Musk macht aus dem ungewollten Kauf von Twitter eine Tugend. Basierend auf dem Nachrichtendienst will er seine Vision einer "App für alles" realisieren.

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Elon Musk wird jetzt doch den Nachrichtendienst Twitter kaufen, wie am Dienstag vermeldet wurde. Eigentlich wollte der US-Unternehmer aus dem ausgemachten Deal aussteigen, doch bevor der Fall vor Gericht landete, gab der Tesla-Chef nach. Anstatt einen Fehler einzugestehen, drehte Musk den Kauf in gewohnter Manier als langgeplante Strategie. Er wolle eine "App für alles" schaffen, und Twitter würde die Basis dafür werden. Schon vor Jahren ließ der Unternehmer seine rund 100 Millionen Follower auf Twitter wissen, dass er eine "Super App" plane. Eine, in der man die wichtigsten Funktionen mehrerer Apps geballt an einer Stelle vorfinden würde.

Vorbild "Super App"

Musks Vorbild kommt aus China und nennt sich Wechat. Der chinesische Tech-Konzern Tencent verwendete für seine Anwendung Wechat, entwickelt 2011, zu Beginn ebenfalls den Terminus "Super App". Als Chat-Dienst gestartet, wurden die Funktionen von Wechat in Form von miteinander kommunizierenden Mini-Apps laufend erweitert. Egal ob Essen bestellen, Arztbesuche ausmachen, Jobs in der Nähe suchen, Visum beantragen, Spiele spielen – in der Welt von Wechat ist nahezu alles möglich. Mit rund 1,2 Milliarden aktiven Nutzern pro Monat ist die App aus dem Leben vieler Chinesen – auch außerhalb, aber vor allem innerhalb Chinas – nicht mehr wegzudenken. Wer in China ein Geschäft eröffnet, legt zuerst ein Wechat-Profil an und dann erst eine Website.

Großer Wermutstropfen von Wechat: die Nähe zur chinesischen Regierung. Bereits seit 2017 ist die Weitergabe nahezu aller Informationen des Services an die Behörden sogar in den Datenschutzbestimmungen verankert. Laut Kritikern erfährt Wechat deshalb regelmäßige Internetzensur. Bestimmte Schlüsselwörter werden genauso gefiltert wie bestimmte Fotos oder Nachrichten. Aufgrund der starken Verbreitung und mangels Alternativen wird die App dennoch genutzt.

Mit Wechat kann man in China überall zahlen. Auch sonst ist die App allgegenwärtig.
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Der Weg von Musk

Der Erfolg der App ist natürlich für Unternehmer auf der ganzen Welt interessant. Wechat spielt aktuell vor allem in China eine große Rolle – ein Äquivalent in einem anderen Teil der Welt gibt es in dieser Form nicht. Vergleichbar von der Idee her sind aktuell lediglich die als Taxi-Ruf-Anwendung gestartete App Grab und der ebenfalls aus China stammende Bezahl-Service Alipay, der einen Teil des riesigen Alibaba-Konzerns darstellt.

Die Tatsache, dass außerhalb Asiens solch ein Service nicht existiert, hat Elon Musk in einem Meeting mit Twitter-Angestellten Anfang des Jahres erwähnt. Die US-Nachrichten-App hätte laut Musk die große Chance, in die Fußstapfen von Wechat zu schlüpfen. "Es gibt hier eine echte Möglichkeit, das zu schaffen", wird Musk in mehreren Berichten nach diesem Meeting zitiert. Man würde Wechat in China nutzen, weil es so gut nutzbar und hilfreich für das tägliche Leben sei, ist Musk überzeugt.

Am Mittwoch schrieb Musk auf Twitter, der Kauf von Twitter würde die Entwicklung dieser "Everything App" – er nennt sie auch X – in jedem Fall beschleunigen. Auf die Vermutung eines Nutzers, "X" würde wohl einfacher zu entwickeln sein, wenn man bei null anfangen würde, entgegnet Musk: "Twitter wird die Entwicklung um drei bis fünf Jahre beschleunigen, aber ich kann auch falsch liegen".

Der Weg, diese ambitionierte Vision tatsächlich zu verwirklichen, könnte allerdings steinig werden. Experten äußerten gegenüber "CNN", dass man auch andere Apps, darunter alle Anwendungen des Meta-Konzerns, aber auch Tiktok und Youtube, versuchen würde, in "Super Apps" weiterzuentwickeln. Zudem gebe es in westlichen Ländern zahlreiche Anti-Monopol-Bestimmungen und Widerstand von politischen Entscheidungsträgern, die solch eine Vision torpedieren könnten und werden.

Ein Buchstabe: X

Der Buchstabe "X" begleitet Musk schon länger, auch wenn er in Bezug auf die "Super App" in dieser Woche erstmalig aufgetaucht ist. Neben Musks Firma SpaceX gab es den Buchstaben bereits in einer seiner ersten Firmen: X.com. Durch die Fusion mit Confinity wurde die gemeinsame Firma allerdings Paypal genannt, da das X im möglichen Firmennamen damals viele Menschen mit pornografischen Inhalten gleichsetzten. Die Domain X.com kaufte sich Musk 2017 von Paypal aus "sentimentalen Gründen" zurück. Seitdem ist sie aufrufbar, allerdings ohne wirkliche Inhalte.

Nachdem der US-Unternehmer bereits im April drei neue X-Holdings gründete, die im Antrag "Project X" zusammengefasst wurden, kochten die Gerüchte hoch, Musk würde alle seine Firmen unter eine größere Muttergesellschaft stellen, die eben diesen Namen tragen könnte. Passend dazu schlug bereits vor zwei Jahren der Youtuber Dave Lee, der eigenen Angaben zufolge bereits seit 2012 in Tesla-Aktien investiert ist, Musk via Twitter vor, eine Holdinggesellschaft mit dem Namen "X" zu gründen. Diese solle laut ihm "das Überleben und den Fortschritt der Menschheit" gewährleisten und alle Firmen von Musk zusammenfassen. Die Antwort von Musk auf Twitter damals war kurz: "Gute Idee."

(aam, 6.10.2022)