren (lacht). Aber konkrete gestalterische Gedankenspiele finde ich reizvoll. Zum Beispiel, wie ein Haus aussehen könnte, das den gesamten Energiebedarf selbst deckt und das benötigte Wasser speichert. Auch zum Thema Mobilität der Zukunft habe ich schon Projekte gemacht, bei denen wir ganz frei gedacht haben. In so einem Prozess ist es immer gut, Fragen zu stellen. Diese stelle ich gerne auch Kindern. Sie kennen immer die Antwort. Sie wissen, was sie wollen, und sind brutal ehrlich. Das schätze ich.

STANDARD: Ist der Designprozess also Teamwork oder doch Ihre kreative Einzelleistung?

Häberli: Grundideen und die Inspirationen kommen von mir. Bei Designaufträgen für ein Auto beispielsweise wäre es auch gar nicht anders möglich. Ich bin ein großer Oldtimer-Fan. Das ist ein Bruch, den ich mir erlaube. In meinem Team hat niemand außer mir ein Auto und somit auch keinen Bezug zu dem Objekt. Aber ohne meine Assistenten wäre kein Projekt möglich. Sie setzen die Ideen sehr gut um. Auch Ingenieure und Techniker braucht es natürlich. Ich hab keine Berührungsängste. Die Zusammenarbeit mit den Uhrenexperten bei Rado etwa war sehr gut. Andere Designer tun sich da ein bisschen schwer, sehen im Ingenieur oft eine Art Gegenspieler.

STANDARD: Stichwort Eitelkeit: Inwiefern gehört eine gewisse Selbstinszenierung zum Berufsbild des Designers?

Häberli: Klar, man muss eine Story erzählen können, das Konzept zum Entwurf in wenigen Sätzen beschreiben können. Wenn man den Umgang mit öffentlicher Kommunikation nicht beherrscht, bleibt man mit seinen guten Ideen sonst womöglich im stillen Kämmerchen hocken. Die Medien hängen Gestaltern schnell das Label "Stardesigner" um. Viele Kollegen fühlen sich davon sehr geschmeichelt. Mir ist das aber gar nicht wichtig. Es geht in erster Linie um die Produkte. Man muss mindestens drei erfolgreich umgesetzt haben, dann kann man beurteilen, ob jemand für den Designberuf begabt ist.

STANDARD: Im letzten Interview mit dem RONDO haben Sie kritisiert, dass es im Design seit langer Zeit keine innovativen Strömungen wie das Bauhaus und Memphis gibt, Bewegungen, die sich fragen: "Hey, was machen wir da eigentlich?" Wäre es angesichts der aktuellen Weltlage nicht höchste Zeit, sich das zu fragen und als Designer die Probleme der Menschheit anzugehen?

Häberli: Ja, aber es hat keinen Sinn, wenn wir uns im Studio etwas ausdenken. Damit die Ideen auch umgesetzt werden können, benötigen wir die Industrie als Partner. Es braucht also mehr Aufträge, die es Designern ermöglichen, ökologische Lösungen zu erforschen. Gerade jetzt müssen wir kritisch sein und hinterfragen, welche neuen Produkte es wirklich braucht. Transparenz und Ehrlichkeit sind die Schlagworte der Stunde. Die Jugend ist da extrem kritisch und wehrt sich via Social Media gegen Irreführung und Falschbehauptungen. Das finde ich super!

STANDARD: Ein Lichtblick in einer düsteren Zukunft?

Häberli: Wenn man sich die Prognosen der Wissenschaft ansieht, ist es gerade die wohl größte Herausforderung, positiv zu bleiben. Die Menschheit hat es zwar immer wieder geschafft, aus dem Negativen das Positive herauszuholen. Aber leider muss es immer so weit kommen, dass wir die Schlinge um den Hals haben, bis wir uns bewegen. Aber ich bin immer noch zuversichtlich, weil jedes einzelne Individuum etwas beitragen kann. (Interview: Michael Steingruber, 13.10.2022)