Ins Bewusstsein der Weltbevölkerung geriet der Begriff Tsunami vor 18 Jahren: Der "Weihnachtstsunami" von 2004 wurde vom drittstärksten jemals aufgezeichneten Erdbeben im Indischen Ozean verursacht und kostete über 230.000 Menschen in 14 Ländern das Leben. Einige der dabei ausgelösten Wellen, die die Küsten zwischen Sri Lanka, Indien und Indonesien überrollten, waren laut späteren Untersuchungen bis zu 30 Meter hoch.

Gegen das, was am Ende der Kreidezeit über die Welt hereinbrach, erscheint diese Katastrophe freilich wie ein kleines Geplätscher: Wo heute am Nordrand der mexikanischen Halbinsel Yucatán eine annähernd 200 Kilometer breite und zehn Kilometer tiefe Delle in der Erdkruste zu finden ist, schlug vor 66 Millionen Jahren ein zwischen zehn und 15 Kilometer großer Asteroid ein. Dem Impakt fielen über 70 Prozent aller damaligen Arten zum Opfer, darunter auch die Dinosaurier.

Zwischen zehn und fünfzehn Kilometer Durchmesser hatte der Dinokiller, der am Ende der Kreidezeit die Erde traf und etwa 70 Prozent aller Tierarten aussterben ließ.
Illustration: imago/ L.Bret/Novapix/Leemage

Gebirgshohe Wellen

Die heute als Chicxulub-Krater bekannte Formation liegt in einer Gegend, die damals von einem flachen Meer bedeckt war. Dieser Umstand führte nach dem Einschlag zu Tsunamis, deren Dimensionen sich jeglicher Vorstellungskraft entziehen: Gebirgshohe Wellen rasten über den Golf von Mexiko und breiteten sich über die urzeitlichen Ozeane aus. Selbst in fernsten Weltregionen schlugen noch mehrere Meter hohe Wogen gegen die Küsten.

Ein Team um Molly Range von der University of Michigan hat nun weitere Beweise für dieses apokalyptische Szenario vorgelegt: Noch Tausende von Kilometern von der Einschlagsstelle entfernt wurde der Meeresboden aufgewühlt, was sich bis heute in Störungen der Sedimente widerspiegelt.

Funde bestätigen aktuelle Modelle

"Dieser Tsunami war stark genug, Sedimente in Ozeanbecken eine halbe Welt entfernt aufzuwirbeln", sagte Range. "Dadurch entstanden Lücken in den damaligen Sedimentlagen und ein Durcheinander in älterer Ablagerung." Ihren im Fachjournal "AGU Advances" vorgelegten Resultaten gingen eingehende Analysen von 165 Meeresbodenproben voraus, 120 von ihnen lieferten verwertbare Informationen.

"Die Verteilung der erodierten und lückenhaften Meeressedimente der obersten Kreidezeit stimmt gut mit unseren Modellergebnissen überein. Das zeigt uns, dass man den Simulationen durchaus vertrauen kann", meinte Range. Und diese Modelle zeichnen das Bild einer globalen Katastrophe nach: Die Anfangsenergie des Tsunamis unmittelbar nach dem Asteroidenaufprall war demnach bis zu 30.000-mal größer als die Energie des Erdbeben-Tsunamis vom Dezember 2004 im Indischen Ozean.

Starke Strömungen

Dieser erste Tsunami raste hauptsächlich nach Osten und Nordosten in den Nordatlantik beziehungsweise nach Südwesten durch den Mittelamerikanischen Seeweg, der damals Nordamerika und Südamerika trennte. In diesen Ozeanbecken und in einigen angrenzenden Regionen überstiegen die unterseeischen Strömungsgeschwindigkeiten wahrscheinlich 20 Zentimeter pro Sekunde. Sie waren damit stark genug, um feinkörnige Sedimente auf dem Meeresboden fortzureißen.

Die Grafik gibt die maximale Tsunamihöhen nach dem Einschlag wieder. Die Konturen der heutigen Kontinente sind als graue Linien dargestellt.
Illustr.: Range et al./ AGU Advances

Im Unterschied dazu waren der Südatlantik, der Nordpazifik, der Indische Ozean und die Region des heutigen Mittelmeers nach der Simulation des Teams weitgehend von den ersten und stärksten Auswirkungen des Tsunamis abgeschirmt, folgenlos waren sie freilich auch nicht. Besonders verblüffend waren nach Angaben der Autorinnen und Autoren die sichtbaren Folgen der Tsunamis an der Ostküste der Nord- und Südinsel Neuseelands, die mehr als 12.000 Kilometer von der Einschlagstelle entfernt liegen.

Doch nicht von Erdbeben aufgewühlt

Die stark beeinträchtigten neuseeländischen Sedimente, sogenannte olistostromale Ablagerungen, waren ursprünglich für das Ergebnis lokaler tektonischer Aktivität gehalten worden. Nun aber zeigte sich angesichts des Alters dieser Sedimente und ihrer Lage, dass eine direkte Verbindung mit dem Chicxulub-Impakt-Tsunami bestehen musste. "Wir glauben, dass diese Ablagerungen auf Folgen des Einschlag-Tsunamis zurückgehen – und dies ist vielleicht die aufschlussreichste Bestätigung der globalen Bedeutung dieses Ereignisses", sagte Range.

Basierend auf den Ergebnissen früherer Studien gingen die Forschenden von einem Asteroiden mit einem Durchmesser von 14 Kilometern aus, der sich mit zwölf Kilometern pro Sekunde in eine von Sedimenten und einem seichten Meer bedeckte Granitkruste bohrte. Zweieinhalb Minuten nach dem Einschlag des Asteroiden drückte ein Vorhang aus ausgeworfenem Material eine Wasserwand von der Einschlagsstelle nach außen. Diese gewaltige Welle erreichte phasenweise eine Höhe von 4,5 Kilometern.

Die meisten Küstenregionen der Welt waren betroffen

Zehn Minuten nach dem Impakt und etwa 220 Kilometer von der Einschlagstelle entfernt begann sich eine 1,5 Kilometer hohe Tsunami-Woge ringförmig auszubreiten. Eine Stunde nach dem Aufprall hat der Tsunami den Nordatlantik erreicht, weitere drei Stunden später waren die Wellen durch den Mittelamerikanischen Seeweg in den Pazifik vorgedrungen. Binnen 48 Stunden nach dem Aufprall hatten riesige Tsunami-Wellen praktisch alle Küsten der Welt in Mitleidenschaft gezogen.

Als der Tsunami die nordatlantischen Küstenregionen und die Pazifikküsten Südamerikas erreichte und auf flachere Gewässer traf, gewannen die auf dem offenen Meer zehn Meter hohen Wellen durch den sogenannten Shoaling-Effekt wieder dramatisch an Höhe. "Je nach Küstengeometrie und Wellengang wurden die meisten Küstenregionen der Welt teilweise überschwemmt und erodiert", schreiben die Studienautoren. "Jeder historisch dokumentierte Tsunami verblasst im Vergleich zu solchen globalen Auswirkungen." Dem Ausmaß dieser weltweiten Küstenüberschwemmung wollen die Forschenden nun eine Folgestudie widmen. (tberg, 5.10.2022)