Einer der Luftschutzkeller in Kiew.

Foto: Prugger

Lesia und ihre zwölfjährige Tochter Maria sitzen händchenhaltend an einem Tisch im Bombenschutzkeller der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität im Zentrum von Kiew. "Und wir dachten, dass wir hier normal weiterleben können", sagt die 38-Jährige mit zitternder Stimme. "Gestern Abend war ich bei einer Stand-up-Comedy-Show."

Zwei Tage nachdem eine Explosion die russische Brücke zur Krim beschädigt hatte, wurde die ukrainische Hauptstadt angegriffen. Zum ersten Mal seit Kriegsbeginn im vergangenen Februar wurde das Zentrum von Kiew getroffen. Raketen beschädigten eine Kreuzung und einen Park, in dessen unmittelbarer Nähe sich die Oper, Museen, eine bekannte Einkaufsstraße und ebenjene Uni befinden. Außerdem getroffen wurde eine Fußgängerbrücke mit Aussichtspunkt auf den Fluss Dnipro. Die Brücke wurde vor zwei Jahren eingeweiht und ist eines der Prestigeprojekte des Kiewer Bürgermeisters Witali Klitschko.

Die Explosionen gingen am Montagmorgen weiter, während sich die Einwohner der Hauptstadt in die Luftschutzkeller zurückziehen mussten. Die Einsatzdienste melden, dass es mindestens zehn Tote und über 60 Verletzte gebe. Es wird befürchtet, dass diese Zahlen aber noch steigen werden.

Keine Sicherheit

Das Gewölbe des Uni-Luftschutzkellers ist niedrig, die Mauern sind kahl. Neben Lesia und ihrer Tochter sitzen am Montag noch viele weitere Menschen auf einfachen Bänken eng aneinandergedrängt. Die Leute tragen Jacken, denn es ist kühl hier unten. Es sind alles Mitarbeiter der Uni. Studenten gibt es keine – sie werden noch immer online unterrichtet. Solange der Krieg nicht vorbei ist, wird das wohl auch so bleiben, sagt der stellvertretende Rektor, Andryi Petrowitsch, der im Anzug, mit Brille und Aktentasche nach dem Rechten sieht.

"Wir sind in den vergangenen Wochen nicht mehr in die Keller, wenn es Luftalarm gab, sagt Lesia. "Es war ein Fehler zu glauben, dass wir in Sicherheit sind. Als wir in das Gebäude reingerannt sind, hat es hinter uns Glasscherben geregnet."

Vor wenigen Monaten kam Lesia mit ihrer Tochter aus Frankreich zurück, wohin sie nach Beginn des Krieges geflüchtet waren. "Ich werde meine Tochter in den Westen des Landes bringen", erklärt Lesia und erntet einen besorgten Blick von Maria, die per Handy den Nachrichten ihrer Freunde antwortet. "Eigentlich hätte ich gerade Informatikunterricht", sagt sie und beginnt zu malen. Draußen ertönt ein Knall nach dem anderen. (Daniela Prugger aus Kiew, 10.10.2022)