Mit Machete ins Gefecht: Oscar-Preisträgerin Viola Davis als Nanisca.

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Geschichte ist ein umstrittenes Terrain, gilt sie doch immer schon als mächtiges Mittel, sich als Nation oder Volksgruppe zu legitimieren. Anhand der vermeintlichen "Geschichtslosigkeit" kolonisierter Gebiete erhöhten sich die Kolonialmächte über die Kolonisierten. Europa hatte die Antike, andere waren lediglich Wilde.

Wenn nun also Hollywood im Zuge von Black Pride auf die afrikanische Geschichte aufspringt, dann ist das, trotz aller möglichen Fallstricke, vor allem aufregend. Insbesondere dann, wenn es sich nicht um einen Marvel-Blockbuster wie Black Panther handelt, der sich im Reich der Fantasie betten kann, sondern um ein Historienepos, das sich auf afrikanische Geschichte beruft.

Dahomey – Sklavenhandel und Amazonen

The Woman King ist Anfang des 19. Jahrhunderts im präkolonialen Königreich Dahomey, dem heutigen Benin, angesiedelt. Zu diesem Zeitpunkt florierte die Wirtschaft des westafrikanischen Landes, weil es seine Kriegsgefangenen an Sklavenhändler verkaufte. Abseits der schmutzigen Geschäfte setzte Dahomey auf paritätische Machtverteilung. Der höchste Titel, den eine Frau, sofern sie nicht Königin war, erreichen konnte, war jener der Kpojito, der titelgebenden "Frau Königin", die dem König beratend zur Seite stand. Am berüchtigtsten aber war das Land für seine Kämpferinnen, die Agojie, auch Dahomey-Amazonen genannt.

Viola Davis spielt die Anführerin der Agojie, Nanisca. Sie setzt sich beim neuen, jungen König Ghezo (John Boyega) anstelle des Sklavenhandels für den Ausbau der Agrarwirtschaft ein. Doch innerhalb des Königreichs herrscht Zwist – man möchte doch kein Bauernreich werden, flüstert da die intrigante Gattin dem König ins Ohr, und den so ertragreichen transatlantischen Menschenhandel dem rivalisierenden Königreich Oyo überlassen.

Neue Kriegerinnen braucht das Land

Oyo-Anführer Oba Ade (Jimmy Odukoya) betreibt gänzlich skrupellos Sklavenhandel und dezimiert in actionreich inszenierten Kämpfen regelmäßig die Anzahl der Agojie-Kriegerinnen, weshalb neue Kämpferinnen angeworben werden müssen. Unter den jungen Rekrutinnen befindet sich Nawi, eine Waise, die es ebenso schwer hatte wie all die anderen jungen Mädchen, die die harte Ausbildung zur Agojie beginnen. Mit Seil und Machete wird trainiert, und anstelle des brüllenden Generals, den man so gut aus Hollywood kennt, übernimmt Lashana Lynch die Rolle der strengen, aber herzlichen Ausbilderin Izogie mit Hang zum Whiskey.

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Teamgeist und Training

Eine gute Kriegerin zu werden sei keine Magie, sondern beruhe auf Teamgeist und hartem Training, belehrt Nanisca in einem stillen Moment die störrische Nawi. Bei so viel Sports-Ethos verwundert es dann nicht, wenn man erfährt, dass Regisseurin Gina Prince-Bythewood vor ihrem Einstieg in die Filmbranche Basketballerin war. Nach kleineren Filmen gelang ihr 2020 mit The Old Guard der Durchbruch – The Woman King ist Prince-Bythewoods bislang größter Wurf, als mächtige Alliierte stand ihr Viola Davis auch als Co-Produzentin zur Seite.

Wie im Film bestechen sowohl Besetzung als auch Filmteam durch die Präsenz von Frauen – neben Davis und Bond-Anwärterin Lashana Lynch glänzt Thuso Mbedu als junge Nawi. Und auch Sheila Atim als Amenza, die Vertraute Naniscas, hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Die vielschichtigen Beziehungen der Frauen untereinander sind denn auch emotionales Rückgrat des Epos. Doch den Pokal für den ersten Afrika-Historienfilm mit weiblicher Hauptrolle – wie mancherorts behauptet wird – kann sich The Woman King nicht sichern, denn 1986 gab es ja bereits Sarraounia, das Königinnen-Epos des Mauretaniers Med Hondo, dem die Viennale diesen Herbst eine Werkschau widmet. Im Vergleich fällt auf: Anstatt den Kolonialkampf aktivistisch in den Mittelpunkt zu rücken, orientiert sich Prince-Bythewood an den Hollywood-Epen der 1990er-Jahre und bekennt sich beherzt zu Braveheart und Gladiator.

Nicht kitschfrei – und das ist gut so

Wie es sich für das Genre gehört, ist The Woman King auch nicht frei von Kitsch: verbotene Liebe, verlorene Kinder, tragische Herkünfte, große Freundschaften. Die brasilianischen Sklavenhändler sind keine Monster, sondern skrupellose Geschäftsmänner, einer von ihnen ist gar Halbafrikaner, der sich auf der Suche nach seinen Wurzeln in Nawi verliebt – damit auch der romantische Pocahontas-Moment mit Wasserfall nicht zu kurz kommt.

Doch auch davon lebt das Epos, das auf erfrischende Weise nicht auf Preise oder überzogene historische Akkuratesse schielt, sondern weibliches Heldentum, Unterhaltung und Action ins Zentrum stellt. Und die Strategie geht auf, denn The Woman King ist mitreißend und energetisierend, und damit wie gemacht für die große Leinwand. (Valerie Dirk, 5.10.2022)