Johan F. Hartle, Rektor der Akademie der bildenden Künste Wien, antwortet in seinem Gastkommentar den Kritikern einer Veranstaltung, über die auch DER STANDARD berichtete ("Kunstuniversität lädt umstrittenen Israel-Kritiker für Vortrag ein").

Die Akademie der bildenden Künste Wien hat für ihren öffentlichen Klimaaktionstag am 19. Oktober am Schillerplatz den schwedischen Humangeografen und Klimaaktivisten Andreas Malm eingeladen. Mit seiner prononcierten Analyse der Geschichte des fossilen Kapitalismus nimmt Malm eine für uns inhaltlich besonders herausfordernde Rolle ein und wurde in den letzten Jahren von zahlreichen deutschsprachigen Qualitätsmedien wie Spiegel, Zeit, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung oder Focus, aber auch auf Arte.tv vielfach interviewt, zitiert und diskutiert. Was macht seine Thesen zur Klimakatastrophe so interessant?

Setzt auf radikalen Klimaprotest: die Gruppe Extinction Rebellion.
Foto: Reuters / Esa Alexander

Weit mehr als alle anderen Fachkommentatorinnen und Fachkommentatoren konzentriert sich Malm auf die strukturellen und sozialhistorischen Ursachen des Klimawandels. Seine Diskussion der notwendigen Formen sozialer Auseinandersetzung und zivilen Ungehorsams macht seine Beiträge zu einer Schlüsselreferenz für die aktuelle Klimabewegung. Seine vieldiskutierten Thesen zu verschiedenen Formen des Aktivismus und zu deren Legitimität sind kontrovers. Sie diskutieren die Möglichkeit und Notwendigkeit der Militanz sowohl in historischem Kontext als auch vor dem Hintergrund von Theorien sozialer Bewegungen, gut informiert, gut lesbar und provokativ.

Solche Diskurse sind absolut notwendiger Bestandteil einer dringend notwendigen Debatte zur Klimakrise, deren Folgeschäden nur wenige so drastisch beschreiben wie Malm. Diese Debatte möchten wir an der Akademie führen und damit auch den Spagat zwischen Veränderung der eigenen Lebensweise und der politischen Auseinandersetzung über strukturelle Veränderungen und größer angelegte politisch notwendige Klimareformen meistern.

"Wir haben in den Universitäten die Möglichkeit, kritisch hinzuschauen, zu kommentieren."

Malm ist aber kontrovers nicht nur aufgrund seiner Thesen zum Klima, sondern auch aufgrund politischer Äußerungen zum Israel-Palästina-Konflikt – wie auch DER STANDARD in einem Artikel schreibt.

Malm nimmt auch hier eine radikale und provokante Position ein, wenn er sich zum Beispiel im Zuge einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung im Jahr 2021 mit dem, wie er es nennt, "palästinensischen Widerstand" solidarisiert und in diese Solidarisierung auch die Hamas miteinschließt. Malm steht mit einer solchen Position nicht allein, sondern ist Teil einer international einflussreichen Bewegung, der auch Vertreterinnen wie die Philosophinnen Angela Davis oder Judith Butler angehören. Diese Position ist nicht die Position der Akademie. Sie ist auch nicht meine Position. Sie ist falsch und gefährlich – und nein, wir bieten ihr auch kein Forum. Ist Malm aber deswegen aus jeglichen gesellschaftskritischen Diskursen auszuschließen? Sind seine wichtigen klimapolitischen Thesen deshalb zum Verstummen zu bringen? Nochmals nein. Das kann und darf nicht die Konsequenz sein.

Kultur der Debatte

Und hier geht es um mehr als Malm – hier geht es um das Vertrauen in akademische Kontroversen und auch um akademische Freiheit. Trust in Science and Democracy (TruSD) heißt ein Programm des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung, dem Bundesminister Martin Polaschek sein volles Engagement versprochen hat. Es widmet sich dem Problem der Wissenschaftsfeindlichkeit und will Sensibilität für wissenschaftliche Standards in der öffentlichen Debatte fördern. Das ist eine hervorragende Initiative. Solches Vertrauen schließt aber das Vertrauen in unsere Arbeitsfähigkeit ein, dass wir wissenschaftliche Standards und kritische Diskussionen gewährleisten können und – anders als die diversen (sozialen) Medien – eine qualifizierte Kultur der Debatte repräsentieren. Wir haben in den Universitäten die Möglichkeit, kritisch hinzuschauen, zu kommentieren und zu rahmen. In dieser Situation rahmen wir bewusst und stellen zur Diskussion – vor allem das, was gesagt wird: Malms Positionen zur Klimakrise, ihren strukturellen Ursachen und zu den Möglichkeiten, ihnen politisch entgegenzuwirken.

Der Wunsch, dass es in politischen Diskursen von vornherein politische Garantien gibt, dass Autorinnen und Autoren, die Rederecht erhalten, sich vorab umfassend auf einen politischen Kanon verpflichten, ist irreführend und kontraproduktiv. Wer sich wissenschaftliche und politische Debatten wünscht, in denen es keine Ambivalenz und keine Fehler gibt, wünscht sich in Wahrheit keine Debatten. (Johan F. Hartle, 6.10.2022)