Der Mutter-Kind-Pass gilt in Österreich als Errungenschaft. Durch die Einführung von kostenlosen Untersuchungen für Schwangere und Babys wurde die Sterblichkeit von Müttern und Säuglingen reduziert. Nun droht die Ärztekammer im Zuge von Reformverhandlungen mit dem Gesundheitsministerium, diese Kassenleistung zu streichen. Könnte das wirklich passieren? Und was würde das bedeuten? DER STANDARD hat auf drängende Fragen die Antworten gesucht.

Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen sind die Voraussetzung dafür, dass Familien Kinderbetreuungsgeld bekommen.
Foto: IMAGO/Tanya Yatsenko

Frage: Was passiert da gerade?

Antwort: Ärztekammer und Gesundheitsministerium verhandeln intensiv über eine Reform des Mutter-Kind-Passes. In den vergangenen Tagen gab es mehrere Gesprächsrunden der Ärztevertreter mit Gesundheitsministerium, Familienministerium und den Zuständigen von der Sozialversicherung. Am Donnerstag hat die Ärztekammer nun öffentlich eine Drohung ausgesprochen: In Wien, Niederösterreich und der Steiermark sei der Ausstieg aus dem Mutter-Kind-Pass bereits mit Ende März 2023 beschlossen, in den Ärztekammern in Oberösterreich und Kärnten würden die Vorbereitungen dafür laufen.

Frage: Warum macht die Ärztekammer das?

Antwort: Die Vertreter der Ärzteschaft fordern mehr Geld. Derzeit bekommen Medizinerinnen und Mediziner ein Honorar von 18,02 Euro für eine Mutter-Kind-Pass-Untersuchung. Dieses Honorar sei nicht erhöht worden, obwohl die Vorsorgeleistungen mehr geworden seien, klagt die Ärztekammer. Darüber hinaus seien in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Gespräche darüber geführt worden, das Modell des Mutter-Kind-Passes auszubauen und zu verbessern. Die Vorschläge der Ärztekammer seien jedoch ignoriert worden. Im Finale der Gespräche will die Ärzteschaft die Politik nun eben mit einer drastischen Ankündigung unter Druck setzen, hört man vonseiten der anderen Verhandler.

Frage: Wie realistisch ist das Aus für den Mutter-Kind-Pass wirklich?

Antwort: Es ist schwer vorstellbar, dass das wirklich eintritt. Auch im Gesundheitsministerium wird die Gefahr deutlich relativiert. Eine umfassende Reform des Mutter-Kind-Passes könne schon bald präsentiert werden. Auch die Anpassung der ärztlichen Honorare werde diskutiert. "Wir befinden uns dazu in einem engen Austausch. Mit einem Ergebnis ist recht zeitnah zu rechnen", wird aus dem Ressort des grünen Gesundheitsministers Johannes Rauch ausgerichtet.

Frage: Was ist der Mutter-Kind-Pass überhaupt genau?

Antwort: Der Mutter-Kind-Pass soll durch Untersuchungen einen sicheren Schwangerschaftsverlauf bis zur Geburt gewährleisten. Darüber hinaus sind regelmäßige Arztbesuche des Kindes bis zum fünften Lebensjahr vorgesehen. Eingeführt wurde das Vorsorgeinstrument im Jahr 1974 mit dem Hauptziel, die Säuglings- und Müttersterblichkeit zu senken – was auch gelang. Inzwischen steht die Früherkennung von Gesundheitsrisiken und Erkrankungen im Vordergrund. Bei Kassenärztinnen sind Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen kostenlos. Der Pass kann von jeder schwangeren Frau in Anspruch genommen werden, auch wenn sie nicht österreichische Staatsbürgerin ist.

Frage: Sind Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen verpflichtend?

Antwort: Nicht wirklich, aber etwas um die Ecke dann auch wieder schon. Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen sind nämlich die Voraussetzung dafür, dass Familien Kinderbetreuungsgeld bekommen. Die korrekte Durchführung und der Nachweis der ersten zehn Untersuchungen im Pass sind an die Auszahlung geknüpft. Das soll Eltern dazu bewegen, die Untersuchungen auch wirklich wahrzunehmen.

Demnächst soll der Mutter-Kind-Pass in Eltern-Kind-Pass umbenannt und digitalisiert werden.
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Frage: Welche Untersuchungen umfasst der Mutter-Kind-Pass?

Antwort: Der Pass beinhaltet eine Reihe an Untersuchungen für Mutter und Kind. Unter anderem sind gynäkologische, orthopädische sowie augenärztliche Kontrollen und Blutuntersuchungen vorgesehen. In einem medizinischen Notfall kann der Arzt oder die Ärztin auf Informationen im Pass zurückgreifen und schnell handeln.

Frage: Was würde es für Familien bedeuten, wenn die Ärztekammern aus dem Mutter-Kind-Pass "aussteigen"?

Antwort: Wenn die Länderkammern aus dem Modell "aussteigen", wie sie das nennen, wäre es für Familien in den betroffenen Bundesländern nicht mehr möglich, Untersuchungen kostenlos bei Kassenärzten in Anspruch zu nehmen. Die Behandlungen müssten kostenpflichtig durchgeführt werden – und das kostet einiges. Denkbar wäre, dass dann etwa noch Amtsärzte die Untersuchungen gratis durchführen, aber das wäre wohl nicht mehr als ein wenig praktikabler Notfallplan.

Frage: Wurde der Mutter-Kind-Pass nicht kürzlich in Eltern-Kind-Pass umbenannt?

Antwort: Noch nicht, aber das steht bald bevor. Der Nationalrat stimmte vergangenes Jahr einstimmig für die "möglichst rasche" Umbenennung des Mutter-Kind-Passes auf "Eltern-Kind-Pass". Auch dafür würden derzeit die Vorbereitungen laufen, heißt es aus dem Gesundheitsministerium auf Anfrage des STANDARD.

Frage: Und was soll die gesamte Reform des Mutter-Kind-Passes bringen?

Antwort: Es geht um einen möglichen Ausbau der Leistungen, "fachliche Weiterentwicklung", die Digitalisierung des derzeit noch gelben Papierheftchens und eben die Anpassung der Honorare für Ärztinnen und Ärzte. (Katharina Mittelstaedt, Max Stepan, 7.10.2022)