Die dritte Entscheidung der diesjährigen Nobelpreiswoche ist gefallen: Die prestigereiche Auszeichnung in der Kategorie Chemie geht an die US-Amerikanerin Carolyn R. Bertozzi (Stanford University), den Dänen Morten Meldal (Technische Universität Dänemarks) und den US-Amerikaner K. Barry Sharpless (Scripps Research Institute). Sie werden "für die Entwicklung der Click-Chemie und der bioorthogonalen Chemie" geehrt, wie das Nobelkomitee der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm Mittwochmittag bekanntgab.

Die diesjährigen Nobelpreisträger für Chemie (v. li.): Carolyn R. Bertozzi, Morten Meldal und K. Barry Sharpless.
Foto: Grace Science Foundation, University of Copenhagen, Scripps Research

Die drei diesjährigen Laureaten führten die Chemie in das Zeitalter des Funktionalismus und erarbeiteten die Grundlagen der sogenannten Click-Chemie, heißt es in der Begründung des Nobelkomitees. Dabei geht es vereinfacht gesagt um eine Methode, Moleküle schneller und einfacher herzustellen – eine Revolution in der synthetischen Chemie, die die Herstellung bestimmter Moleküle fast so einfach macht wie das Bauen mit Legosteinen. Anwendungsmöglichkeiten gibt es beispielsweise bei der Entwicklung von Arzneimitteln und Polymeren.

Einzige naturwissenschaftliche Preisträgerin

Bertozzi ist in diesem Jahr die einzige Frau, die einen naturwissenschaftlichen Nobelpreis erhält, im Vorjahr wurden in Medizin, Physik und Chemie ausschließlich Männer ausgezeichnet. Für Sharpless, der 1970 nach einem Laborunfall auf einem Auge erblindete, ist es bereits der zweite Chemienobelpreis: 2001 erhielt er die Auszeichnung für seine Arbeiten über bestimmte Oxidationsreaktionen, die folglich nach ihm benannt wurden.

"Beim diesjährigen Chemienobelpreis geht es darum, die Dinge nicht zu kompliziert zu machen, sondern mit dem zu arbeiten, was leicht und einfach ist", sagte Johan Åqvist, Vorsitzender des Nobelkomitees für Chemie, zur Begründung der Entscheidung. "Funktionelle Moleküle können auch auf einem einfachen Weg hergestellt werden." Die Laureaten hätten durch die Entwicklung der Click-Chemie und die Methode der bioorthogonalen Markierung wesentliche Beiträge in dem Bereich geleistet. Es gehe darum, neue chemische Ideale zu finden und der Einfachheit und Funktionalität den Vorrang zu geben, heißt es vom Nobelkomitee.

Nächtlicher Nobelanruf

"Das Feld der bioorthogonalen Markierung und der Click-Chemie steht noch am Anfang", sagte Preisträgerin Carolyn R. Bertozzi in einer ersten Reaktion. Sie war bei der Pressekonferenz in Stockholm zur Bekanntgabe per Telefon zugeschaltet. "Wir haben eine Handvoll Methoden, aber es gibt noch viel, was entwickelt werden muss."

Bertozzi, die den Anruf mitten in der Nacht erhielt, antwortete auf die Frage, ob sie noch schockiert sei: "Das ist eine Untertreibung. Aber es wird von Minute zu Minute realer."

Zu den interessantesten Anwendungsmöglichkeiten zählt Bertozzi einerseits, neue Moleküle entdecken zu können, weil sie durch die Click-Chemie neu betrachtet werden können. Andererseits sei die Nutzung für Arzneimittel wichtig: "So können wir sicherstellen, dass Medikamente im menschlichen Körper an der richtigen Stelle ankommen und nicht an der falschen Stelle landen." Das zeige sich aktuell auch im Fall von Covid-19: In ihrem Labor hat Bertozzi mit ihrem Team auch Prototypen von Medikamenten zur Behandlung der Krankheit entwickelt.

Bertozzi hielt 2021 einen Vortrag über ihre aktuelle Forschung auf Einladung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und des Institute of Science and Technology Austria.
ISTAustria

Einfachheit und Funktionalität

Seit den Anfängen der modernen Chemie im 18. Jahrhundert haben sich viele Chemiker die Natur zum Vorbild genommen und versucht, molekulare Strukturen, die in Pflanzen, Mikroorganismen und Tieren zu finden sind, künstlich herzustellen. Die Nachahmung natürlicher Moleküle hat bei der Entwicklung von Arzneimitteln eine wichtige Rolle gespielt, da viele von ihnen von natürlichen Substanzen inspiriert wurden.

Mithilfe moderner Werkzeuge können Chemiker heute in ihren Labors die erstaunlichsten Moleküle konstruieren. Eine enorme Herausforderung besteht jedoch darin, dass komplexe Moleküle in vielen Schritten aufgebaut werden müssen und dabei unerwünschte Nebenprodukte entstehen. Diese Nebenprodukte müssen entfernt werden, doch dabei kann der Materialverlust so groß sein, dass kaum etwas übrig bleibt.

Anwendung im großen Maßstab

Das Konzept der Click-Chemie wurde im Jahr 2001 in einer Publikation in "Angewandte Chemie" von Sharpless, Hartmuth Kolb und M .G. Finn beschrieben. Darin wurde erstmals die Möglichkeit aufgezeigt, wie Zielmoleküle schneller und zielgerichteter aus kleineren Einheiten synthetisiert werden können – ähnlich wie das auch in der Natur passiert.

"Eine der elegantesten Eigenschaften der Click-Chemie ist, dass diese Methode so einfach ist, dass sie leicht in großen Maßstäben durchgeführt werden kann", sagte Bertozzi. Das mache sie auch sehr brauchbar für pharmazeutische Anwendungen.

Zeremonie im Dezember

Mit der Entscheidung des Nobelkomitees am Mittwoch gingen zwei heiße Kandidaten für den Chemienobelpreis abermals leer aus: die aus Ungarn stammende Biochemikerin Katalin Karikó und ihr US-amerikanischer Kollege Drew Weissman. Die beiden haben grundlegende Vorarbeiten für die Entwicklung von mRNA-Impfungen geleistet, bereits im Vorjahr wurden ihnen große Chancen eingeräumt.

Der Nobelpreis ist mit zehn Millionen schwedischen Kronen dotiert, das entspricht etwa 981.000 Euro. Das gilt auch für die Auszeichnungen in den anderen Kategorien: Der diesjährige Medizinnobelpreis wurde am Montag dem schwedischen Genetik-Pionier Svante Pääbo zugesprochen, am Dienstag hat es mit Anton Zeilinger auch ein Österreicher unter die Preisträger in Physik geschafft, der Franzose Alain Aspect und der US-Amerikaner John Clauser bekamen ebenso die begehrte Auszeichnung.

Morgen, Donnerstag, folgt die Bekanntgabe des Preisträgers oder der Preisträgerin in Literatur, am Freitag wird der Friedensnobelpreis vergeben. Am Montag kommender Woche folgt dann noch der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften. (dare, sic, tasch, trat, 5.10.2022)