Ein transplantiertes menschliches Organoid (helle Struktur links) im Gehirn einer Ratte.

Foto: Stanford University

Seit es Forschenden in Wien 2013 gelungen ist, "Mini-Hirne" im Labor zu erzeugen, ist viel passiert. Damals hatte ein Team um Jürgen Knoblich vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) erstmals sogenannte zerebrale Organoide hergestellt –Zellstrukturen, die dem menschlichen Gehirn ähneln. Das gelang, indem Stammzellen dazu gebracht wurden, den Beginn der embryonalen Gehirnentwicklung nachzustellen und sich zu Nervenzellen auszudifferenzieren. Inzwischen sind solche Organoide gefragte Modelle in der Hirnforschung, an denen etwa die Entstehung neurologischer Erkrankungen und Wirkstoffe im Labor untersucht werden können.

Nun ist einem Team der kalifornischen Stanford University ein weiterer Durchbruch in Sachen funktionaler Mini-Hirne gelungen. Sie haben menschliche Gehirn-Organoide in Gehirne von jungen Ratten transplantiert – mit Erfolg: Das menschliche Hirngewebe wurde in das wachsende Tiergehirn integriert und beeinflusste das Verhalten der Ratten, wie die Forschenden um Sergiu Pașca im Fachblatt "Nature" berichten. Die Verhaltensänderung der Tiere war freilich nicht das eigentliche Ziel, sondern die Weiterentwicklung der Organoide.

Funktionales Netzwerk

Tatsächlich bildeten die transplantierten Nervenzellstrukturen in den Ratten eine noch größere Ähnlichkeit zum menschlichen Gehirn aus, als in bisherigen Modellen erreicht werden konnte. Das ist wiederum für die Hirnforschung von großem Interesse: Organoide ermöglichten zwar schon bisher die Forschung an hirnähnlichen Strukturen, ohne an Menschen experimentieren zu müssen, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Denn bei der künstlichen Nachahmung der komplexen Funktionsweise des menschlichen Gehirns setzten die Modelle enge Grenzen.

Um diese Grenzen zu erweitern, wurde schon in der Vergangenheit versucht, Organoide in lebende Organismen zu integrieren und dadurch weiterzuentwickeln. Versuche an Mäusen brachten dabei Teilerfolge, eine vollständige Integration der Organoide gelang jedoch nicht. Anders in der aktuellen Studie: Pașca und seinem Team gelang es, menschliches Hirngewebe aus dem Labor vollständig in die Gehirne junger Ratten zu integrieren, wodurch Verknüpfungen zu anderen Hirnregionen entstanden. Dabei konnten wie schon erwähnt auch Verhaltensänderungen der Ratten beobachtet werden – die menschlichen Zellen verbanden sich also funktional mit dem Rattengehirn.

Experten sehen wichtigen Fortschritt

"Die Arbeit zeichnet sich durch ihren methodischen Fortschritt aus", sagte Jürgen Knoblich, der selbst nicht an der aktuellen Studie beteiligt war. Dass die Organoide sehr früh ins Rattengehirn transplantiert worden seien, habe den Vorteil, "dass sich das Gehirn noch entwickelt und sich das Transplantat somit 'mitentwickeln' kann."

Bezüglich der Relevanz für die Forschung erklärte der Wissenschafter: "Das menschliche Gehirn ist die Heimat einiger der schrecklichsten Krankheiten, und bisher können wir es nicht gut verstehen. Viele Gehirn-Experimente finden an Tieren wie Mäusen oder Ratten statt, aber eigentlich müssten diese an Primaten durchgeführt werden. Das ist sehr umstritten. Organoid-Modelle aus menschlichen Stammzellen sind vielversprechend und lösen diesen Konflikt."

Auch Agnieszka Rybak-Wolf vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin sprach in einer ersten Einschätzung von wichtigen Resultaten auf dem Weg zu besseren Modellen für die Hirnforschung: "Die Entwicklung von Organoiden, deren physiologische Bedingungen das 'echte menschliche Gehirn' widerspiegeln, ist eines der Hauptziele auf diesem Gebiet. Da wir aus offensichtlichen Gründen keine Forschungen an menschlichen Gehirnen durchführen können, sind Organoide des menschlichen Gehirns ein großer Fortschritt." (dare, 12.10.2022)