Der diesjährige Nobelpreis für Physik geht an den österreichischen Quantenphysiker Anton Zeilinger, den französischen Physiker Alain Aspect und den US-Amerikaner John Clauser. Sie werden für ihre bahnbrechenden Experimente mit verschränkten Quantenzuständen ausgezeichnet. Das teilte das Nobelkomitee der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften am Dienstagmittag in Stockholm mit.

Laureaten von links: Alain Aspect, John F. Clauser und Anton Zeilinger.
Foto: Royal Society, John Clauser, ÖAW/DANIEL HINTERRAMSKOGLER

Grundlagen für neue Technologien

Anton Zeilinger, 1945 in Ried im Innkreis geboren, ist der erste gebürtige Österreicher seit Jahrzehnten, dem die prestigereiche Auszeichnung verliehen wird. Als Professor an der Universität Innsbruck konnte er grundlegende Experimente zur Quantenverschränkung durchführen, die neue Einblicke in die Grundlagen der Quantenphysik ermöglichten.

Seit seiner gelungenen Quantenteleportation Ende der 1990er-Jahre wurde Zeilinger gerne als Mr. Beam bezeichnet. Anfangs war ihm das nicht besonders recht, weil es das Phänomen verkürzt darstellt, später fand er sich aber mit dem Beinamen ab: "Wenn sich dadurch mehr Leute vorstellen können, was wir gemacht haben, dann soll es mir recht sein."

Der 1942 geborene John Clauser ist ein US-amerikanischer Physiker, der sich um Experimente zu den Grundlagen der Quantenmechanik verdient machte. Als akademischer Außenseiter war er der erste Experimentalphysiker, der den Bellschen Ungleichungen die angemessene Aufmerksamkeit zukommen ließ. Einen signifikanten Nachweis konnte er jedoch noch nicht erreichen, lieferte aber bahnbrechende Vorarbeiten.

Alain Aspect (geboren 1947) baute darauf auf: Der französische Physiker mit Schwerpunkt Quantenoptik konnte in den 1980er-Jahren die ersten signifikanten Experimente zum Nachweis der Bellschen Ungleichungen liefern, durch die auch die quantenmechanische Verschränkung experimentell zugänglich wurde.

Mithilfe des chinesischen Quantenkommunikationssatelliten Micius fand 2017 zwischen Peking und Wien das erste quantenmechanisch verschlüsselte Videotelefonat statt.
Foto: ÖAW/Johannes Handsteiner

Quanten-Teleportation und Verschränkungsrekord

Die drei Physiker werden für ihre Experimente mit verschränkten Photonen geehrt, "die die Verletzung der Bellschen Ungleichungen nachweisen und Pionierarbeit in der Quanteninformationswissenschaft" darstellen, heißt es in der Begründung des Nobelkomitees. "Ihre Ergebnisse haben den Weg für neue Technologien auf der Grundlage von Quanteninformation geebnet." Es ist nicht der erste Preis, über den sich die drei Physiker gemeinsam freuen dürfen: 2010 wurden sie für ihre Arbeiten mit dem renommierten Wolf-Preis ausgezeichnet.

Mit der Teleportation von Teilchen unter dem Donaukanal, einem Langstreckenrekord für Quanteneffekte zwischen den kanarischen Inseln Teneriffa und La Palma und dem ersten quantenphysikalisch gesicherten Videotelefonat verdeutlichte Zeilinger nicht nur die Phänomene der Quantenphysik anschaulich. Er zeigte auch auf, welche technischen Anwendungsmöglichkeiten das Forschungsfeld bietet.

Insbesondere hob das Nobelkomitee am Dienstag die erstmalige Teleportation von verschränkten Photonen im Jahr 2017 durch den chinesischen Quantenkommunikationssatelliten Micius hervor, an der Zeilinger ebenfalls beteiligt war.

Überraschter Laureat

In einer ersten Reaktion sagte Zeilinger, der telefonisch zur Pressekonferenz in Stockholm zugeschaltet wurde: "Ich war sehr überrascht, den Anruf zu erhalten, und stehe immer noch unter einem positiven Schock." Seit er zum ersten Mal über Quantenmechanik gelesen habe, sei er daran interessiert gewesen, sagte Zeilinger. Er würdigte seinen Mentor Helmut Rauch, der ihm in Wien ermöglicht hatte, zu den Grundlagen der Quantenphysik zu arbeiten.

Der frischgebackene Nobelpreisträger Anton Zeilinger arbeitete gerade an einer neuen Publikation, als der Anruf aus Schweden kam, wie er auf seiner Pressekonferenz erzählte.
Foto: Corn

Zeilinger war ab 1983 Assistent an der Technischen Hochschule (heute TU) Wien, ging 1988 für zwei Jahre an die TU München und wurde 1990 an die Uni Innsbruck berufen. 1999 wechselte er an die Universität Wien, wo er das Institut für Experimentalphysik leitete. Er absolvierte auch Aufenthalte in Frankreich, Australien, Großbritannien und den USA (unter anderem eine Gastprofessur am Massachusetts Institute of Technology).

2003 gründete er gemeinsam mit Physikern der Universität Innsbruck um Rainer Blatt, Rudolf Grimm, Peter Zoller und Hans Briegel das Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Akademie der Wissenschaften. So wurde auch institutionell die Basis dafür geschaffen, der österreichischen Quantenphysik eine internationale Sichtbarkeit zu geben. Von 2013 bis März 2022 war Zeilinger zudem Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Zeilinger: "Ermutigung für junge Menschen"

Zu seiner Forschung sagte der Physiker nach der Preisverkündung: "Quantenteleportation nutzt die Eigenschaften von Verschränkung. Es funktioniert nicht so wie in den 'Star Trek'-Filmen, aber durch Quantenverschränkung kann die Information von einem Ort an einen anderen übertragen werden, ohne die Information zu kennen."

Die Auszeichnung solle eine Ermutigung für junge Menschen sein, sagte Zeilinger. "Denn dieser Preis wäre nicht möglich ohne die hunderten jungen Menschen, mit denen ich über die Jahre gearbeitet habe. Mein Rat an junge Menschen: Arbeiten Sie an den Themen, die Sie interessieren, und kümmern Sie sich nicht um die möglichen Anwendungen."

Ohne Rücksicht auf Nutzen

Im Lauf seiner Karriere entwickelte sich Zeilinger zu einem der wichtigsten Physik-Erklärer des Landes. Seine Bücher "Einsteins Schleier" und "Einsteins Spuk" wurden Bestseller und brachten vielen Menschen die sonderbaren Phänomene der Quantenwelt näher.

In seiner ersten Pressekonferenz als Nobelpreisträger an der Universität sprach Zeilinger am Montagnachmittag vor allem Dank aus: seiner Familie, seinen Kolleginnen und Studenten, aber auch den österreichischen Steuerzahlern. "Ohne sie wäre das nicht möglich gewesen, mir wurde die Möglichkeit gegeben, in der Physik das zu machen, was mich interessiert – ohne Rücksicht darauf, ob es einen Nutzen haben könnte. Ich konnte sagen: Das mache ich nur aus Neugierde, weil ich von der Quantenphysik von Anfang an begeistert war."

Reaktionen auf die Auszeichnung

Reaktionen aus der österreichischen Politik und Wissenschaft ließen nicht lange auf sich warten. Wissenschaftsminister Martin Polaschek (ÖVP) zeigte sich "stolz, dass ein Österreicher diese große Auszeichnung verliehen bekommt. Anton Zeilinger ist eine Koryphäe auf seinem Gebiet und ein Aushängeschild für den österreichischen Wissenschafts- und Forschungsstandort."

Von einer "hochverdienten Sensation" sprach der ehemalige Wissenschaftsminister Heinz Faßmann, der seit März Zeilingers Nachfolger als Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist. "Die ganze Akademie freut sich heute mit Anton Zeilinger. Das Forschungsland Österreich hat wieder an die internationale Spitze aufgeschlossen. Dieser Weg darf jetzt nicht verlassen werden."

Über den Kurznachrichtendienst Twitter gratulierte auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen: "Diese Auszeichnung gilt einem Pionier der Quantenphysik, einem großen Wissenschaftskommunikator, einem Forscher, wie er im Buche steht. Ich gratuliere Prof. Zeilinger von Herzen und danke ihm für sein Engagement als Wissenschaftsmanager."

Zeremonie am 10. Dezember

Die diesjährige Zeremonie zur Verleihung des Nobelpreises am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel, die hierzulande mit Zeilinger besonders gefeiert werden darf, hat einen großen Abwesenden, der im Zentrum der ausgezeichneten Arbeiten steht: John Stuart Bell. Der nordirische Physiker selbst wurde nicht mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, wohl aber dafür vorgeschlagen. Er starb 1990 an einer Gehirnblutung.

Der Nobelpreis ist mit zehn Millionen schwedischen Kronen dotiert, das entspricht etwa 981.000 Euro. Das gilt auch für die Auszeichnungen in den anderen Kategorien: Der diesjährige Medizinnobelpreis wurde am Montag dem schwedischen Genetik-Pionier Svante Pääbo zugesprochen, der Chemienobelpreis wird am Mittwoch vergeben, Literatur folgt am Donnerstag und Frieden am Freitag. Am Montag kommender Woche wird noch der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften vergeben. (dare, rkl, trat, 4.10.2022)