2015 war es schon einmal so weit. Im Sommer der großen Fluchtbewegung wurden im Lager Traiskirchen Zelte aufgestellt.
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Die Fluchtbewegung nach Österreich ist ungebrochen. Täglich kommen hunderte Menschen neu an, mehr, als das Land auf eigene Faust wieder verlassen. Jeden Tag muss die Bundesbetreuungsagentur BBU um 100 Menschen mehr unterbringen als am Tag davor.

Inzwischen leben rund 8000 Personen in Einrichtungen der BBU, die für die Versorgung bedürftiger Flüchtlinge und Migranten in der Ankunftsphase zuständig ist. Das sind weit mehr Menschen, als dort wohnen sollten – denn die Bundesländer stellen viel zu wenig Plätze zur Verfügung. "70 Prozent der in den BBU-Quartieren Untergebrachten befinden sich schon im Asylverfahren. Laut der geltenden Bund-Länder-Quote sollten sie längst in einem Länderquartier sein", sagt BBU-Sprecher Thomas Fussenegger.

Nun seien die Bundesquartierreserven aufgebraucht. Einzige Möglichkeit, um zu verhindern, dass Migranten auf der Straße schlafen, sei das Aufstellen von Zelten. Und zwar schon in den nächsten Tagen. "Es bleibt uns nichts anderes übrig, als die Reißleine zu ziehen", sagte der BBU-Sprecher.

Caritas protestiert

Wo genau sollen die Flüchtlingszelte hinkommen? Aus Insiderkreisen war zu erfahren, dass dafür Bundesländer im Gespräch waren, die – siehe oben – die Asylwerber-Unterbringungsquote nicht erfüllen. Konkret wurden Tirol und Kärnten genannt. Bestätigung dafür gab es keine. Tatsächlich ist Kärnten bei den Flüchtlingsübernahmen mit 38 Prozent im Rückstand, Tirol mit 37 Prozent. Die übrigen Bundesländer hinken ihren Verpflichtungen weniger stark nach, Wien übererfüllt sie.

"Wenn jetzt am Wochenende tatsächlich bereits Zelte zur Unterbringung von Asylwerberinnen und Asylwerbern stehen, dann tragen dafür acht Landeshauptleute (außer Wien) die Verantwortung", twitterte denn auch der Wiener Caritas-Geschäftsführer Klaus Schwertner am Freitag. Im Innenministerium suchte man währenddessen Wege geringen Widerstands.

Zelte in Thalham?

Für die Zelte würden sich Grundstücke in den 28 Bundesbetreuungseinrichtungen anbieten, die ohnehin zur BBU gehören, sagte ein Sprecher von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) dem Standard. Dementsprechend verdichtete sich am Freitag das Gerücht, dass die ersten Stoffunterkünfte im Erstaufnahmezentrum West im oberösterreichischen Thalham stehen sollen.

Das nun wäre eine Vorgangsweise, die jener während der großen Fluchtbewegung 2015/16 gleicht. Damals, im Sommer 2015, wurden auf dem Gelände der Erstaufnahmestelle Traiskirchen, und nur dort, Zelte aufgestellt. Überall sonst waren die Proteste zu stark – und um sich über sie hinwegzusetzen, hätte die Bundesregierung eine Verfassungsmehrheit gebraucht.

Rechtlich ist dies auch heute nicht anders, und es führt zu einer Pattsituation. In den vergangenen Monaten scheiterten Dutzende BBU-Quartierpläne an lokalen Widerständen – egal, ob sie in festen Gebäuden oder in Containern konzipiert worden waren. Umgesetzt wiederum wurde zum Beispiel ein 500-Plätze-Projekt in der Wiener Althanstraße. Es muss Ende Oktober wieder schließen. Ein weiteres, neues 250-Plätze-Quartier im steirischen Kindberg kann erst im kommenden Jänner eröffnet werden. Entsprechend zäh könnte das letzte Quartal 2022 werden. Platzangebote in den Ländern würden dringender denn je gebraucht, sagt Fussenegger.

Quartiernot in Deutschland

Österreich ist jedoch nicht das einzige EU-Land, in das die Flüchtlingszelte zurückkehren. Auch im deutschen Hamburg haben steigende Ankunftszahlen dazu geführt, dass Zelte aufgestellt werden mussten, berichtete der NDR. In anderen Städten im Norden des Landes, wie etwa in Rostock oder Emden, müssen die Schutzsuchenden in Turnhallen, Containern oder auf Kreuzfahrtschiffen untergebracht werden.

Die Flüchtlingsquartierkrise beschäftigte auch die EU-Innenministerinnen und -minister am Freitag in Brüssel. Im Mittelpunkt stand aber die deutlich gewachsene Flucht- und Migrationsbewegung über die Balkanroute. Erst am Donnerstag hatte die EU-Grenzschutzagentur Frontex bekanntgegeben, dass im September auf diesem Weg 19.160 irreguläre Einreisen registriert wurden. Allerdings, fügte die EU-Behörde an, sei "die hohe Zahl an illegalen Grenzübertritten auf wiederholte Versuche von Migranten zurückzuführen, die sich bereits auf dem westlichen Balkan aufhielten".

Nichtsdestotrotz wird dabei das große Problem in Serbien gesehen. Dort können bestimmte Drittstaatsangehörige, etwa aus Indien, Pakistan oder Tunesien, bis dato ohne Visum einreisen. (Irene Brickner, Kim Son Hoang, 14.10.2022)


Die einen werden bei Protesten verhaftet, andere fliehen. Beide Gruppen haben eines gemeinsam: Sie wollen nicht für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine einberufen werden oder Angehörige im Krieg verlieren.
DER STANDARD