Haley Fohr alias Circuit des Yeux in einem heiteren Moment.

Foto: Matador

Dass sich Haley Fohr mit der Welt der außerfaktischen Wissenschaft beschäftigt, macht ihr aktuell ziemlich zu Gemüt gehender Oracle Song deutlich. In diesem behauptet die US-Musikerin mit dem schwer übersetzbaren, irgendwo zwischen Englisch für Stromkreis und Französisch für Augen stehenden Künstlernamen Circuit des Yeux auf ihrem Album -io zwar, dass sich die Seele in einem Menschenleben sechsmal erneuern würde. Allerdings muss man dieser Behauptung im Sinne der Leib-Seele-Problematik aufgrund der ungleich öfter stattfindenden physiologischen Regeneration der Zellen grundsätzlich skeptisch begegnen.

Es heißt, alle sieben bis zehn Jahre sei ein gesunder Mensch völlig neu geschaffen, und der alte Festkörper zwischen Lurch in der Wohnung, Sand im Getriebe und Teppichboden im Büro gut verteilt. Aber dann kommen über die Jahre das Leben und die Probleme dazu. Sie steigen einem auf die Bremse. Das Herz zum Beispiel erneuert sich im Gegensatz zur Haut so gut wie nie. Und auch die Seele bleibt letztlich eine einmal und dann wohl für immer geschundene. Ein Album von Circuit des Yeux anzuhören, das ist also nicht immer einfach.

Circuit des Yeux

Die Frau aus Chicago berührt im besagten Oracle Song noch dazu ein viel härteres Thema als den bloßen Verfall des Körpers. Es geht um den körperlichen und seelischen Missbrauch junger Frauen: "You’re surrounded by the same men, that buried me when I was 17."

Die Frau mit der dunklen, weit in menschliche Abgründe schwingenden Altstimme erinnert musikalisch sowohl an die Folk- und Bluestragödin Karen Dalton wie auch an den avantgardistischen Pathetiker Scott Walker. Für Eilige sei in der Mitte zwischen den beiden Polen auf Annie Lennox und den eurythmischen Trauermarsch Sweet Dreams auf Valium verwiesen: "Some of them want to use you / Some of them want to get used by you / Some of them want to abuse you / Some of them want to be abused."

Circuit des Yeux

Nach Anfängen mit karg, oft nur mit Gitarre eingespielten Liedern liegt mit dem Album -io ihr bis dato opulentestes Werk vor. Ein großes Orchester wühlt in den Notenblättern von Bernard Herrmann für seine Hitchcock-Soundtracks. Ein Klavier wuchtet mit Forte-Pedal Drama und Verzweiflung. Das Cello hat ein Schütteltrauma, der Kontrabass sägt das Holz für den Sarg zurecht. Eine in diesem Zusammenhang fast heitere E-Gitarre klirrt und quengelt aktuell nur manchmal dazwischen, etwa im an Siouxie and the Banshees erinnernden Cold-Wave-Song Dogma: "If it’s good for you, then it’s good for me." Deckel zu, Nägel rein. Die Stimmung war schon besser. Wer aber setzt sich daheim hin und schreibt Songtexte, wenn er gerade besonders gut drauf ist?

Wer sich aber auf Circuit des Yeux einlässt, wird mit diesen schwermütigen Orchester-Elogen bestens mitgenommen: "Our voices meet in the dark ... I’m walking toward winter with you." Früher gingen die Bestatter in Dörfern im Herbst von Haus zu Haus und schauten, wie viele Gräber sie noch ausheben sollten. Im Winter war das mit der Schaufel unmöglich. Der Boden war gefroren. (Christian Schachinger, 7.10.2022)