An der Urologie-Klinik des Wiener Allgemeinen Krankenhauses fehlt es an Pflegepersonal. Das hat weitreichende Folgen.

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Wien – Wieder ein Aufschrei wegen Personalnot an einer Wiener Klinik. In einer Gefährdungsanzeige informiert die Uniklinik für Urologie am Allgemeinen Krankenhaus (AKH) über "einen nicht zu kompensierenden Versorgungsnotstand bezüglich der urologischen PatientInnen". Der "Versorgungskollaps" resultiere aus einem "sukzessiven Zerfall der pflegerischen Strukturen", heißt es weiter in dem mit 4. Oktober datierten Schreiben, das an die Generaldirektion des Wiener Gesundheitsverbunds (Wigev), an die Leitung des AKH sowie an Funktionäre der Ärztekammer gerichtet ist. Das Schreiben, über das oe24.at und krone.at als Erste berichtet hatten, liegt dem STANDARD vor.

Seit über sechs Jahren würden "regelmäßig schriftlich und mündlich seitens der Universitätsklinik für Urologie auf den fortwährenden Ressourcenmangel hingewiesen und Lösungen vorgeschlagen", steht weiter in dem Schreiben der Abteilung. Man habe bereits alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen ausgeschöpft, trotzdem werde seit Monaten das Versorgungs-Soll unterschritten.

Auch Akutversorgung leide

So seien 51 stationäre Betten vorgesehen, seit Februar gebe es wegen fehlenden Personals Bettenkürzungen von 71 Prozent, schon davor im Schnitt von 50 Prozent. Zugleich könne nicht so viel operiert werden, ein Viertel weniger im Schnitt. Alles aufgrund des Mangels an Pflegekräften. All das habe einen negativen Einfluss auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten, zum Beispiel bezüglich Wartezeiten auf OPs. Bei nicht bedrohlichen Erkrankungen warte man derzeit rund sechs Monate auf einen Eingriff. Auch die adäquate Akutversorgung sei "nicht mehr gewährleistet".

Seitens des AKH-Pressebüros hieß es Donnerstagnachmittag, dass es an der Universitätsklinik für Urologie von AKH Wien und Med-Uni Wien "seit längerer Zeit Personalbesetzungsprobleme" gebe, "weil der ärztliche Leiter der Universitätsklinik für Urologie mit dem Pflegepersonal keine akzeptable Zusammenarbeit findet und sich deswegen mehrere Pflegekräfte innerhalb des AKH Wien versetzen ließen". Dadurch könnten derzeit von 48 Normalpflegebetten nur 24 belegt werden (also mehr als in der Gefährdungsanzeige angegeben, Anm.) und es komme zu Verschiebungen von geplanten Operationen. Die Versorgung von akuten Erkrankungen und Notfällen sei aber "selbstverständlich zu jeder Zeit gewährleistet", heißt es seitens des AKH. In einer ergänzenden späteren Stellungnahme der Med-Uni hieß es, dass wegen Covid-Krankenständen kurzfristig für vier Tage auf 14 Betten reduziert worden sei, aktuell aber eben wieder um zehn mehr Betten belegt seien.

Zur Frage der Wartezeiten auf planbare urologische Eingriffen hieß es seitens des Wigev, dass diese derzeit zwischen sieben und 13 Wochen betragen würden. Wobei Akutes eingeschoben werde.

"Pflegekräfte für Urologie nicht verfügbar"

In der Gefährdungsanzeige ist weiters die Rede davon, dass die Entwicklungen zu außerordentlichen Belastungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führen würden, außerdem mache dies alles unmöglich, weiter Fachärztinnen und Fachärzte auszubilden, heißt es weiter in der Gefährdungsanzeige. Die Adressatinnen und Adressaten des Briefes werden dazu aufgefordert, "umgehend geeignete Maßnahmen zur Sicherstellung der PatientInnenversorgung" einzuleiten.

Seitens des AKH wird diesbezüglich darauf hingewiesen, dass die Direktion des Pflegedienstes des AKH Wien "ein aktives Bewerbungsmanagement" führe, "um die Situation zu entspannen, aber die Arbeitsmarktlage ist derzeit so, dass insbesondere ausgebildete Pflegekräfte für Urologie nicht verfügbar sind".

Stadt reagiert mit interner Prüfung

Aus dem Büro des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker (SPÖ) hieß es, man nehme das Schreiben sehr ernst. Eine interne Revision werde eingeleitet und man prüfe alle Vorgänge. Der Pflegepersonalstand sei im AKH generell relativ hoch, die Abteilung weise aber eine hohe Fluktuation auf.

Auf Hackers Worte reagierte die Wiener Ärztekammer mit einer kritischen Aussendung: Die Vorgangsweise einer internen Prüfung sei "unlogisch, da die Überlastung nicht Schuld der Abteilung ist, sondern eine Folge des nicht zu Ende gedachten Spitalskonzepts, das die Schließung von Urologie-Stationen beinhaltet", sandte Stefan Ferenci aus, Obmann der Kurie der angestellten Ärzte in der Wiener Kammer. Das Vorgehen zeige, dass Hacker die Verantwortung den Ärztinnen und Ärzten in die Schuhe schieben wolle.

Konträre Ansichten

Frederic Tömböl, Mitglied des Betriebsrats an der Med-Uni Wien und Ärztekammer-Funktionär, weist im STANDARD-Gespräch darauf hin, dass der Primar in keiner Weise Vorgesetzter der Pflege sei, sondern diese eine eigene Leitung habe. Nun stünden offenbar zwei Positionen einander gegenüber: Jene, die sagen, die Zusammenarbeit zwischen ärztlicher Leitung und Pflege klappe an dieser Abteilung nicht. Und der Primar selbst, der eine Gefährdungsmeldung verfasst hat und sagt, er weise seit Jahren auf Engpässe hin. Seitens des Uniklinikums hieß es in einer Stellungnahme Donnnerstagabend allerdings, dass die Klinikleitung am 4. Oktober 2022 "zum ersten Mal und niemals vorher eine Gefährdungsmeldung an die Spitalsleitung gerichtet" habe.

Die Medizinerinnen und Mediziner am AKH Wien sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Med-Uni Wien und werden somit indirekt vom Bund finanziert. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Pflegebereichs sind hingegen Bedienstete der Gemeinde Wien. Im AKH fehlen laut Gewerkschaft Younion insgesamt rund 200 Fachkräfte in der Pflege; im Wiener Gesundheitsverbund seien es knapp 1000.

Urologie Favoriten im Sommer am Limit

Zuletzt hatte die Urologie der Klinik Favoriten im Juli Alarm geschlagen. Im August wurde publik, dass Ärzte laut dem damaligen Schreiben dort eine Situation vorherrschen sahen, die nicht mehr zumutbar gewesen sei. Man könne Patienten oft nur notversorgen, auf die nötigen Operationen müssten diese oft mehrere Monate warten, es fehle an Fachkräften und Kapazitäten, hieß es damals.

Der Wiener Gesundheitsverbund hält dazu fest, dass man die urologische Versorgung in Wien sicherstelle. Durch klinikübergreifende Zusammenarbeit (auch Kooperationen mit anderen Krankenhausträgern), werde die Situation für urologische Patienten und Patientinnen laufend verbessert. In der Klinik Favoriten seien die OP-Kapazitäten ausgebaut worden und es stünden 40 Betten zur Verfügung.

ÖVP für Maßnahmen, FPÖ für Rücktritte

Die Vorwürfe der Urologie-Klinik des AKH führten am Donnerstag seitens der Rathaus-Opposition zu scharfer Kritik: "Kaum ein Tag vergeht ohne eine weitere Schreckensmeldung aus dem Wiener Gesundheitsbereich", teilte dazu Ingrid Korosev, Gesundheitssprecherin der ÖVP Wien, mit. Stadtrat Hacker müsse Maßnahmen ergreifen. Der Chef der Wiener FPÖ, Dominik Nepp, wähnt Gesundheitsstadtrat Hacker und die Wigev-Führung rücktrittsreif, "katastrophale Missstände in den Wiener Spitälern" seien demnach "seit Jahren kontinuierlich vertuscht worden". (Gudrun Springer, 6.10.2022)