Der Lavarückengorilla ist nur einer von vielen furchteinflößenden Giganten in "Wild Hearts".

Behutsam schleicht sich die Jägerin im hohen Gras an die nahegelegene Felsformation heran. Die Fährte der Beute hat sie zuvor schon aufgenommen, noch ahnt sie aber nicht, welche Herausforderung sie auf dem fernöstlichen Bergplateau erwartet. Als sie vorsichtig über den Felsen blickt, baut sich ein meterhohes Ungetüm vor ihr auf, das man in unserer Welt wohl als sechsäugigen Eber mit gigantischen Stoßzähnen und Stachelrücken beschreiben würde. "King Tusk" wartet auf einen Showdown, der Kampf kann beginnen.

Das Action-Rollenspiel "Wild Hearts" will neue Maßstäbe für die Monsterjagd auf Konsole und PC setzen.
Foto: Electronic Arts/Screenshot bbr

Das Action-Rollenspiel "Wild Hearts" entsteht derzeit gerade in einer ungewöhnlichen Kooperation zwischen Koei Tecmo und EA Originals und wird im Februar nächsten Jahres für Playstation 5, Xbox Series sowie PC (Epic und Steam) erscheinen. Für beide Publisher ist das Genre mit dem Fokus auf "Hunting und Crafting" noch Neuland, dennoch haben sie sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: "Wild Hearts" soll der neue Goldstandard für diesen Spieletyp werden. DER STANDARD konnte anhand einer Vorversion für den PC erste Blicke ins Spiel werfen.

Mutiges Beuteschema

So tapfer es sein mag, sich im Spiel als Jäger einer kolossalen, wildgewordenen Sau zu stellen, so verrückt wirkt auf den ersten Blick auch das Unterfangen von "Wild Hearts". Die Sau oder der sprichwörtliche Elefant im Raum, um den es in dem Fall geht, ist "Monster Hunter". Die Marke von Capcom ist die unangefochtene Nummer eins im Genre und hat sich bereits mehr als 84 Millionen Mal verkauft (Stand: Juni 2022). Wer "Monster Hunter" als direkte Konkurrenz ins Visier nimmt, der hat sich zweifelsohne viel vorgenommen.

WILD HEARTS

Die Entwicklung von "Wild Hearts" liegt seit vier Jahren in den Händen des Studios Omega Force, das in unseren Breitengraden für die Serien "Samurai Warriors" und "Dynasty Warriors" bekannt ist. Die Schlagrichtung des Spiels bleibt stilistisch nahe an der Vergangenheit der Entwickler dran, weicht spielerisch aber doch deutlich ab: Dreh- und Angelpunkt ist das Erlegen gigantischer Bestien in einer Fantasy-Welt, die sich am feudalen Japan und seiner Mythologie orientiert.

Vor und nach der Jagd bereiten Spieler sich vor, indem sie das Land von "Azuma", so heißt die offene Spielwelt, nach Ressourcen abgrasen. Mit den gefundenen und erbeuteten Materialien lässt sich der eigene Charakter individualisieren. Vor allem aber sollte man sein Equipment aufwerten, um sich gegen zunehmend gefährlichere Kreaturen behaupten zu können. Das grundlegende Spielprinzip erfindet also das Rad nicht neu.

Gemeinsam oder einsam stark

In der Vorversion konnte man gegen die ersten drei "Kemono" antreten, so lautet die Bezeichnung für die gigantischen Fabelwesen. Das hat im Solo-Modus auch einwandfrei geklappt, eine Verbindung zum Koop-Modus für bis zu drei Spieler ließ sich aber leider nicht herstellen.

"Ich schau dir in die Augen, Kleines!": Ist ein Kemono erlegt, kann man erst einmal tief durchatmen und dann zum finalen Schlag ansetzen.
Foto: Electronic Arts/Screenshot bbr

Für die finale Version hat sich "Wild Hearts" diesbezüglich viel vorgenommen. Unabhängig vom individuellen Spielfortschritt können Spielerinnen und Spieler dem Koop-Modus zunächst jederzeit beitreten. Der Schwierigkeitsgrad skaliert dynamisch, und auch um die Beute muss sich niemand streiten, weil sie jeder Teilnehmer instanziert erhält. Darüber hinaus wurde mittlerweile auch schon bestätigt, dass der Koop-Modus plattformübergreifend unterstützt wird.

Go-Go-Gadgeto – Harpunenwerfer!

Die Unterstützung von Crossplay wäre schon einmal ein positives Unterscheidungsmerkmal zu "Monster Hunter". Aber was will man Spielerinnen und Spielern noch bieten, um vom Platzhirsch abzulenken? Die Antwort verbirgt sich hinter den Begriffen "Karakuri" und "Kemono".

Hinter den sogenannten Karakuri verbirgt sich eine Art magische Armschiene, mit der sich unterschiedliche Gadgets aus Holz aufs Schlachtfeld zaubern lassen. In der simpelsten Form sind das stapelbare Holzwürfel, die Schutz vor dem Feind bieten oder als Erhöhung dazu genutzt werden können, sich vor Flächenangriffen am Boden zu schützen. Oder die Chance für eine erhöhte Angriffsposition ermöglichen, was bei turmhohen Gegnern tatsächlich auch Sinn macht und oft zum Einsatz kommt.

Mal eine Kiste, mal eine Seilwinde: Die Karakuri sind ein vielseitiger Gamechanger.
Foto: Electronic Arts/Screenshot bbr

Karakuri steht aber auch für zahlreiche andere Gadgets, die man mit fortschreitender Handlung freischaltet: Helikopterartige Holzkreisel und Seilwerfer helfen bei der Überwindung großer Distanzen in der Spielwelt. Gigantische Hämmer, Ballistae oder Harpunenwerfer erweitern aber auch die eigene Angriffskreativität. Apropos: Die Hauptwaffen bei "Wild Hearts" sind in acht große Kategorien unterteilt und lassen insgesamt an die 200 unterschiedliche Individualisierungsgrade zu, stellt der Entwickler in Aussicht. Neben traditionellen Schwertern und Bögen darf man sich also auch über ein umfangreiches Arsenal an Waffen freuen.

Naturbelassene Kreaturen

Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu "Monster Hunter" sind die Monster selbst. Hier hat man einerseits bewusst darauf verzichtet, sich optisch an Drachen oder Dinosauriern zu orientieren. Die Kemono sind überdimensionale Abbilder von Tieren aus unserer realen Welt: Von Ratte über Dachs und Wildsau bis hin zu Gorilla und Bär muss Mutter Natur als Vorlage herhalten – und wird mit Elementen japanischer Mythologie angereichert.

Erhöhte Positionen bringen in "Wild Hearts" meistens den entscheidenden Vorteil.
Foto: Electronic Arts/Screenshot bbr

Andererseits sollen die Kemono auch die Spielumgebung zu ihrem Vorteil manipulieren können. Das bedeutet konkret, dass sie ganze Landstriche mit ihren elementaren Kräften verwüsten, um Spielerinnen und Spieler auf diese Weise zu alternativen Angriffsmethoden zu animieren. In der Vorversion noch nicht nachvollzogen werden konnte der Fall, dass zwei Kemono in der Spielewelt durchaus auch Wege kreuzen können. Gut möglich, dass es zu einem späteren Zeitpunkt des Spiels sogar zur Aufgabe wird, ein solches Ereignis zu triggern.

David gegen Goliath

Das Hands-on zu "Wild Hearts" hat gezeigt, dass großes Potenzial in diesem Action-Rollenspiel schlummert. Auf den technischen Unterbau, die proprietäre Katana-Engine, soll nicht näher eingegangen werden – das macht in diesem Stadium wenig Sinn und wäre auch nicht fair. Aber rein spielerisch fühlen sich die multifunktionalen Gadgets aus Holz und die interaktiven wie umtriebigen Kemono frisch genug an, um eine Konkurrenz zu "Monster Hunter" zu rechtfertigen. Zumal derzeit auch bessere Mehrspieler-Funktionalitäten in Aussicht gestellt werden, als dies beim Platzhirsch der Fall ist.

Nichtsdestotrotz muss auch klar sein, dass "Wild Hearts" noch einen weiten Weg vor sich hat, wenn man "Monster Hunter" als Gesamtpaket auf Augenhöhe begegnen will. Der Vergleich zwischen David und Goliath liegt nahe, nur könnte in diesem Fall nicht eine Steinschleuder den Ausschlag geben, sondern eben ein Karakuri. (Benjamin Brandtner, 10.10.2022)