Vor fast einem Jahr trat Sebastian Kurz, der in der Inseratenaffäre beschuldigt wird, aus der Politik zurück. Nun wagt er Neues – als Unternehmer.

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Dream Security heißt das neue Cybersicherheits-Start-up von Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Sein Mitgründer ist ausgerechnet der ehemalige Chef des Überwachungsunternehmens NSO Group, das in den vergangenen Jahren durch seine Spionagesoftware Pegasus internationale Bekanntheit erlangte. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Frage: Was hat Sebastian Kurz vor?

Antwort: Der ehemalige Kanzler will in der Cybersicherheit tätig sein. Sein Start-up soll Lösungen im Bereich der Netzwerksicherheit und der kritischen Infrastruktur anbieten. Konkretere Details wurden aber noch nicht verkündet.

Frage: Warum ist das von Interesse?

Antwort: Es ist kein Geheimnis, dass Sebastian Kurz seit seinem Rücktritt als Bundeskanzler in die Privatwirtschaft gewechselt ist. Der Einstieg bei Dream Security springt dennoch ins Auge. Der Grund dafür ist Kurz' Geschäftspartner Shalev Hulio. Er ist Mitgründer der in Verruf geratenen NSO Group, deren Spionagesoftware Pegasus genutzt wurde, um oppositionelle Politikerinnen, Menschenrechtsaktivisten und Journalistinnen auszuspionieren. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron soll sich unter den Opfern befinden. Zu den Kunden der NSO Group zählte unter anderem die Regierung Saudi-Arabiens und weiterer Golfstaaten.

Frage: Warum ist Pegasus so problematisch?

Antwort: Es handelt sich um einen höchst potenten Staatstrojaner, der das Mitlesen von Nachrichten und E-Mails, das Abhören von Anrufen und Abgreifen von Passwörtern erlaubt. Aber nicht nur das: Er kann Tonaufnahmen anfertigen und den Standort von Smartphones aufzeichnen. Besonders heikel ist all das, weil Geräte mithilfe sogenannter Zero Days infiziert werden. Dabei handelt es sich um Sicherheitslücken, die selbst den Herstellern nicht bekannt sind. Angriffe bleiben daher unbemerkt. Entsprechend wertvoll sind solche Schwachstellen. Diese werden teilweise für mehrere Millionen Euro weiterverkauft.

Frage: Dennoch gründet Kurz ein Unternehmen mit dem ehemaligen NSO-Chef. Warum?

Antwort: Was Kurz dazu bewegt, gerade mit Shalev Hulio zusammenzuarbeiten, ist nicht bekannt. Dieser habe ihm nach eigenen Angaben das Angebot gemacht, ein gemeinsames Unternehmen zu gründen. Kurz hatte ihn getroffen, um zu erfahren, in welche israelischen Firmen er investieren könne. Gegenüber der israelischen Zeitung "Globes" sagte Kurz nur, dass er als Bundeskanzler "viele Angriffe auf Regierungen, aber auch auf Produktionsstätten und Energieanlagen erlebt" habe, die "meist nicht in den Medien veröffentlicht wurden".

Frage: Müssen Cyberangriffe nicht öffentlich gemacht werden?

Antwort: Betreiber kritischer Infrastruktur, zum Beispiel Energieversorger, sind dazu verpflichtet, erfolgreiche Angriffe an das Innenministerium zu melden, sagt Maximilian Scherr gegenüber dem STANDARD, nicht aber der Öffentlichkeit. Er berät für das Unternehmen Arthur D. Little unter anderem die OMV in Sachen Cybersicherheit. Der Datenschützer Max Schrems sagt, dass die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) der EU grundsätzlich voraussetzt, dass Betroffene über einen Datenvorfall informiert werden müssen – sofern ein "hohes Risiko" für ihre Rechte und Freiheiten bestehen. In der Praxis würden Unternehmen aber tendenziell zunächst die Einschätzung treffen, dass kein hohes Risiko bestünde. In dem Fall könne die Datenschutzbehörde, die immer informiert werden muss, Einspruch erheben.

Frage: Ist bekannt, wer Dream Security finanzieren wird?

Antwort: Nicht im Detail. Laut "Globes" gibt es mehrere Investoren, die insgesamt 20 Millionen Dollar zur Verfügung stellen. Mit fünf Millionen Dollar stemme den Löwenanteil der in Kalifornien ansässige Investor Dovi Frances. Er ist Mitgründer der Venture-Capital-Firma Group 11, die eigenen Aussagen zufolge "revolutionäre Softwareunternehmen" finanziert. Dream Security unterstützt er laut den Berichterstattern als Privatperson.

Frage: Welche Aufgabe wird Kurz bei Dream Security übernehmen?

Antwort: Er soll die Geschäftsentwicklung des Start-ups leiten. Konkret habe Hulio ihn laut der israelischen Zeitung an Bord geholt, um "die Türe zu europäischen Regierungen und Infrastrukturfirmen zu öffnen".

Frage: Was soll das Unternehmen machen?

Antwort: Details wurden noch nicht verkündet – die Firma gibt nur an, Lösungen im Bereich der Netzwerksicherheit und der kritischen Infrastruktur anbieten zu wollen.

Frage: Kurz' Rücktritt ist bald ein Jahr her. Was hat er in der Zwischenzeit gemacht?

Antwort: Ende letzten Jahres heuerte Kurz als Global Strategist bei der US-amerikanischen Investmentfirma Thiel Capital an. Sein Arbeitgeber ist seither der deutsch-amerikanische Unternehmer Peter Thiel, der zu den Gründern des Bezahldiensts Paypal und des Softwareunternehmens Palantir zählt.

Frage: Was hat es mit Palantir auf sich?

Antwort: Die Datenanalysefirma beliefert unter anderem US-Geheimdienste wie die NSA, die CIA und das US-Verteidigungsministerium mit Überwachungssoftware. Auch in Deutschland kam die hauseigene Gotham-Technologie zum Einsatz, wie 2018 bekannt wurde. Sie sollte der hessischen Polizei bei der Bekämpfung islamistischen Terrorismus und organisierter Kriminalität helfen.

Frage: Die Machenschaften der NSO Group wurden im Sommer letzten Jahres aufgedeckt. Was hat sich seither bei den Ermittlungen getan?

Antwort: Nach Bekanntwerden des Spionageskandals leiteten mehrere Staaten Untersuchungen gegen die NSO Group ein. Darunter Israel, Frankreich und die USA. Konkrete Ermittlungsergebnisse sind noch nicht bekannt. Die Vereinten Nationen (UN) warnten im September außerdem, dass Spionagesoftware eine wachsende Bedrohung für Menschenrechte – konkret dem Schutz der Privatsphäre – sei. In einem Bericht forderte das UN-Menschenrechtsbüro den vorläufigen Stopp des Verkaufs solcher Software. Oft würde sie – unter dem Deckmantel der Kriminalitätsbekämpfung – eingesetzt, um gegen kritische Meinungen vorzugehen.

Frage: Gibt es andere Politiker, die in der Vergangenheit in diese Branche gewechselt sind?

Antwort: Kurz ist der erste Spitzenpolitiker, der explizit Geschäfte mit dem Chef eines Spyware-Unternehmens macht. Zuvor heuerte er ja bei dem rechten Investor Peter Thiel an – dem unter anderem die Analysefirma Palantir gehört. Dort heuerte 2015 SPÖ-Politikerin Laura Rudas, ehemals Nationalratsabgeordnete und Bundesgeschäftsführerin der SPÖ, an. In der israelische IT-Branche war bis vor kurzem auch Ex-SPÖ-Kanzler Christian Kern tätig: Er war bis vor kurzem Gesellschafter des österreichisch-israelischen Start-ups Blue Minds Company, das in Innovationen in der Energiebranche investiert. (Mickey Manakas, Muzayen Al-Youssef, 13.10.2022)