Gramais zählt fast doppelt so viele Gästebetten (75) wie Einwohnerinnen und Einwohner (41).

Foto: Julia Beirer

Der Motor heult auf. Im dritten Gang schafft es der blaue Ford Fiesta die steile Bergstraße, die in die kleinste Gemeinde Österreichs führt, nicht. Acht Kilometer später darf der Motor direkt hinter dem Ortsschild Gramais auf 1321 Meter Seehöhe endlich rasten.

Rasten und zur Ruhe kommen im Tiroler Bergdorf – das ist auch das Ziel vieler Touristen und Urlauberinnen. Und davon gibt es zuhauf. Rund 75 Gästebetten vermieten die 41 Einwohner. "Es ist unglaublich. 15 Häuser und 15 Vermieter", sagt Altbürgermeister Werner Friedle während eines Kurzbesuchs im Gemeindeamt bei seiner Nachnachfolgerin Stefanie Krabacher.

Friedle ist zu Fuß unterwegs. Wer einmal das Gemeindeschild passiert hat, benötigt kein Auto. Die 15 Bauern- und Einfamilienhäuser sowie Gasthaus, Kirche, Hofladen und Bücherzelle – eine zum Bücherregal umfunktionierte Telefonzelle neben dem Gemeindeamt – sind in zehn Gehminuten erreichbar.

Seit Februar diesen Jahres ist Stefanie Krabacher Bürgermeisterin in Gramais.
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Die 37-Jährige ist die erste Frau, die das Amt im Dorf innehat. Damit ist Krabacher eine von 209 Bürgermeisterinnen, die auf 1186 Bürgermeister in Österreich kommen. Warum gibt es so wenige Ortschefinnen?

"Es ist sehr zeitintensiv", sagt Krabacher. "Amt und Familie unter einen Hut zu bringen ist für Frauen oft schwieriger." Auch sie hat zwei Kinder im Volksschul- und Kindergartenalter. Alois und Hermine sind beim Termin im Gemeindeamt dabei. "Es ging nicht anders", entschuldigt sich die Bürgermeisterin.

Neben Sitzungen organisiert Krabacher auch den Planungsverband. In Gramais, das in einem Seitental des Lechtals liegt, seien derzeit zwei Bauvorhaben umzusetzen. "Fünf Jahre lang war nichts, jetzt haben wir gleich zwei", sagt sie. "Für eine kleine Gemeinde wie Gramais und eine Anfängerin wie mich ist da viel zu tun."

Gallisches Dorf im Lechtal

Krabachers Wahl im Februar diesen Jahres war zukunftsweisend. Die Wahlbeteilung lag bei 95 Prozent, davon stimmten 100 Prozent für Krabacher. Sind die Gramaiserinnen und Gramaiser weniger politikverdrossen als der Rest Österreichs?

Die Bürgermeisterin ortet den Grund woanders: Es war die erste Wahl seit zwölf Jahren. 2016 kam keine Liste zustande. Bürgermeister Michael Fasser war nach 16 Jahren amtsmüde und brachte für die Bürgermeister- und Gemeinderatswahl keinen Wahlvorschlag ein. Nachdem sich keine andere Kandidatin gemeldet hatte, blieben die im Jahr 2010 gewählten Gemeinderäte mit Fasser als Bürgermeister im Amt. So sieht es die Tiroler Gemeindewahlordnung (TGWO) vor.

Doch das Problem war nur aufgeschoben. Die Wahlen im Februar 2022 rückten immer näher. "Wenn keiner Bürgermeister werden möchte, wird man irgendwann mit einer anderen Gemeinde zusammengelegt", sagt Krabacher. "Es geht um die Eigenständigkeit des Dorfes." Die Gramaiserinnen und Gramaiser wollen nicht in das Nachbardorf Häselgehr eingemeindet werden.

Also seien die Menschen auf Krabacher zugekommen. "Mir liegt Gramais sehr am Herzen", sagt sie. Daher entschied sie sich, es durchzuziehen. Der neunköpfige Gemeinderat war schnell gefunden: Aus fast jedem Haus sitzt eine Person im Gemeinderat. Die Menschen seien motiviert, der Zusammenhalt gut.

Trotzdem hat Gramais mit Abwanderung zu kämpfen. Seit 2017 verzeichnet die Zwerggemeinde ein Minus von rund 12,8 Prozent.

Namaste, Auszeitdorf

Krabacher hat mehrere Ideen in petto, um dem Schwund zukünftig entgegenzuwirken. Die Jungen, die noch nicht weggezogen sind, könnten mit einem Baugrund der Gemeinde – zwei sind derzeit frei – und Gesprächen motiviert werden, im Dorf zu bleiben. "Das Herz muss aber auch nach Gramais wollen", sagt Krabacher. "Ansonsten wird es schwierig."

Sie selbst habe während ihres Studiums in Innsbruck ihren Hauptwohnsitz in Gramais nie abgemeldet. Sorge, dass sich das Dorf irgendwann auflöse, habe sie schon, gleichzeitig hoffe sie, dass auch Aussteiger ihren Weg über die steile Bergstraße nach Gramais fänden.

Gramais vermarktet sich als Auszeitdorf. Yogastunden werden ebenfalls angeboten.
Foto: Julia Beirer

Das trifft auch auf die Betreiber der sogenannten Bergschule zu. Er ist Bergführer, sie ist Werbegrafikerin und kann remote arbeiten, erzählt die Bürgermeisterin. Homeoffice ermögliche Gramais ohnehin eine ganz neue Perspektive, um junge Menschen zurückzuholen.

Arbeitsplätze bietet vor allem aber der eingangs erwähnte Tourismus. Jagen und Wandern sind besonders beliebt. Ein großer Banner lädt zudem zu "Secret Garden Yoga" ein. Gramais vermarktet sich als Auszeitdorf. "In Gramais ist nichts los, das merkt man schon, wenn man reinfährt", sagt Krabacher. "Danach sehnen sich Urlauber immer mehr."

Wer Digital Detox ohne Internet und Smartphone will, ist in der Zwerggemeinde richtig – Empfang gibt es kaum. Für diesen muss der blaue Ford Fiesta die steile Bergstraße erst wieder hinunter. Der Motor heult nicht, dafür glühen die Bremsen. (Julia Beirer, 14.10.2022)