Daniel Donskoy geht in "Barbaren 2" an seine Grenzen.

Foto: Netflix/Krzysztof Wiktor

Barbaren gegen Römer, das ist Brutalität: Die Netflix-Serie Barbaren zieht ihre Blutspur weiter. Am 21. Oktober startet die zweite Staffel der deutschsprachigen Produktion, die sich zu einem weltweiten Erfolg entwickelt hat. Dabei wird die Geschichte nach der berühmten Varusschlacht weitererzählt, und wieder geht es um die germanische Unabhängigkeit gegen Rom. Der deutsche Schauspieler, Moderator und Musiker Daniel Donskoy schlüpft dafür in die Rolle eines Römers mit barbarischer Vergangenheit. Es geht wieder blutrünstig zu, so viel ist klar. Vier der sechs Folgen hat der österreichische Regisseur Stefan Ruzowitzky inszeniert, die restlichen zwei kommen von Lennart Ruff.

STANDARD: Barbaren gehört zu den erfolgreichsten Netflix-Produktionen in Deutschland. Hatten Sie bereits zuvor einen Bezug zur Serie, oder ist der erst mit dem Engagement für die zweite Staffel gekommen?

Donskoy: Klar, ich war sogar im Casting für Staffel eins (lacht). Es sollte wohl sein, denn bei der zweiten Staffel bin ich ja jetzt dabei. Es ist schön zu sehen, dass es immer mehr deutschsprachige Serien und Filme gibt, die für den globalen Markt produziert werden. Umso schöner ist es, bei so einer Produktion mitzuwirken.

"Ich liebe einfach Filme, die einen extrem packen und entführen. Monotonie hat die Gesellschaft schon genug."

STANDARD: Sind Sie Fan dieses Genres? Es ist sehr viel Gewalt im Spiel.

Donskoy: Ich mag Extreme, darunter kann auch Gewalt fallen. Ich persönlich bin aber eher bei Neuzeitfilmen, so etwas wie Everything Everywhere All at Once, der erst vor kurzem im Kino lief. Da weiß man gar nicht genau, welches Genre das ist. Ist es Gewalt? Blutrunst? Familie? Drama? Liebe? Ich liebe einfach Filme, die einen extrem packen und entführen. Monotonie hat die Gesellschaft schon genug. Das Besondere am Film ist, wenn man Menschen und Charaktere beobachten kann, wie sie ans Äußerste gehen. Das ist mit Barbaren und meiner Rolle Flavus gelungen: Tod, Verrat und Liebe. Das Archaische war der größte Reiz am Spiel.

Daniel Donskoy als Römer.
Foto: Netflix/Krzysztof Wiktor

STANDARD: Körperlich dürfte die Rolle ja sehr herausfordernd gewesen sein, wenn man etwa an die Schwertkämpfe denkt. Wie trainiert man das?

Donskoy: Tatsächlich im Stunt-Raum in Polen. Wir haben über Monate in Polen gelebt. Morgendliche Stunt- und Reittrainings gehörten zu unserem Alltag. Exzellente Vorbereitung ist für mich das A- und O des kreativen Prozesses. Wenn man einen Präfekten des Römischen Imperiums spielt, geht es nicht nur darum, das Schwert einfach so zu halten, sondern es mit jeder Zelle des Körpers zu spüren und dies dem Zuschauer durch innere und äußerliche Haltung darzubieten. Gerade solche Herausforderungen erfüllen mich. Um aus dem Spiel das Größtmögliche herauszuholen, will ich an meine Grenzen gebracht werden. Und die Dreharbeiten zu Barbaren haben dies mental, emotional und körperlich getan. Es war ein guter Ritt.

Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz
"Der Druck ist krass, weil du weißt, es wird weltweit geschaut, es ist archaisch, die Leute erwarten, dass du bis ans Ende gehst."

STANDARD: Was war die größte Herausforderung an der Rolle?

Donskoy: Latein auf der einen Seite und das allumfassende Spiel auf der anderen Seite. Ich musste auf Latein, eine Sprache, der ich nicht mächtig bin, den Imperator davon überzeugen, mich nicht zu enthaupten, das Ganze muss voller Emotionen und Abgründe sein. Bei einer Sprache, die man nicht beherrscht, hat man nicht direkt alle emotionalen Bezüge und Assoziationen zu den Wörtern. Wenn ich auf Deutsch oder Englisch spiele, dann sage ich: Don’t kill me. Das löst eine Emotion aus, weil ich weiß, was Killing oder Tod bedeutet. Wenn dieses Wort aber auf Latein ausgesprochen wird, weiß ich zwar kognitiv um die Bedeutung des Todes, es löst aber keinen direkten emotionalen Impuls aus. Deswegen war es die größte Aufgabe, die Sprache nicht nur zu lernen, sondern das gelernte Wort mit Emotionen zu belegen. Und das dann auf Abruf siebenmal zu spielen. Der Druck ist krass, weil du weißt, es wird weltweit geschaut, es ist archaisch, die Leute erwarten, dass du bis ans Ende gehst. Mich hat das jedenfalls motiviert, jeden Morgen ans Set zu kommen und zu sagen: Geil, heute darf ich kämpfen. Das passiert ja nicht so oft.

STANDARD: Sie spielen mit Flavus einen Römer, der eigentlich ein Barbare ist. Welche Seite steht Ihnen näher? Jene der Römer oder jene der Barbaren?

Donskoy: Auf jeden Fall die der Römer.

STANDARD: Warum?

Donskoy: Sie sind weiter entwickelt. Das System ist bestialisch, das ist es aber auch bei den Barbaren. Im Endeffekt sind es auf beiden Seiten Menschen, die jeweils eine andere Form der Unterdrückung gewählt haben. Bei den Barbaren heißt es einfach: Ich: ja, du: nein, du: Tod. Und bei den Römern heißt es: Du zahlst mir erst einmal Steuern und dann stirbst du. Von der Ästhetik her bin ich eher bei den Römern und da wo die Römer waren, ob in Deutschland oder Österreich, da ist das Essen einfach besser.

David Schütter, Jeanne Goursaud, Laurence Rupp als germanische "Barbaren".
Foto: Netflix / Krzysztof Wiktor

STANDARD: Apropos Österreich: Wie war es, mit Stefan Ruzowitzky zu drehen, der in vier Folgen Regie geführt hat?

Donskoy: Super. Der größte Teil meines Freundeskreises hier in Berlin sind Österreicher, weil mir die Boshaftigkeit und der Humor eher liegen als das Deutsche. Ich fand Die Fälscher damals von Stefan Ruzowitzky einen sehr, sehr bildenden Film. Er ist ein super Typ, genauso wie Lennart Ruff, der die Folgen vier bis sechs verantwortet hat. Ruzowitzky hat auch den einen oder anderen bösen Witz parat! So wie beim Casting: Ist ja schon geil, jetzt spielt der Jude den Römer. Das würde ein Deutscher nicht so raushauen.

"In Österreich – vielleicht auch dank der mangelnden Aufklärung nach dem Zweiten Weltkrieg und der Nichtverarbeitung des Nationalsozialismus, der natürlich nie dagewesen ist, man war ja nur Opfer – hat das womöglich dazu geführt, dass man mit Humor anders umgeht."

STANDARD: Sie sind ein Fan des österreichischen Humors?

Donskoy: Ja, auch wenn man nach dem Spiegel-Artikel nicht mehr sagen darf, dass man Ulrich Seidl so toll findet, aber beim Eintauchen in die deutschsprachige Kinowelt bin ich immer wieder sehr schnell bei österreichischen Filmemacherinnen und Filmemachern gelandet – etwa auch bei Marie Kreutzer. In Österreich – vielleicht auch dank der mangelnden Aufklärung nach dem Zweiten Weltkrieg und der Nichtverarbeitung des Nationalsozialismus, der natürlich nie dagewesen ist, man war ja nur Opfer – hat das womöglich dazu geführt, dass man mit Humor anders umgeht. Es hat eine Boshaftigkeit, es ist ein schwarzer Humor, das liegt mir eher. Man spielt sehr viel mit der Sprache, auch durch die Melodie, vor allem in Wien. Man hat diese Intonation. Es ist zwar Deutsch, aber viel spielerischer.

STANDARD: Sie haben ukrainisch-russische Wurzeln. Wie sehr geht Ihnen der Krieg nahe?

Donskoy: Ich glaube, nicht viel näher als anderen. Womöglich eher als öffentliche Person, weil ich darauf angesprochen werde, und weniger wegen der Wurzeln. Wäre ich nicht in der Öffentlichkeit, hätte ich weniger damit zu tun gehabt, weil der größte Teil meiner Familie nicht dort ist. Ein paar Tage vor Ausbruch des Krieges war ich noch an der russisch-ukrainischen Grenze, weil ich dort Dreharbeiten hatte. Das war eine russische Produktion. Zum ersten Mal seit meiner Geburt in Russland hatte ich wieder viel mit Russen zu tun, mit Menschen aus Moskau und der Filmbranche. Es war krass zu sehen, wie funktionstüchtig dort die Propagandamaschinerie ist. Das ist traurig, und natürlich geht mir das nahe, aber wenn wir uns auf der Welt umschauen, herrschen überall Kriege, und es ist sehr interessant zu sehen, was und wie medial emotionalisiert wird.

"Und wer diese Ängste zu benutzen weiß, sind Meloni, Orbán, Trump und auch bei Ihnen in Österreich mittlerweile ja leider salonfähig: die Blauen. Das ist traurig mitanzusehen."

STANDARD: Inwiefern?

Donskoy: Ich habe viel darüber gelernt, wie die Gesellschaft mit Angst umgeht, und was uns nahegeht. Wir haben vielleicht den Atomkrieg. Wir haben kein Gas oder keinen Strom. Am Ende geht es der Politik und den Menschen gar nicht um die Ukrainerinnen und Ukrainer und die Soldaten, sondern es geht immer nur um uns. Die Crux unserer ach so liberalen Gesellschaft ist ein abgrundtief ignoranter Egozentrismus. Da sieht man, wie krass der Mensch sich selbst nur zugewandt ist, und wie sehr wir von eigenen Ängsten durchzogen, wenn nicht gar zerfressen sind. Und wer diese Ängste zu benutzen weiß, sind Meloni, Orbán, Trump und auch bei Ihnen in Österreich mittlerweile ja leider salonfähig: die Blauen. Das ist traurig mit anzusehen.

"Man fragt sich auch, ob man da so ein westliches Weltrettersyndrom hat: Ich bin frei, ihr nicht, ich werde für euch etwas tun."

STANDARD: Sie haben das Antikriegslied "Net Vojne – Nein zum Krieg" veröffentlicht. Auf Russisch und stellvertretend für die russischen Künstlerinnen und Künstler, die das nicht können. Hat das in Russland für Resonanz gesorgt?

Donskoy: Ja und nein. Es wurde natürlich relativ schnell von allen möglichen Plattformen entfernt und gesperrt. Das Lied ist von den Streamingplattformen geflogen, dann habe ich versucht, es über diverse Telegram-Kanäle zu verbreiten. Die Reaktionen waren geteilt. Auf der einen Seite haben sich die Leute bedankt, dass jemand für sie spricht, auf der andere Seite waren Leute da, die gemeint haben: Warum bedienst du die westliche Propaganda? Du bist genauso wie sie. Das Lied hat jedenfalls etwas ausgelöst und zu einem Dialog geführt, der aber nicht immer so gelaufen ist, wie ich mir das erhofft hatte. Man hat manchmal so einen naiven Glauben. Man fragt sich auch, ob man da so ein westliches Weltrettersyndrom hat: Ich bin frei, ihr nicht, ich werde für euch etwas tun. Da muss man sich immer wieder überlegen: Brauchen die das? Wollen die das?

Daniel Donskoy - Topic
"Vielleicht hätte ich schreiben müssen: Putin muss sterben."

STANDARD: Und wie fällt das Resümee aus?

Donskoy: Für mich war es wichtig, diesen Song rauszubringen. Das Geld, das zusammengekommen ist, durfte ich an ukrainische Geflüchtete spenden. Immer wieder frage ich mich dennoch in einer Aufmerksamkeitsökonomiegesellschaft, der es immer darum geht, zu allem Stellung zu beziehen und größtmögliche Provokation zu leisten, um Aufmerksamkeit zu erzielen, nach meiner eigenen Intention: Mache ich das wirklich, weil ich daran glaube, dass ich etwas ändern kann, oder verfalle ich dem, weil gerade en vogue ist, sich zu allem politisch zu äußern? Jedes Unternehmen setzt auf Diversity, alle stehen hinter der Ukraine. Bei dem spezifischen Beitrag von mir kann ich sagen, ja, ich habe es aus einer richtigen Intention gemacht, er ist aber innerhalb der Aufmerksamkeitsökonomie etwas untergegangen, weil der Song vielleicht nicht provokant genug war. Vielleicht hätte ich schreiben müssen: Putin muss sterben.

"Gerade beim Thema Antisemitismusbildung ist es sehr ermüdend, wenn man sich immer wieder wiederholt."

STANDARD: Ihre Sendung "Freitagnacht Jews" wird sehr gefeiert und wurde auch mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Grimme-Preis prämiert. Ist diese Art von Talkshow genau das, was Sie immer schon machen wollten?

Donskoy: Nein, absolut überhaupt nicht. Ich hätte mir nie gedacht, dass ich so etwas machen würde, schon gar nicht über jüdisches Leben in Deutschland. In einem Feuerkessel der Neurose, gefangen zwischen Antisemitismus und Philosemitismus. Aber mein Motto ist: Wenn sich Türen öffnen, gehe ich hinein. Und dann mit ganzer Härte. Nach zwei Jahren dieser Sendung kann ich sagen: Das ermüdet massivst, weil gerade dieses Thema so nervleidig behandelt wird. Wir haben auch einen Podcast zum Thema Medienkritik gemacht, in dem es um den Umgang der deutschen Medien mit Antisemitismus und dem Israel-Palästina-Konflikt ging. Wir haben damit vielen Kollegen und Redakteurinnen gesprochen und sie haben eingesehen, dass es problematisch war, aber nach zwei Wochen war wieder alles vergessen und man fängt von vorne an. Gerade beim Thema Antisemitismusbildung ist es sehr ermüdend, wenn man sich immer wieder wiederholt.

Eine Folge von "Freitagnacht Jews" aus der ersten Staffel.
WDR

Wir haben gerade die zweite Staffel abgedreht, da sind wir international gegangen und waren in Buenos Aires, London, Istanbul und Tel Aviv, um zu fragen, wie das jüdische Leben dort ist. Das war ein guter Abschluss und nach zwei Jahren habe ich einen Beitrag geleistet, aber damit hört diese Sendung jetzt auch auf. Ich werde mich aber weiterhin mit gesellschaftsrelevanten Themen beschäftigen, denn das ist es, was mich überhaupt motiviert. Die Kunst ist in all ihren Genres dazu geschaffen, diese Zustände zu kommentieren, aber von explizit jüdischen Identitätsthemen habe ich jetzt genug.

"Natürlich wünschen dir auch Leute den Tod, aber darauf fokussiere ich mich nicht. Ich mache es nicht, um Leute zu überzeugen, dass Juden doch Menschen sind."

STANDARD: Werden Sie oder wurden Sie im Zuge der Sendung oft mit Antisemitismus konfrontiert?

Donskoy: Ja, mit dem latenten Antisemitismus, der überall vorhanden ist und sich durch alle Gesellschaftsschichten zieht. Mit dem wächst du auf, der ist immer da und der geht auch nicht weg. Natürlich wünschen dir auch Leute den Tod, aber darauf fokussiere ich mich nicht. Ich mache es nicht, um Leute zu überzeugen, dass Juden doch Menschen sind. Wenn jemand das nicht glaubt, ist eh Hopfen und Malz verloren. Ich versuche, damit eher eine Brücke zu schlagen. Sonst wird das Thema entweder stiefmütterlich, mit einer Obsession oder mit einem Grauschimmer behandelt, weil es ja um tote Juden und Auschwitz geht. Es war simpel: Hey, mein Name ist Daniel Donskoy, ich bin jüdisch, du siehst es mir vielleicht nicht an, und ich kann dir eine neue Perspektive geben, was jüdisches Leben bedeutet. Und dennoch kommt dann die ganze Komplexität, die das mit sich bringt, ins Spiel.

"Fuck, bringe ich gerade meine Gäste in Gefahr, indem ich das ausschweifend kritisiere, was meine Gäste nicht dürfen, weil sie sonst in der Türkei in große Probleme geraten könnten?"

STANDARD: Wie schwierig ist dieser Balanceakt?

Donskoy: Es war für mich schwierig, es medial zu benutzen und darüber zu sprechen, weil es doch etwas sehr Privates ist. Es waren zum Beispiel Familienfreunde meiner Eltern zu Gast, und du fragst dich: Bringst du diese Leute dadurch schon in Gefahr. Das dachte ich mir zum Beispiel beim Dreh in Istanbul. Ich spreche sehr kritisch über die AKP-Regierung und über die türkische Religionsbehörde, und dann frage ich mich: Fuck, bringe ich gerade meine Gäste in Gefahr, indem ich das ausschweifend kritisiere, was meine Gäste nicht dürfen, weil sie sonst in der Türkei in große Probleme geraten könnten? Darüber habe ich mir eher Gedanken gemacht bei der Erschaffung der Show. Ob man die Menschen, die man mit sich reinzieht, nicht in Gefahr bringt.

STANDARD: Sie wurden von der "Süddeutschen Zeitung" schmeichelhaft als Deutschlands größte Entertainerhoffnung bezeichnet. Wie ist Ihr Selbstbild?

Donskoy: Pff, weiß ich nicht, keine Ahnung. Ich versuche mich nicht darauf zu fokussieren, wie oder als was ich bezeichnet werde. Ich bin auf jeden Fall gewillt, Grenzen zu durchbrechen. Das versuche ich mit Formaten und Projekten. Ich hoffe, dass ich die Menschen erreicht bekomme. Manchmal hat man Ideen, die klingen cool, und dann sieht es sich niemand an. Der deutschsprachige Raum braucht Veränderung. Man muss es schaffen, politische und gesellschaftlich relevante Themen mit Unterhaltung und Spaß zu verbinden, weil wir hier sehr gerne kategorisieren. Und diese veraltete Wahrnehmungsform versuche ich ein kleines bisschen zu durchbohren, und ich hoffe, das wird mir auch in den nächsten Jahren noch gelingen. (Oliver Mark, 17.10.2022)