Gerhard Karner (ÖVP) ist seit Dezember 2021 Innenminister.

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Im Jahr 1995 war Gerhard Karner vom Innenministerium weit entfernt: Der Niederösterreicher studierte damals Betriebswirtschaftslehre an der WU Wien und beschäftigte sich in seiner Abschlussarbeit mit der "Qual der Wahl". Konkret mit "Entscheidungsfindung bzw. Entscheidungsverhalten bei der Wahl der Speziellen Betriebswirtschaftslehren an der Wirtschaftsuniversität Wien". 27 Jahre später könnte diese Diplomarbeit für Karner wieder Thema werden, allerdings auf unangenehme Art und Weise.

Der ÖVP-Politiker, der über Stationen in der Gemeindepolitik und im niederösterreichischen Landtag ins Innenministerium kam, soll laut Plagiatsgutachter Stefan Weber seitenweise plagiiert haben. Fast der gesamte Theorieteil sei abgekupfert worden, erzählt der Medienwissenschafter. Abgeschrieben habe Karner aus "Information und Kaufentscheidung" von Alfred Kuß, ausgewiesen sei das "nicht oder völlig unzureichend" worden. Auf den Theorieteil folgt in Karners Diplomarbeit dann eine Beschreibung von Studienfächern sowie eine empirische Befragung.

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Ganze Textblöcke abgekupfert

Für Weber ist die Arbeit mit Blick auf die damals gültigen Zitierregeln ein Plagiat. Dem STANDARD liegen vorab die Recherchen des Gutachters vor, der die Ergebnisse auch auf seinem Blog veröffentlichte.

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Es zeigt sich, dass Karner zwar wenige Male Kuß zitiert und diesen auch im Literaturverzeichnis erwähnt – allerdings werden ganze Textblöcke nahezu wortgleich von Kuß übernommen, ohne dass dies ausgewiesen wird. Karner sagt dem STANDARD dazu: "Die gesamte Arbeit wurde nach guter wissenschaftlicher Praxis und nach bestem Wissen und Gewissen verfasst." Es habe eine "intensive Recherchetätigkeit" gegeben, nach der erfolgte "das Konzipieren und Verfassen der Diplomarbeit nicht nur akribisch, sondern auch mit großem zeitlichem Aufwand". Es sei "entsprechend den geltenden wissenschaftlichen Standards und den technischen Möglichkeiten der damaligen Zeit" vorgegangen worden, jedweder Prüfung sehe er "mit großer Gelassenheit" entgegen.

Laut Weber gibt es starke Hinweise darauf, dass auch die ersten 30 Seiten ein "Amalgam aus nicht oder nicht ausreichend zitierten Fremdtexten" seien. Er frage sich daher, "was in dieser Arbeit überhaupt vom ehemaligen Diplomanden stammt – bis auf die Textseite 1, die durch eine Spezialität in der Interpunktion auffällt: viermal ein Leerzeichen vor einem Fragezeichen".

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Plagiate lösten Rücktritte aus

Der "Plagiatsjäger" hat bereits zahlreiche Politikerinnen und Politiker unterschiedlichster Parteien mit mangelhafter wissenschaftlicher Arbeitsweise konfrontiert, die damalige Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) musste daraufhin sogar zurücktreten. Zuletzt sorgten Plagiatsvorwürfe gegen den Bundespolizeidirektor Michael Takacs für Aufsehen; der kündigte an, seine Arbeit "überprüfen" zu wollen. International beschäftigte sich kürzlich die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" mit Webers Arbeit: "An der Universität Innsbruck werden Plagiate nicht gesehen – oder man sieht sie und tut nichts", resümierte die Zeitung. (Fabian Schmid, 4.10.2022)