756 Studierende finden im Audimax der Universität Wien Platz. Die Hochschule verleiht etwa 10.000 Diplome im Jahr.

Foto: Universität Wien/Franz Pfluegl

Im vorangegangenen Rektoratskollegium der Universität Wien hatte der Wirtschaftswissenschafter Jean-Robert Tyran das Amt des Vizerektors für Forschung und Internationales inne. Im Lauf seiner Karriere absolvierte er zahlreiche Lehr- und Forschungsaufenthalte an Institutionen wie der Harvard Kennedy School, der London School of Economics und am Caltech. Kurz vor Ende seiner Funktionsperiode hob er das Moritz-Schlick-Programm aus der Taufe. Nun sieht er die Errungenschaften der vergangenen Jahre jedoch in Gefahr.

STANDARD: Wie empfinden Sie Ihren Abschied? Überwiegt Freude oder Wehmut?

Tyran: Die Bilanz, die ich ziehen kann, ist sehr erfreulich. Als Rektorat blicken wir mit großer Zufriedenheit auf die vergangenen Jahre und auf die seit 150 Jahren größte Expansion im Budget zurück.

STANDARD: Wo wurde dieses Geld eingesetzt?

Tyran: Wir haben sehr viel investiert, um hervorragende Wissenschafter:innen gewinnen zu können, insbesondere haben wir in die Doktoratsschulen und in Laufbahnstellen, das sogenannte Tenure-Track-System, investiert. Das sind zwei sehr wichtige Elemente der Nachwuchsförderung, die zu einer Modernisierung und dazu geführt haben, dass wir international wirklich kompetitiv sind. Was zwischen diesen zwei Elementen zur Komplettierung eines umfassenden Nachwuchsförderungssystems gefehlt hat, waren Initiativen auf der Postdoc-Stufe.

STANDARD: Sie haben kurz vor Ihrem Abschied das Moritz-Schlick-Postdoc-Programm präsentiert. Ist das der Lückenschluss?

Tyran: Es war praktisch das fehlende Glied in der Kette, wenn Sie so wollen. Der fehlende Baustein zwischen Tenure-Track, das den Weg zur Professur bereitet, und Doktorat, das den Einstieg in die wissenschaftliche Forschungstätigkeit ebnet.

STANDARD: Was sagen Sie zum nun kommunizierten Budget? Wie groß ist die Ernüchterung?

Tyran: Ich bin enttäuscht vom angekündigten Budget. Die relativ geringe nominale Steigerung bedeutet bei der hohen vorherrschenden und noch zu erwartenden Inflation deutliche reale Kürzungen. Somit müssen nicht nur Ausbaupläne schubladisiert werden, sondern wir werden auch bisherige Aktivitäten abbauen und Programme zurückfahren müssen. Der bereits verhängte Ausschreibungsstopp bedeutet, dass der Traum begabter junger Menschen, eine Stelle an der Universität zu erhalten, zumindest vorderhand geplatzt ist. Aber auch die Studierenden und besonders die jungen Forschenden werden die Einschnitte zu spüren bekommen. Die Reduktionen betreffen letztlich alle Universitätsangehörigen.

STANDARD: Was bedeuten diese Einschnitte für die Arbeit der vergangenen Jahre?

Tyran: Die Universität Wien hat die Budgetexpansion der letzten drei Jahre hervorragend genutzt und die zusätzlichen Mittel sinnvoll investiert. In meiner Amtszeit konnte ich etwa 150 Verfahren für die Besetzung von Laufbahnstellen leiten. Wir konnten so viele höchst talentierte und motivierte junge Menschen für die Wissenschaft, für die Universität Wien, gewinnen. Diese Menschen sind auch aufgrund unseres Versprechens, hervorragende Bedingungen für die Forschung zu bieten, nach Wien gekommen beziehungsweise hier geblieben. Es wäre schon bitter, wenn diese jungen Menschen nun feststellen müssten, dass sie sich in uns getäuscht haben. Und dies ausgerechnet in einer Phase, in der sich unsere Bemühungen der vergangenen Jahre bezahlt machen.

STANDARD: Wo werden diese deutlich?

Tyran: Ein Ausdruck des Erfolgs der Universität Wien ist der Sprung von Rang 164 im Jahr 2021 auf Rang 124 jetzt im jüngsten Times Higher Education Ranking der weltweit besten Universitäten. Viele Leute werden nur mit Mühe verstehen, warum eine Universität, die sich relativ zu einer starken internationalen Konkurrenz verbessert, und die im laufenden Jahr 13 ERC-Grants und einen Nobelpreis gewonnen hat, mit einer realen Kürzung belohnt wird.

STANDARD: Der finanzielle Ausblick war schon vor der Bekanntgabe des neuen Budgets durch die Inflation getrübt. Können Sie diese Situation kurz umreißen?

Tyran: Wir haben eine Leistungsvereinbarung mit dem Ministerium, die auf drei Jahre läuft, die nominale Geldbeträge festlegt. Wenn die Inflation überraschend hoch ist, ist die reale Kaufkraft niedriger, und diese Lücke muss man füllen, um reale Einbußen zu vermeiden. Ansonsten bedeutet das einen Sparkurs, und das würde einiges der Aufbauarbeit, die wir geleistet haben, zunichtemachen. Denn es fehlen etwa 100 Millionen Euro – und das ist viel Geld. Selbst wenn wir auf Neueinstellungen eine ganze Weile komplett verzichten, ist eine solche Lücke mit Einsparungsmaßnahmen beim Personal kaum zu leisten.

Jean-Robert Tyran freut sich nun auf ein Sabbatical. Vom Uni-Budget ist der ehemalige Vizerektor jedoch schwer enttäuscht.
Foto: Joseph Krpelan/DerKnopfdrücker.com

STANDARD: Haben Sie diesen Umstand den zuständigen politischen Stellen kommuniziert?

Tyran: Wir haben an die entsprechenden Türen geklopft, aber keine Zusagen bekommen. Natürlich ist die Situation mit den stark steigenden Preisen ungewöhnlich. Schließlich hat vor einem Jahr niemand erwartet, dass ein Krieg in unserer Nachbarschaft ausbricht und die Energiepreise durchs Dach gehen.

STANDARD: Fürchten Sie, dass die Unis auf der Prioritätenliste hintangestellt werden?

Tyran: Selbstverständlich kommen schwierige Entscheidungen auf die Regierung zu, bei denen sie Prioritäten setzen muss. Es ist verständlich, dass es derzeit viele Anforderungen gibt. Aber der Punkt ist: Worauf beruht der Wohlstand Österreichs? Wissen und Bildung sind hierbei langfristig zentrale Elemente. Diese kann man nicht kurzfristig steuern, da braucht es Weitblick und kontinuierlichen Einsatz. Wenn man ein paar Jahre Strohfeuer macht und dann wieder nichts mehr investiert, war die vorhergehende Anstrengung vergebens. Ich appelliere hier an die Politik, dies zu bedenken und das Erreichte nicht aufs Spiel zu setzen.

STANDARD: Worauf lag der Fokus bei der Ausarbeitung des neuen Postdoc-Programms?

Tyran: Wichtig war uns im Schlick-Programm, eine relativ lange Anstellungsperiode zu geben und nicht nur zwei Jahre. Leider geht die internationale Tendenz dahin, immer kürzere Postdoc-Stellen zu vergeben. Das setzt junge Menschen unter Druck, weil sie dauernd von einem Ort zum anderen wechseln müssen. Wir bieten daher vier Jahre plus zwei Jahre Verlängerung optional an. Wir geben den Leuten auch ein eigenes Budget, um ihrer unabhängigen Forschung einen Anschub zu geben. So können sie etwa eine Studienassistenz anstellen oder reisen und Kontakte knüpfen.

STANDARD: Das klingt nach einem sehr großen Spielraum.

Tyran: Es ist ihr eigenes Budget, über das sie innerhalb gewisser Grenzen verfügen können. Sie bekommen auch die Möglichkeit zu unterrichten, was wichtig ist, weil man sich auch in der Lehre qualifizieren muss. Aber es ist ein reduziertes Pensum, damit genügend Zeit für die Forschung bleibt. Darauf sollen sie sich konzentrieren können.

STANDARD: Wie sieht die Betreuung in einem so frei gestaltbaren Programm aus?

Tyran: Das Mentoring ist ganz wichtig. Es stehen mindestens zwei erfahrene Professor:innen bereit, die die Postdocs unterstützen sollen. Wir möchten, dass alle, die diese Schlick-Stellen bekommen, so ausgebildet und unterstützt werden, dass sie sich mit Aussicht auf Erfolg um Exzellenzförderungen wie etwa den ERC Starting Grant bewerben können. Wenn das gelingt, besteht für sie die Aussicht, auf den sogenannten Fast Track zu kommen, wo man rasch in zwei Jahren Associate Professor wird. Von dort aus gibt es wiederum eine Möglichkeit, zum Full Professor zu werden. Da das Schlick-Programm sich auch an unsere eigenen Doktorand:innen richtet, schafft das Programm so die Möglichkeit einer durchgängigen Karriere vom Doktorat zur vollen Professur an der Universität Wien. (Marlene Erhart, 27.10.2022)