Leindotter wurde als Ölpflanze schon in der Bronzezeit in Teilen Europas angebaut. Seine Widerstandsfähigkeit gegen Trockenheit macht ihn in Zeiten des Klimawandels wieder interessant.
Foto: AgroParisTech-INRAe

Mit der ins Land ziehenden Erntezeit erlischt zumeist eine Sorge, die Landwirtinnen und Landwirte vor allem im Frühjahr umtreibt. Ausbleibender Niederschlag in der Vegetationsphase sorgte in den vergangenen Jahren wiederholt für Kopfzerbrechen.

Dabei könnte ein potenzieller Lösungsansatz bereits auf hiesigen Feldern wuchern. Besonders auffällig ist der zu den Kreuzblütlern gehörende Leindotter, wissenschaftlich Camelina sativa, nicht. Zwar wird er bis zu 1,20 Meter hoch, doch die gelben Blüten, die er von Mai bis Juli ausbildet, sind recht unscheinbar. Umso interessanter sind die circa zwei Millimeter großen Samen, die sich daraus entwickeln.

Rund 30 bis 35 Prozent ihres Gewichts machen nämlich ungesättigte Omega-3-Fettsäuren aus, die unter anderem eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Entzündungen spielen, von Mensch und Tier aber nicht selbstständig gebildet werden können. Für die Produktion dieser wertvollen Samen braucht der Leindotter weder einen speziellen Boden noch besondere klimatische Verhältnisse.

Hitze und Frost trotzen

Camelina sativa ist anspruchslos, was Nährstoffe betrifft, und sehr widerstandsfähig gegen Hitze, Frost und Trockenheit. Nichtsdestoweniger wird seit den 1950er-Jahren viel häufiger der nahe verwandte Raps (Brassica napus) angebaut. In einer Welt jedoch, die zusehends an Wassermangel leidet, macht gerade seine hohe Resistenz gegen Trockenheit den Leindotter zu einer vielversprechenden Nutzpflanze. Ein internationales, von der EU im Rahmen von Horizon 2020 finanziertes Projekt unter Leitung von Claudia Jonak vom Austrian Institute of Technology (AIT) in Wien beschäftigt sich deshalb intensiv mit Camelina sativa.

Die Pflanze ist in Europa seit der Bronzezeit bekannt.
Foto: Imago/Leemage

Jonak forscht bereits seit vielen Jahren an Stressreaktionen von Pflanzen, bis vor kurzem aber eher im Labor an Modellorganismen wie der ebenfalls nahe mit dem Leindotter verwandten Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana). Ihre Suche nach einer geeigneten Kulturpflanze für angewandte Forschung brachte Jonak vor mehreren Jahren auf den Leindotter und seine bemerkenswerte Trockenheitstoleranz.

Kontakte zu ebenfalls interessierten Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern Europas führten zu einem Netzwerk, das sich 2020 erfolgreich um ein EU-Projekt bewarb, das sich mit Mechanismen der Stresstoleranz bei Kulturpflanzen befassen sollte. Seither wird unter dem Titel UNTWIST (Uncover and Promote Tolerance to Temperature and Water Stress in Camelina sativa) geforscht.

Rätselhafte Mechanismen

Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus Österreich, Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien arbeiten daran, detailliert die Eigenschaften von verschiedenen Leindotter-Linien zu erfassen. Zu diesem Zweck wurden in den vergangenen zwei Jahren mehr als 50 verschiedene Linien des Leindotters aus verschiedensten Herkunftsländern kultiviert und untersucht – einerseits unter kontrollierten Bedingungen im Glashaus, andererseits im Freiland.

Dabei zeigte sich unter anderem eine erstaunliche Eigenschaft von Camelina: Bei Experimenten, bei denen er auf konstant trockenem Boden gehalten wurde, begannen seine Blätter anfangs zu welken, wie das bei Wassermangel gewöhnlich zu beobachten ist. Nach einiger Zeit jedoch fingen sie an, sich wieder aufzurichten – und das bei konstant trockenen Bedingungen. Auch die Mechanismen dahinter soll das Projekt klären. Im Zuge ihrer Versuche konnten Jonak und ihr Team aus den mehr als 50 Ausgangslinien des Leindotters vier auswählen, die auch unter trockenen Bedingungen besonders gut "funktionieren": Bei diesen vier bleiben die Blätter etwa nur einen Tag lang schlaff, während andere Linien drei oder vier Tage in diesem Zustand verharren.

Vorzeigepflanze im Fokus

Aus den Blättern und Früchten dieser "Vorzeigepflanzen" nehmen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter nun diverse Proben, die sie in den nächsten zwei Jahren zahlreichen Untersuchungen unterziehen werden. Das Ziel ist, Marker sowohl für die Züchtung von besonders leistungsfähigen Leindotter-Linien als auch für Anpassungsfähigkeit allgemein zu identifizieren. "Damit eine Pflanze gegen Trockenheit resistent ist, müssen viele Merkmale zusammenwirken", erklärt Jonak, "aber viele Stressreaktionen haben sich im Zuge der Evolution kaum verändert."

Felder mit Leindotter könnten dem Klimawandel trotzen.
Foto: AIT/AgroParisTech-INRAe

Aus diesem Grund rechnet Jonak damit, die Erkenntnisse vom Leindotter zumindest auf die anderen Angehörigen der Kreuzblütler-Familie übertragen zu können, wenn nicht sogar auf eine deutlich größere Pflanzengruppe. Der Fokus des Projekts liegt dabei weniger auf genetischen Markern als auf solchen, die die jeweiligen Linien in ihrem Stoffwechsel aufweisen. Das ist laut Jonak zwar aufwendiger, aber "viel näher dran an den Pflanzen, die wir haben wollen."

Besonders herausfordernd war und ist dabei der nötige Austausch tausender Proben zwischen den teilnehmenden Instituten: Die Hürden reichen vom stark reduzierten Transportangebot durch Corona bis zum erhöhten Verwaltungsaufwand durch den Brexit. Die im Projekt gewonnenen Informationen werden in einer Datenbank öffentlich zugänglich sein, und letztendlich soll es auch Empfehlungen geben, welche Linie für den Anbau in einer bestimmten Gegend am besten geeignet ist. (Susanne Strnadl, 21.10.2022)