"Das war in jeder Hinsicht blöd": Alexander Van der Bellen übers Zähnezusammenbeißen.

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Der ORF hat Donnerstagabend zur Bundespräsidentenwahl das Format der Belangsendung wiedereingeführt: Jeder der sieben Kandidaten bekam am Ende des Interviewmarathons mit Armin Wolf und Susanne Schnabl 45 Sekunden für eine Wahlrede vor "hunderttausenden Zuschauern" (Wolf). Belangsendungen, das waren einst – inzwischen längst abgeschaffte – TV-Sendezeiten für politische Parteien zur Selbstdarstellung.

"Das muss man nicht so humorlos sehen, Herr Wolf"

So gab es mit diesen Wahlreden am gemeinsamen Pult der sieben doch noch optisch eine Runde der Kandidaten, auch wenn der amtierende Bundespräsident Alexander Van der Bellen wie seine Vorgänger nach der ersten Amtszeit eine TV-Konfrontation abgelehnt hatte. Für direkte Angriffe auf den "System- und Schweigepräsidenten" nutzten Michael Brunner (MFG) und, klar, Ex-BZÖ-Politiker Gerald Grosz diese Runde noch.

Doch noch eine Runde der sieben Kandidaten, aber keine Diskussion – im Vordergrund Susanne Schnabl und Armin Wolf.
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Van der Bellen hatte seine Weigerung zur Diskussion etwa mit der Würde des Amtes erklärt. Sind seine Tiktok-Videos mit Fußballtrikot, als Interviewer seines Hundes Juli oder im Gespräch mit sich selbst über seinen Bergunfall denn würdiger, will Wolf wissen. Van der Bellen: "Das muss man nicht so humorlos sehen, Herr Wolf."

Durch das Kandidatenfeld arbeiteten sich Wolf und Schnabl mangels Konfrontationswillen des Titelverteidigers in Einzelinterviews, bemüht um kritische Fragen bis zum Amtsinhaber. Der fand zum Beispiel "keine schlüssige Antwort auf den Unterschied zwischen dem Ibiza-Video und den ÖVP-Chats", monierte Politikwissenschafterin Kathrin Steiner-Hämmerle in der Analyse des Interviews mit Van der Bellen.

"Oida, es reicht"

Der amtierende Präsident räumte ein, dass seine Aufforderung an junge Menschen, ob der Teuerung "die Zähne zusammenzubeißen", "eine dumme Formulierung war, das gebe ich ehrlich zu. Das war in jeder Hinsicht blöd."

In der Sendung "Wahl 22: Die Kandidaten zur Bundespräsidentenwahl" spricht Bundespräsident Alexander Van der Bellen über seine bisherige Amtsführung und verteidigt diese. Er meinte, man könne es nicht allen recht machen.
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Was, wenn sich der inzwischen 78-Jährige in einer zweiten Amtszeit dann einmal nicht mehr so fit fühlt? Er werde dann wohl "die Zivilcourage haben, mir selbst zu sagen: Oida, es reicht." Nachsatz: "Aber ich glaube nicht, dass es dazu kommt."

Würde er Herbert Kickl als Regierungsmitglied oder gar als Bundeskanzler angeloben? "Sie glauben wirklich, dass mir jemand wieder Kickl als Innenminister vorschlägt?", fragt Van der Bellen zurück – will sich aber erst eine konkrete Antwort überlegen, wenn er vor der Entscheidung tatsächlich stehen sollte.

"Hirn in der Parteizentrale abgeben"

Die emotionalste Reaktion auf kritische Fragen des Abends lieferte, nicht ganz überraschend, Gerald Grosz. Als der Haudrauf – nach Fragen zu früheren Korruptionsfällen im BZÖ – erklärt, er sei noch nie vor Gericht gestanden, erinnert ihn Susanne Schnabl an seine Verurteilung 2007 wegen übler Nachrede, Kreditschädigung und Ehrenbeleidigung einer ORF-Journalistin. Ein zivilrechtliches Urteil, echauffiert sich Grosz, keine strafrechtliche Verurteilung, "gute Frau", und droht dem ORF gleich mit einer Gegendarstellung. Vermutlich, denn wörtlich droht Grosz Schnabl mit einer "Belangsendung". Die bekommt er erst am Ende der Sendung für 45 Sekunden Wahlrede.

  • Update: Grosz kündigt auf Twitter eine Klage gegen den ORF und seine Moderatoren und eine Rundfunkbeschwerde über seine Rechtsanwältin Huberta Gheneff an. Er sei nicht wegen übler Nachrede strafrechtlich verurteilt worden. DER STANDARD hat 2007 über das Verfahren berichtet – eine ORF-Journalistin hatte Grosz zivilrechtlich geklagt, weil er ihr (weit deftiger formuliert) sexuelle Kontakte zum beruflichen Vorteil nachgesagt hatte. Der Anwalt der Journalistin, Gottfried Korn, erklärt auf STANDARD-Anfrage am Freitag, man habe Grosz nicht strafrechtlich belangt, sondern zivilrechtlich (nach seiner Erinnerung möglicherweise, weil Grosz als Abgeordneter Immunität genossen habe, aber Nationalratsabgeordneter war Grosz erst ab Oktober 2008, noch ein Update). Durch ein Versäumnisurteil wurde er demnach rechtskräftig zivilrechtlich zur Unterlassung verurteilt nach Paragraf 1330 AGBG, also"Ehrenbeleidigung." Korn, Doyen des österreichischen Medienrechts, betont: "Natürlich ist auch die zivilrechtliche Ehrenbeleidigung eine üble Nachrede." Grosz' Anwältin Huberta Gheneff erklärt Freitag auf Anfrage, DER STANDARD habe damals über den Verfahrensausgang korrekt berichtet. Nun geht es in solchen Fällen üblicherweise darum, ob beim Durchschnittskonsumenten der ORF-Wahlsendung der Eindruck einer strafrechtlichen Verurteilung entstanden ist.
Gerald Grosz spricht unter anderem darüber, dass er die Regierung entlassen und Neuwahlen starten würde, wenn er zum Bundespräsidenten gewählt wird. Des Weiteren erzählt er, dass er die Sanktionen gegen Russland abschaffen möchte, indem er bei der EU-Kommission ein Veto einlegen würde.
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Dass man sich nicht "entblödet", ein Medienverfahren von 2007 hervorzuholen, grantelt Grosz. Und als er gefragt wird, ob er nach der Präsidentenwahl womöglich bei der FPÖ andockt, kommt er gleich selbst wieder auf 2007.

Er habe die Äußerungen damals "tätigen müssen, im Auftrag eines verrückten Parteichefs". Grosz war 2007 Generalsekretär des BZÖ, Parteichef war Peter Westenthaler. Und nein, zur FPÖ geht er auch nach der Präsidentenwahl nicht. Denn: Heute wisse er, "wie schön es ist, wenn man sein Hirn nicht in der Parteizentrale abgeben muss".


Der Zweifel macht den Anwalt

An der Funktionstüchtigkeit des Rechtsstaats in Österreich zweifelt rollengemäß etwa Michael Brunner (MFG) – für ihn ist "der Rechtsstaat nicht mehr gegeben". Und was unterscheidet ihn von einem Staatsverweigerer, will Schnabl wissen? "Wenn ich keine Zweifel hätte, wäre ich kein guter Rechtsanwalt."

Michael Brunner spricht unter anderem darüber, was er erreichen möchte, wenn er zum Bundespräsidenten gewählt wird. Des Weiteren erzählt er, dass er eine neue Bundesregierung ernennen wollen würde.
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Alle Gesetze einhalten? "Bring' ich nicht z'samm"

Schuhfabrikant Heinrich Staudinger hat etwas andere Schwierigkeiten mit dem Rechtsstaat: Wird er sich als Bundespräsident an alle Gesetze halten? "Das bring' ich nicht z'samm. Ich brauch den Spielraum, dass ich ein Gesetz einsehe."

Oberbefehlshaber des Bundesheers – eine Funktion des Bundespräsidenten – wäre Staudinger "doch, sehr gern", aber lieber mit einer "Reduzierung der Waffen".

Heinrich Staudinger spricht unter anderem darüber, wie für ihn ein Rechtsstaat funktionieren müsste und ob er sich als Bundespräsident an Gesetze halten würde. Außerdem erzählt er warum er auch als Nichtpolitiker seriös für das Bundespräsidentenamt ist.
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"Dieser Politikbetrieb ist sehr dümmlich"

Von Tassilo Wallentin will Wolf wissen, ob er tatsächlich glaubt, dass die amtierenden Politiker "lieber das Volk ruinieren, als einfache Lösungen umzusetzen" – einfache Lösungen, von denen der Anwalt gerne spricht und schreibt, für Teuerung, Energiekrise, Asylfragen.

Der Anwalt konstatiert: "Dieser Politikbetrieb ist sehr dümmlich." In diesem "Politikbetrieb sozialisiert zu sein" sei ein "Manko", dann könne man die anstehenden Probleme gar nicht lösen. Nachsatz: "Und ein Teil des Politikbetriebs ist der ORF, deshalb stehen Sie ja so in der Kritik."

Davor haben Schnabl und Wolf sich und ihn gefragt, ob Wallentin nicht eher die Funktion des Bundeskanzlers anstreben sollte– der ist ja operativ zuständig für politische Problemlösung, und nicht ein Bundespräsident. Und Schnabl erinnerte die Kandidatur des langjährigen "Krone bunt"-Kolumnisten an einen "Krone"-Sportkommentator, der sich als Nationaltrainer bewirbt. Da kommt dann der "dümmliche Politikbetrieb".

Tassilo Wallentin spricht unter anderem darüber, wie er als Bundespräsident das Problem mit der Inflation lösen würde. Außerdem erzählt er, warum er eine Haftung für Politikerinnen und Politiker einführen möchte.
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"Kriegsgeile" EU

Walter Rosenkranz (FPÖ) bestätigt einen Tweet seines Parteikollegen Harald Vilimsky von einer "kriegsgeilen EU" (erklärt mit den Waffenlieferungen an die Ukraine); Rosenkranz würde aber "heute" bei einer allfälligen Volkabstimmung "noch Nein sagen" zu einem EU-Austritt.

Walter Rosenkranz spricht unter anderem darüber, dass Österreich den neutralen Weg verlassen hat. Des Weiteren redet er davon, ob er eine Volkabstimmung für den Austritt aus der EU machen würde.
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Er muss sich daran erinnern lassen, dass er schon einen "glühenden Antisemiten" – Julius Sylvester – als Vorbild nannte, er in einer Festschrift unter Burschenschaftern in der Ersten Republik, auf die man stolz sein könne, auch drei illegale Nationalsozialisten aufführte, und dass seine Burschenschaft Libertas in ihrem Wahlspruch auch "ein deutsches Herz" hat. "Ich bin kein Antisemit", betont Rosenkranz, auf einen der genannten Burschenschafter, später im NS-Regime Generalstaatsanwalt, "auf den muss man nicht mehr stolz sein", und er wolle natürlich "rot-weiß-roter" Bundespräsident werden.

Apropos: "Es ist denkunmöglich", sagt Rosenkranz, dass ein anderer Kandidat als er in die Stichwahl kommt – "wenn es eine Stichwahl gibt, bin ich der Zweite".

Aber dann lässt er sich doch noch zu einer Spekulation hinreißen: "Wenn die Stichwahl Van der Bellen gegen Wlazny wäre, würde ich vielleicht zu Hause bleiben."

Unter der Fahne der Bierpartei

Ach ja, Dominik Wlazny. Der hatte im Interview mit seinen Identitäten einiges zu tun, fand aber zwischen Pogo und Wlazny doch klare Worte und auch gleich ein schönes Bild für eine Partei, die nach einem alkoholischen Getränk benannt ist: "Marco Pogo wird nicht unter der Fahne der Bierpartei antreten – das tut Dominik Wlazny." Unter diesem Namen und nicht dem seiner Musiker-Identität tritt er ja auch bei der Bundespräsidentenwahl an.

Dominik Wlazny spricht unter anderem darüber, wie er eine volksnahe Politik schaffen möchte. Des Weiteren erzählt er, welche Einstellung er zur Neutralität von Österreich hat.
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Open Mike

Und wie performte der ORF beim Interviewmarathon? Es wäre doch ganz schön, wenn es der größte Medienkonzern des Landes mit doch einiger TV-Erfahrung schaffen würde, dass die Analysen von Kathrin Steiner-Hämmerle und Katrin Prapotnik nicht von Konversationen abseits der Kamera über offene Mikros etwa von Armin Wolf untermalt würden. Das stört schon ein bisschen.

Aber: Für sieben Interviews mit schon recht bekannten Bundespräsidentschaftskandidaten in Serie ein durchaus zügiger Abend. Bis zu den sieben – immerhin knapp limitierten – Wahlreden. (Harald Fidler, 7.10.2022)