Frauen können leichter Wörter mit einem vorgegebenen Anfangsbuchstaben bilden.

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Ob Frauen tatsächlich besser mit Sprache umgehen können und auch ein besseres Wortgedächtnis haben als Männer, wird seit Jahrzehnten in unterschiedlichsten Facetten erforscht. Ein Forschungsteam der norwegischen Universität Bergen bestätigte nach Sichtung von über 2.900 Abhandlungen, von denen 168 schließlich berücksichtigt wurden, und über 355.000 beschriebenen Studienteilnehmenden die Annahme.

Leichte Vorteile für Frauen

"Frauen sind besser. Der weibliche Vorteil ist zwar relativ klein, aber zieht sich konsistent durch alle untersuchten Zeit- und Lebensabschnittsperioden", erklärt Studienautor Marco Hirnstein. Der Metastudie zufolge, die im Journal "Perspectives on Psychological Science" veröffentlicht wurde, ergeben die untersuchten Teilaspekte aber nicht immer ein eindeutiges Bild. Zwar gibt es statistisch messbare Vorteile, was die Sprachkompetenz von Frauen betrifft. In manchen Kategorien schnitten allerdings sogar Männer besser ab.

So tun sich Frauen leichter, Wörter mit einem vorgegebenen Anfangsbuchstaben zu bilden (phonemische Kompetenz), und schneiden auch besser ab, wenn es um das Abrufen verbaler Erinnerungen geht – also etwa um Gespräche oder darum, was man gelesen hat. Zudem schneiden sie in einigen semantischen Kategorien – also etwa Begriffe zu einem bestimmten Thema zu finden – besser ab als Männer.

Ein kritischer Blick auf die bisher durchgeführten Studien zeigte jedoch, dass dieser Vorteil themenspezifisch ist. Während etwa bei den Kategorien Früchte, Essen und Gemüse Frauen besser abschnitten, fielen Männern mehr Begriffe zu Tieren ein. Im Schnitt ergibt sich dennoch eine leicht bessere Sprachkompetenz für Frauen.

Signifikant für Diagnosen

Die auf den ersten Blick nicht allzu groß ausfallenden Unterschiede sind laut Ansicht der Forschungsgruppe um Hirnstein aber dennoch signifikant. Denn die angeführten Sprachkompetenzen spielen etwa bei der Diagnose von Demenz, aber auch von anderen Erkrankungen, die das Denk- und Sprachvermögen beeinträchtigen, eine wichtige Rolle.

Wird eine Demenzerkrankung früh erkannt, kann positiv auf den Verlauf eingewirkt werden.

Bei etwaigen Tests würden vor allem Aufgaben gestellt, welche die phonemische Kompetenz, also etwa das Bilden von Wörtern mit einem bestimmten Anfangsbuchstaben, aber auch die verbale Erinnerung abtesten. Da Frauen in diesen Bereichen generell besser abschneiden, können Erkrankungen wie Demenz bei ihnen länger unentdeckt und somit unbehandelt bleiben, schlussfolgern die Forschenden.

Genau das ist aber ein Problem. Denn je früher Demenz diagnostiziert wird, desto besser kann man positiv auf den Verlauf der Erkrankung einwirken. Aber auch bei Männern müsse dieser Aspekt mitbedacht werden, da sie im Umkehrschluss leichter Gefahr laufen, aufgrund solcher spezifischen Tests fehldiagnostiziert zu werden.

Weitere Forschung notwendig

Abgesehen von der Berücksichtigung der jeweiligen genderspezifischen Stärken und Schwächen in der Sprachkompetenz, was solche Tests angeht, regt das Forschungsteam der Universität Bergen an, die Gründe für die beobachtete Diskrepanz näher zu beleuchten. Sie vermuten, dass der teilweise festzustellende Vorteil von Frauen in der Sprachkompetenz neben biologischen auch psychologische und soziokulturelle Gründe hat.

In der Durchsicht der existierenden Studien bemerkten sie zudem, dass Männer beziehungsweise Frauen leicht besser abschnitt, wenn die erstgenannten Studienverantwortlichen männlich beziehungsweise weiblich waren. Auch dieser leicht feststellbare Bias der Studienverantwortlichen zugunsten des eigenen Geschlechts müsse kritisch beleuchtet werden. (Martin Stepanek, 14.10.2022)