Argjend G. wird nicht nur zu den engsten Kontaktmännern des Wiener Attentäters K. F. vom 2. November 2020 gezählt, der vier Menschen erschossen und etliche weitere verletzt hat. Der 24-jährige Nordmazedonier wurde im Laufe eines dreitägigen Terrorprozesses auch als "aufstrebender jihadistischer Prediger" beschrieben, der eine Lücke nütze, seit sich einschlägige Szenegrößen Österreichs wie Mirsad O. in Haft befinden.

Anhand von sichergestellten Chats, Memos auf seinem Smartphone und einschlägigen Büchern wurde der ehemalige und auffallend intelligent wirkende IT-Ingenieur einer Privatuniversität in einem Gutachten des deutschen Islamwissenschafters Guido Steinberg auch klar in die Nähe der IS-Terroristen gerückt. G. betrachte Europa und damit auch Österreich als ein Land, mit dem sich die "wahren Muslime" im Krieg befänden, heißt es darin.

"Sie sind ein IS-Mann"

"Sie sind ein IS-Mann, davon sind wir überzeugt", sprach der Richter, als er Argjend G. in Teilen schuldig sprach. Der junge Jihadist fasste wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation eine Freiheitsstrafe von 19 Monaten aus. Hinzu kam eine fünfmonatige Bewährungsstrafe wegen Fahrraddiebstählen aus einem anderen Verfahren. Argjend G. nahm das noch nicht rechtskräftige Urteil an und wurde enthaftet. Die Staatsanwaltschaft kann in Berufung gehen.

Dazu kam es, weil der Angeklagte aufgrund der Ermittlungen rund um den Terroranschlag schon seit bald zwei Jahren in Isolationshaft sitzt. Das wurde ihm angerechnet. Andererseits wurde die Diebstahlsepisode wiederum "nur" als Bewährung ausgesprochen.

Sein Anwalt, Sascha Flatz, war zufrieden. Das sei das Ziel gewesen. Sein Mandant sei kein "durchgeknallter Jihadkämpfer", sondern ein normaler Mensch, der sich bloß dem Salafismus zugewandt habe. Und das sei hierzulande nicht strafbar.

Der Richter betrachtete den Lebenswandel von Argjend G. das gesamte Verfahren über hingegen alles andere als locker. Dem Jihadisten wurden mitunter zwei brisantere Sachverhalte zur Last gelegt.

Die Verhandlungen der mutmaßlich Beteiligten des Wiener Terroranschlags finden am 18. Oktober statt. Der bereits Angeklagte kannte aber den Terroristen. Er "bedaure", was damals passiert sei, sagte er vor Gericht.
Foto: Christian Fischer

Erstens soll Argjend G. einem amtsbekannten deutschen Jihadisten dabei behilflich gewesen sein, einschlägige Bücher zu korrigieren, zu designen und in Österreich zu vertreiben. Zweitens soll er als IS-Sympathisant für verschiedene, teilweise amtsbekannte Gleichgesinnte Treffen in einer St. Pöltener Wohnung veranstaltet haben, in der auch jihadistische Freitagspredigten und Vorträge gehalten worden sein dürften. Auch der Wiener Attentäter war dort zu Besuch.

Indizien dafür fanden Ermittler auf dem Smartphone des Angeklagten. Argjend G. speicherte regelmäßig Memos ab, die als Freitagspredigten tituliert waren. Wenige Tage vor dem Terroranschlag in Wien könnte er in jener Wohnung etwa vom "Jihad gegen die Ungläubigen, wie Gott ihn im Koran befohlen habe", gesprochen haben.

Ein Beweis dafür, dass die Predigten tatsächlich gehalten wurden, fehlte. Der Richter führte aber ins Treffen, dass der Angeklagte die Memos jeden Freitag angefertigt hatte. Ausgerechnet am letzten Prozesstag sagte dann noch ein Zeuge aus, dass Argjend G. auch gepredigt habe.

Der Richter zeigte sich überzeugt davon, dass ein Mitglied einer seit Jahren amtsbekannten jihadistischen Familie in der besagten Wohnung Vorträge gehalten haben könnte, "die sich nicht mit der anerkannten islamischen Glaubenslehre" deckten. Dafür sollen Chats des Angeklagten als Beleg dienen. Unter anderem dürfte an einem Sonntag der Text eines Vordenkers der saudi-arabischen Al-Kaida besprochen worden sein. Zuvor stellten Zeugen die Treffen in der St. Pöltener Wohnung als völlig harmlos dar. Man habe grob gesagt "gechillt".

Das St. Pöltener "Alphatier"

Vor dem Urteil richtete Argjend G. noch einen Appell an das Gericht – und duzte es. "Ich hoffe, dass ihr das genauso seht", sagte er angesichts der Vorwürfe, "und ich mit einem Freispruch nach Hause gehen darf." Der junge Mann war sich keiner Schuld bewusst.

Seine Intention sei auch nicht IS-Propaganda gewesen, sagte Argjend G. Er habe sich deshalb auffällig stark mit dem IS beschäftigt, weil er wissen wollte, ob das stimme, was die Medien über die Terroristen berichten. Da sei auch viel "Blödsinn" dabei gewesen. Eine Journalistin nannte er sogar namentlich und verwies darauf, dass sie an diesem Prozesstag auch im Gerichtssaal saß.

Obwohl es im Prozess keine Rolle gespielt hatte, war es Argjend G. auch noch wichtig zu betonen, dass er den Wiener Attentäter, den er gar nicht so oft getroffen haben will, gemeldet hätte, wenn ihm etwas aufgefallen wäre. Der Gott, an den er glaube, wolle nämlich nicht, dass man durch die Straßen ziehe und Menschen erschieße, erklärte er.

Der 24-Jährige ist für die Behörden kein Unbekannter. Die Deradikalisierungsstelle Derad nannte ihn einmal "Alphatier" der jihadistischen Szene in St. Pölten. Vom Verfassungsschutz wird Argjend G. seit seiner Schulzeit beobachtet. Für den Richter ist er voll auf IS-Linie. Erstmals wurde er deshalb verurteilt – konkret zu 19 Monaten Haft. Nun ist er aber wieder auf freiem Fuß. (Jan Michael Marchart, 11.10.2022)