Ingo Metzmacher dirigierte die Wiener Symphoniker.

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Wien – Es soll Menschen geben, die in der katholischen Kirche die wirkungsmächtigste Theaterkompanie der letzten zwei Jahrtausende erkennen. Dass sich eine solche Unternehmung auch auf Herstellung und Gebrauch von Drohkulissen verstehen muss, ist selbstverständlich. Die Offenbarung des Johannes gilt allgemein als die spektakulärste Hervorbringung auf diesem speziellen Geschäftsgebiet.

Gelungener zweistündiger Opus

Franz Schmidt, neben Johannes Brahms der zweite Schwerpunktkomponist der Wiener Symphoniker in dieser Saison, hat kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs den Versuch unternommen, "die Apokalypse zusammenhängend zu vertonen". In seinem Oratorium Das Buch mit sieben Siegeln trachtete der Österreicher danach, die großen Dimensionen des Werkes "auf durchschnittlichen Menschenhirnen faßbare Maße" zu bringen. Das ist mit dem zweistündigen Opus gelungen.

Als einer von acht Dirigenten (Gendern leider nicht nötig), die die Konzerte des spontan abgängigen Andrés Orozco-Estrada in dieser Saison übernommen haben, leitete Ingo Metzmacher am Mittwochabend die Wiedergabe des Großwerks im Musikverein.

Schrecken des Jüngsten Gerichts

Es war eine eindrückliche, mustergültige Aufführung, in welcher der Deutsche weder aufgeblähten Bombast noch süßlichen Glaubenskitsch zu Gehör brachte, sondern eine Darstellung der Schreckenszeit des Jüngsten Gerichts bot, die mit tänzerischer Elastizität, Dezenz und floraler Leichtigkeit erfrischte. Beim großen Erdbeben war natürlich auch eruptive Wucht angesagt – zu der auch der in jedem Moment herausragende, präzise und intensiv agierende Singverein einige Dezibel beitrug.

Mächtig und edel gefasst Stephen Milling als Stimme des Herrn, mehr biblischer Notar als flammender Prophet: der verlässliche Rainer Trost in der Gewaltpartie des Johannes. Bleibt nur zu hoffen, dass auf diese Wiedergabe weniger apokalyptische Zeiten folgen als auf die Uraufführung anno 1938. (Stefan Ender, 7.10.2022)