"Ich kenne diesen Typen ziemlich gut", sagte US-Präsident Joe Biden am Donnerstag während einer Spendengala der Demokraten in New York über seinen russischen Kollegen Wladimir Putin. Und fügte eine grimmige Warnung an: "Er scherzt nicht, wenn er über den möglichen Einsatz von taktischen Atomwaffen oder biologischen oder chemischen Waffen spricht."

Die Welt, sagte der Anführer der stärksten Militärmacht des Planeten den meist zahlungskräftigen Spenderinnen und Spendern, stehe wegen Putins Ukraine-Kriegs so nahe an einem Atomkrieg, dem "Armageddon", wie seit 60 Jahren nicht mehr. Damals, im Oktober 1962, hatte die Welt die Luft angehalten, während sich die USA und die Sowjetunion wegen Moskaus Stationierung von Atomwaffen auf Kuba einen Krieg der Worte lieferten.

Russische Misserfolge in der Ukraine

Nun befürchtet Biden, Putin könne seine Drohungen wahr machen und wegen der schlechten Performance der russischen Truppen in der Ukraine auf die nukleare Karte setzen. Und warnt seinen Kollegen: "Ich glaube nicht, dass man so einfach eine taktische Nuklearwaffe einsetzen kann und nicht vor einem Armageddon steht."

Biden bei seiner Rede in New York.
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Das Weiße Haus hatte zuvor stets erklärt, es gebe trotz Putins "nuklearen Säbelrasselns" keine Anzeichen dafür, dass sich Russland auf einen Einsatz von Atomwaffen vorbereite. Ob Bidens Warnung ein Indiz dafür ist, dass man in Washington umzudenken beginnt, ist unklar.

Schon wird kolportiert, wie die USA und ihre Verbündeten auf einen Atomschlag Russlands in der Ukraine reagieren würden. Die meisten Fachleute gehen davon aus, dass Washington mit einem konventionellen Gegenschlag antworten könnte, nicht mit einer Atomwaffe.

Der ehemalige US-Viersternegeneral und CIA-Direktor David Petraeus hatte am Wochenende in einem Interview skizziert, wie eine US-Antwort aussehen könnte: Die USA, so Petraeus, würden "alle russischen Truppen" in der Ukraine vernichten und die gesamte Schwarzmeerflotte versenken. "Man muss zeigen, dass das auf keinen Fall hingenommen werden kann", erklärte er.

Ausweg für Putin gesucht

Präsident Biden wurde noch ein wenig konkreter, was die Gefahr eines Atomschlags betrifft. "Zum ersten Mal seit der Kubakrise sehen wir die Gefahr einer Atomwaffe, wenn die Dinge so weitergehen, wie sie es derzeit tun." Gleichzeitig machte sich der Demokrat, dessen Partei im November die Midterm-Wahlen zu schlagen hat, Gedanken darüber, wie Putin auf diplomatischem Weg Einhalt zu gebieten sei. "Wir versuchen herauszufinden, wie er aus dieser Situation herauskommt. Wie kann er das schaffen, ohne nicht nur sein Gesicht zu verlieren, sondern auch seine Macht in Russland?"

Gipfel in Genf.
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Tatsächlich kennen die beiden Präsidenten einander gut. Elf Jahre ist es her, dass Biden zum ersten Mal auf Putin traf. "Sie haben keine Seele", soll der damalige US-Vizepräsident dem Russen bei ihrer ersten Begegnung von Angesicht zu Angesicht in Russland gesagt haben. "Wir zwei verstehen uns", heißt es, habe der damalige russische Ministerpräsident dem Amerikaner geantwortet. Zuletzt traf man einander im vergangenen Jahr in Genf – zu jedenfalls etwas friedlicheren Zeiten. (Florian Niederndorfer, 7.10.2022)