Schweigt nach wie vor zum Krieg gegen die Ukraine und bleibt somit heftig diskutiert: der griechisch-russische Dirigent Teodor Currentzis.

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Inmitten der Salzburger Festspiele, bei denen sich der Dirigent Teodor Currentzis feiern ließ, erreichte die staunende Öffentlichkeit die Meldung, er werde ein neues Orchester namens Utopia gründen. Pathetisch bekundete der notorisch Schweigsame per Aussendung, sich mit Gleichgesinnten auf die "Suche nach dem wahren Geist des Musikwerks" begeben zu wollen.

Im ersten Augenblick wurde gemutmaßt, es handle sich dabei womöglich um einen Marketingversuch, das MusicAeterna-Orchester, das in St. Petersburg situiert ist, unter neuem Namen aus Russland und den Verstrickungen politischer Natur herauszuholen. Das von Currentzis gegründete und zu berechtigtem Weltruhm geführte Ensemble ist ja mit seinem Exzentriker seit dem russischen Angriff in einem existenziell ungemütlichen Dilemma gefangen.

Russischer Staatsbürger

Es wird von der Kreml-nahen VTB-Bank finanziert, die auf der Sanktionsliste steht. Auch wirkt bedenklich, dass der Aeterna-Stiftung Elwira Nabiullina, die russische Zentralbankchefin, vorsteht. Und dass Currentzis, dem Putin 2014 die russische Staatsbürgerschaft verlieh, weiter in Russland tourt, ließ Zweifel an seiner Haltung erheblich weiterköcheln.

Utopia ist jedoch kein neuer Name für MusicAeterna. Wie etwa Konzerthaus-Chef Matthias Naske bestätigt, existiert die Orchesteridee seit Jahren. Das Ensemble, welches in Luxemburg und in Deutschland spielt und ab Freitag im Konzerthaus debütiert, vereint über 100 Musikerinnen und Musiker aus 28 Ländern: mit dabei Armenien, Australien, China, Deutschland, Israel, Österreich, die USA, Russland und die Ukraine.

Qualität dabei

Naske hebt die besondere Qualität hervor. Mitglieder vieler europäischer Orchester seien dabei, er nennt auch die Münchner Philharmoniker, das Concertgebouw-Orchester und die Sächsische Staatskapelle. "Es wirken neun Konzertmeister und Konzertmeisterinnen mit." Warum sie mitmachen? Für Naske ist es "die Strahlkraft dieses Menschen, der seine Sicht auf die Welt über künstlerische Exzellenz zu leben sucht".

Dass Currentzis verbal keine Distanzierung vom Putin-Regime wagt, hält Naske für verständlich. Es gebe keine rechtfertigenden oder verteidigenden Aussagen Currentzis’ zu Angriffskrieg, Regime oder Putin. Eine klare Positionierung gegen den Angriffskrieg würde jedoch "zu existenzieller Bedrohung führen". Es sei davon auszugehen, dass MusicAeterna "aufgelöst und alle ihre berufliche Existenzgrundlage verlieren würden". Gleichwohl lässt Naske das Orchester in seinem Haus nicht mehr auftreten – wie auch andere Ensembles, die "Finanzierung aus Russland oder mit Russland verbundenen Quellen" erfahren.

Red Bull fördert

Auf Utopia treffe das nicht zu, meint er, das Projekt werde "ausschließlich mit europäischen Mitteln finanziert". Tatsächlich kommt etwa die Hälfte der Förderung von Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz und seiner Kunst-und-Kultur-DM-Privatstiftung. Nicht zufällig hat Currentzis über Utopia im Sommer bei Mateschitz’ Sender Servus TV gesprochen: Im Plausch mit dem ehemaligen Staatsoperndirektor Ioan Holender versuchte er, sich auch als lupenreiner Demokrat zu positionieren, ohne von Holender auf den Krieg angesprochen zu werden.

Es wird wohl auch Holender, der bezüglich Krim-Annexion russlandfreundlich schon kundtat, die Halbinsel sei "russischer als russisch", jener gewesen sein, welcher der Finanzierung des Utopia-Projekts durch Gespräche mit dem Red-Bull-Chef "Flügel verlieh".

Die Tatsache, dass just Materschitz das Orchester fördert, dessen Servus TV gerne verhaltensauffälligen politischen Positionen eine Plattform bietet, steigert Currentzis’ Glaubwürdigkeit jedoch natürlich auch nicht.

Ambivalenz bleibt

So bleibt Currentzis eine ambivalente Figur. Ein von ihm geplantes Benefizkonzert im Konzerthaus für die Ukraine wurde abgesagt, da der ukrainische Botschafter sich weigerte, das Geld anzunehmen. In Salzburg feierte der Dirigent im Sommer hingegen Triumphe. Weltpianist Jewgeni Kissin wiederum nannte in der New York Times Currentzis’ Verbindung mit der russischen Regierung "problematisch".

Und nun sagt die Kölner Philharmonie ein Konzert mit dem SWR-Orchester ab, dem Currentzis nur noch bis 2025 als Chefdirigent vorsteht. Mittlerweile "sollte eine Haltung zur politischen Lage erkennbar sein. Die Aktivitäten und die Finanzierung von MusicAeterna und Utopia lassen vermuten, dass er dem russischen Regime sehr nahesteht", so Intendant Louwrens Langevoort zur Absage.

Treffender, als es Regisseurin Yana Ross im STANDARD-Interview tat, kann man es wohl kaum formulieren: "Russland hat Currentzis den roten Teppich ausgerollt. Jetzt ist er Geisel eines Systems, dem er sich selbst ausgeliefert hat." (Ljubiša Tošic, 5.10.2022)