In der Hauptstadt Addis Abeba demonstrierten Menschen gegen den äthiopischen Bürgerkrieg.

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Der überraschende Durchbruch der Afrikanischen Union (AU) bei der Organisation direkter Gespräche über ein Ende des äthiopischen Bürgerkriegs hat neben Erleichterung auch Verwirrung ausgelöst. Überraschend war der Vorstoß des Staatenbunds, weil in der Tigray-Provinz seit sechs Wochen wieder heftig gekämpft wird: Kaum jemand rechnete zu diesem Zeitpunkt mit der Aufnahme von Verhandlungen.

Dagegen sorgte das Einverständnis von Tigrays Volksbefreiungsfront (TPLF) für Verwirrung, das wie alle Mitteilungen der von der Außenwelt abgeschnittenen Provinzregierung über Twitter kam: Ob es sich um "fake news" oder eine authentische Mitteilung handele, wurde auf dem Netzwerk lange debattiert. Schließlich sorgte auch der Termin für die Aufnahme der Gespräche für Stirnrunzeln: Er wurde von der AU für " Sonntag, den 8. Oktober", in Südafrika anberaumt: Auch dort ist der 8. Oktober allerdings ein Samstag.

Ohne Vorbedingungen

Inzwischen steht fest, dass nur das Datum falsch war – dagegen bestätigte die TPLF ihre Absicht zur Teilnahme auch durch ein Schreiben ihres Präsidenten Debretsion Gebremichael mit Unterschrift und Siegel. Darin wird lediglich um einige Präzisierungen – wie Zahl und Namen der an den Gesprächen Beteiligten – sowie um logistische Hilfe für die Anreise der in ihrer Provinz blockierten TPLF-Unterhändler gebeten.

Keine Rede war dagegen von den bisherigen Gesprächsbedingungen der TPLF mehr: etwa dass die fast zweijährige Totalblockade der Provinz durch die äthiopische Zentralregierung zuvor aufgehoben werden müsse.

Millionen von Hunger betroffen

Dass es nun auch so geht, zeigt, wie schwach die Verhandlungsposition der TPLF tatsächlich ist. Denn in der aufständischen Provinz bahnt sich eine Katastrophe an. 90 Prozent ihrer rund sechs Millionen Bewohner sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen: Doch seit Ende August die Kämpfe wieder aufflammten, kam kein einziger Transport des Welternährungsprogramms WFP nach Tigray durch.

Dort sterben zahllose Menschen – vor allem Kinder – bereits den Hungerstod: Wie viele es sind, weiß keiner, weil unter den derzeitigen Bedingungen keine Erhebungen möglich sind und die Provinz von Journalisten abgeschottet ist.

Zwei Vermittler plus AU-Beauftragter

Unterdessen rücken die Soldaten des Nachbarstaats Eritrea weiter in den Norden der Provinz vor: Auch im Süden sah sich die TPLF jüngst zum Rückzug gezwungen. Gleichzeitig halten die Drohnenangriffe der äthiopischen Luftwaffe an: Am Montag sollen bei einer derartigen Attacke im Nordwesten der Provinz mehr als 50 Zivilisten ums Leben gekommen sein. Tedros Adhanom Gebreyesus, Direktor der Weltgesundheitsorganisation WHO, sprach vom "schlimmsten Desaster der Welt", das sich derzeit in seiner Heimat Tigray abspiele.

Auch von einer zweiten Bedingung rückte die TPLF inzwischen ab: dass Olusegun Obasanjo, der Sonderbeauftragte der AU, an den Verhandlungen nicht teilnimmt. Der ehemalige nigerianische Staatspräsident wird von Tigray als parteiisch abgelehnt. Zumindest sollen dem AU-Beauftragten zwei weitere Vermittler zur Seite gestellt werden: der von der TPLF akzeptierte einstige kenianische Präsident Uhuru Kenyatta und die ehemalige südafrikanische Vizepräsidentin Phumzile Mhlambo-Ngcuka.

Auch andere internationale Akteure – wie der US-Beauftragte für das Horn von Afrika, Mike Hammer – werden zumindest als Beobachter zugelassen: Der Shuttle-Diplomat brach bereits zu seiner zweiten Rundreise in die Region innerhalb von zwei Monaten auf, um die historischen Verhandlungen vorzubereiten. Ob diese nun am Samstag, dem 8., oder am Sonntag, dem 9. Oktober, beginnen. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 6.10.2022)