Wladimir Putin, der Radikale, mit Vertretern der vier annektierten ukrainischen Regionen.

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Vom einstigen Geheimdienstler, ...

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... Partner des Westens ...

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... und Stadtverwalter (mit Michail Gorbatschow) ist wenig übrig.

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Russlands Präsident Wladimir Putin liebt prunkvolle Paläste und gutes Essen. Doch nach Feiern ist ihm wohl nicht zumute. Heute, Freitag, an seinem 70. Geburtstag, wolle er arbeiten, so Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Einer Feier am nächsten kommt am ehesten das Programm für den Nachmittag – dann will Putin einen inoffiziellen Gipfel mit den Staatschefs der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) abhalten. Die militärischen Misserfolge der letzten Zeit, öffentliche Kritik an der Teilmobilisierung, die Massenflucht tausender Reservisten ins Ausland – Putin steht unter Druck.

Denn seine Kritiker bringen sich in Stellung. Allen voran der wortgewaltige Ramsan Kadyrow, der Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien, der die Führung der Kampfhandlungen jüngst kritisierte, den Putin nun aber beförderte. Auch aus der Bevölkerung kommt zunehmend Kritik. Zu spüren ist das in Moskau vor allem bei jüngeren Leuten.

Kämpfe rücken näher

Bis zur Teilmobilisierung russischer Reservisten war die "Spezialoperation" etwas, das weit weg war vom Leben normaler Menschen. Das ändere sich nun, meint der Soziologe Grigori Judin. Es gebe grundsätzlich drei Gruppen in der russischen Gesellschaft. Zum einen die Radikalen, 15 bis 25 Prozent der Bevölkerung. Sie fordern die totale Mobilmachung und eine aggressivere Kriegsführung. Dann die Nichteinverstandenen, ein Viertel der Bevölkerung. Sie lehnen die "Spezialoperation" grundsätzlich ab, haben aber keinerlei Plattform.

Die weitaus größte Gruppe aber, so Judin, seien "die Laien". Eine entpolitisierte Mehrheit, die mit Politik nichts zu tun haben will. Doch genau das haben sie jetzt, nolens volens. Die Mobilisierung kann jeden treffen. Die Kreml-kritische Onlinezeitung Nowaja Gaseta berichtet, mehr als 260.000 Russen hätten schon das Land verlassen, aus Angst vor einer Einberufung. Kreml-Sprecher Peskow sagte laut der regierungsnahen Nachrichtenagentur Ria Nowosti, diese Reaktion sei "hysterisch und hochemotional".

Niederlage nicht als Sieg zu verkaufen

Für Wladimir Putin seien die militärischen Misserfolge gefährlich, so der Soziologe Judin. "Kann er eine Niederlage als Sieg verkaufen? Nein. Die Radikalen werden sie rundheraus als das bezeichnen, was sie ist. Und die Laien werden ihm nicht verzeihen, dass er ihr tägliches Leben in Mitleidenschaft gezogen hat." Judins Fazit: "Die militärische Niederlage in einem Krieg, bei dem er das ganze Land aufs Spiel gesetzt hat, wird Putin nicht überleben."

Politologe Abbas Galljamow kennt den Kreml, er war dort Redenschreiber. "Putin ist heute der größte destabilisierende Faktor", meint er. Doch Galljamow sagt auch, dass Putins Ressourcen noch gewaltig seien. Jedoch, "Putin wird verstehen müssen, dass die Zeit, die ihm die Geschichte für die Wahl seines Nachfolgers eingeräumt hat, nicht unendlich ist. Je schwächer der Präsident in dem Moment sein wird, in dem er den Namen seines Nachfolgers bekanntgibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass einige Eliten ihm den Gehorsam verweigern."

Kampf um Nachfolge

Ein Nachfolger aus dem Machtapparat wäre die wahrscheinlichste Lösung. Putin könnte jemanden benennen, dem er vertraue, meint Galljamow. Als Kandidaten sieht er Sergej Sobjanin, Bürgermeister von Moskau. Nachteil: Er sei "zu pragmatisch, und alle gängigen 'patriotischen' Ideale in Form von Sorge angesichts des Vordringens der Nato nach Osten, der Feindschaft mit den USA, des Kampfs gegen 'Ukrofaschismus' sind ihm unendlich fremd".

Einen echten, designierten Nachfolger für Wladimir Putin gibt es nicht. Und – es gibt eine Unbekannte: die russischen Oligarchen. Auch unter den Oligarchen gibt es Kritik an Putins "Spezialoperation". So verurteilte der Banker Oleg Tinkoff öffentlich die russische Invasion: "Das ist undenkbar und inakzeptabel! Staaten sollten Geld für die Behandlung von Menschen ausgeben, nicht für Krieg."

Wie werden sich die Oligarchen verhalten beim Machtwechsel? Kommen die Machtkämpfe zurück wie in den 1990er-Jahren? Viele in Russland erinnern sich an die Zeit. Allein im Jahr 1994 wurden mehr als 600 Unternehmer, Politiker und Journalisten ermordet. (Jo Angerer aus Moskau, 7.10.2022)