Sie tragen Namen wie Diamond Cloud, Snow Desert und Black Canyon. Ein Naturstein, sagt Johannes Artmayr, ist wie ein Fingerabdruck. Auf dem Weg durch die Produktion streicht er mit den Händen über Platten. "Sehen diese nicht aus wie Bilder von Google Earth mit Gletschern, Wäldern und Feldern?"

STANDARD: Die Österreicher haben während der Pandemie viel Zeit hinter dem eigenen Herd verbracht. Sind Küchen die neuen Statussymbole?

Artmayr: Sie waren es schon bisher. Die Pandemie hat zusätzlich für Dynamik gesorgt. Konsumenten verbringen mehr Zeit daheim. Im Fernsehen laufen ununterbrochen Kochsendungen. Auch junge Männer kochen so viel wie nie. Und das macht man gerne auf schönem Material ...

STANDARD: ... das seinen Preis hat. Viele Konsumenten werden angesichts der hohen Inflation und teuren Energie wohl bei neuen Küchen sparen.

Artmayr: Auf kaufkräftigere Schichten wird die Teuerung weniger stark durchschlagen. Naturstein ist nicht nur etwas für die oberen zehntausend. Küchen sind oft uniform, Zauber verleiht ihnen die Arbeitsplatte.

STANDARD: Sind Essig, Kernöl und Rotwein der Steine größte Feinde?

Artmayr: Anders als bei Kalkgesteinen wie Marmor ist das bei Hartgesteinen kein Thema. Cola, Zitronensaft bis hin zu Roten Rüben – wir testen sie darauf auf Herz und Nieren. Natursteine sind zudem kratzfest, hitzebeständig und hygienisch.

Johannes Artmayr: ""Wir wollen Leuten künftig nicht nur einen Job bieten, sondern sie dabei unterstützen, sich in der Region anzusiedeln."

STANDARD: Strasser war einst insolvent. Heute sind Sie größter Hersteller von Steinarbeitsplatten in Mitteleuropa und bauen kräftig aus. Was macht das Unternehmen krisenresistenter?

Artmayr: Auch wenn der Markt zurückgeht, wachsen wir dank neuer Kunden. Wir recyceln und veredeln etwa gebrauchte Küchenarbeitsplatten. Es ist das weltweit erste Kreislaufsystem dafür. Keramik ist teurer. Sie wird energieintensiver produziert und letztlich zu Sondermüll.

STANDARD: Gehen Ihnen bei der Expansion nicht die Arbeitskräfte aus? Der Bezirk Rohrbach hat eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten Europas.

Artmayr: Als Mühlviertler bin ich ein bisserl stolz drauf. Als Unternehmer ist es nicht lustig. Wir bereiten uns aber seit Jahren darauf vor. Mitarbeiter bekommen Zuschüsse für E-Bikes, wir laden zu Theaterveranstaltungen und sprechen Jugendliche über Videos an. Das Klima im Unternehmen muss passen, der Bekanntheitsgrad spielt mit. Und wir wollen Leuten künftig nicht nur einen Job bieten, sondern sie dabei unterstützen, sich in der Region anzusiedeln. Wir haben Mitarbeiter aus 19 Staaten, die im Mühlviertel leben, von Griechen bis Chilenen.

STANDARD: Sie stellen die Produktion von Drei- auf Zweischichtbetrieb um. Wird das im Dienste attraktiverer Arbeitszeiten Schule machen müssen?

Artmayr: Es ist bei der Wahl des Arbeitsplatzes ein Riesenthema. Wir bauen auch aus, um künftig in nur zwei Schichten das doppelte bisherige Volumen zu bewältigen.

STANDARD: Ist Österreichs Arbeitslosengeld aus Ihrer Sicht zu hoch?

Artmayr: Im Mühlviertel bleibt bei einer Arbeitslosenquote von 1,4 Prozent nur zu Hause, wer aus körperlichen oder psychischen Gründen nicht arbeiten kann.

STANDARD: Wie stark leiden Steinverarbeiter unter teurer Energie?

Artmayr: Unternehmer müssen mit einem Höchstpreis für Energie kalkulieren können. Wir selbst haben keinen Bedarf an Gas. Wir haben bereits vor 14 Jahren komplett von Öl auf Biomasse umgestellt und in die Photovoltaik investiert. Noch lassen sich die hohen Stromkosten in der Kalkulation unterbringen. Es ist jedoch hoch an der Zeit, dass die EU-Politik ins Merit-Order-Prinzip eingreift. Dass Strom aus Wasserkraft zu Preisen verkauft werden muss, wie sie das teuerste Gaskraftwerk produziert, ist widersinnig.

STANDARD: Erhielt Ihr Betrieb während der Corona-Krise staatliche Hilfe?

Artmayr: Wir hatten zwei Wochen lang Kurzarbeit. Das war alles.

"Angesichts eines 200 bis 300 Millionen Jahre alten Materials von Mode zu sprechen klingt lustig", sagt Artmayr.

STANDARD: Ökonomen beklagen in Österreich Vollkaskomentalität. Wird zu sehr mit der Gießkanne ausgeteilt?

Artmayr: Wir Unternehmer müssen treffsicher agieren. Den Klimabonus von 500 Euro erhalten auch Millionäre. Die Politik argumentiert, dass sie schnell helfen musste. Ich kenne den Digitalisierungsgrad der einzelnen Ministerien nicht. Ein Unternehmen hat die Listen über die Umsätze seiner Kunden in der Regel jedoch innerhalb von fünf Minuten.

STANDARD: Wie fragil sind die Lieferketten Ihrer Branche?

Artmayr: Dramatik wie bei Chips gab es bei uns nicht. Wir haben Lager mit Vorräten für einige Monate. In Indien etwa wird während der Regenzeit oft monatelang nicht abgebaut. Container aus Übersee hingen aber teils in Häfen fest. Preise dafür haben sich bis zu verachtfacht.

STANDARD: Steinscouts loten für Sie Steinbrüche in aller Welt aus. Schlägt Exotik Regionalität?

Artmayr: Wir legen großen Wert auf regionale Steine. Eine Lieblingsdestination ist aber auch Brasilien. Aus China haben wir fast nichts mehr auf unserer Einkaufsliste.

STANDARD: Welcher Stein ist denn gerade in Mode?

Artmayr: Angesichts eines 200 bis 300 Millionen Jahre alten Materials von Mode zu sprechen klingt lustig. Wir haben jedoch mit unseren grünen Steinen aus Osttirol einen Sog ausgelöst. Grün wäre vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen.

STANDARD: Warum ist es billiger, Steine aus Fernost zu importieren, als sie aus Europa zu beziehen?

Artmayr: Das gilt nur für wenige günstige Steine, speziell aus China, die wir nicht mehr vertreiben. Laien können chinesischen nicht von Mühlviertler Granit unterscheiden. Da ist viel Schindluder getrieben worden. Schöne Quarzite aus Brasilien aber sind teurer als europäische.

STANDARD: Natursteine sind weltweit ein Milliardengeschäft. Ihr Abbau in Indien und China wird immer wieder von sozialen Missständen, von Zwangs- und Kinderarbeit begleitet.

Schlaflose Nächte hatte er nicht, nachdem er das Unternehmen aus der Konkursmasse ersteigerte, sagt Artmayr. "Ich empfehle das auch nicht. Wer zu Steinbrüchen von Italien bis Indien fährt, sollte gut ausgeschlafen sein."
Foto: Herbert Wakolbinger

Artmayr: Wir kaufen nur aus Steinbrüchen, wo unsere Scouts mehrfach im Jahr vor Ort sind. Sie kennen die Steinbruchbesitzer und Arbeitsbedingungen, in Brasilien wie in Indien. Beim Abbau großer Blöcke, einer wiegt 25 bis 28 Tonnen, werden Steine mit Seilen aus dem Fels geschnitten, auf Tieflader gelegt, nach Italien verschifft, wo ihre Oberfläche bearbeitet wird. Kinderarbeit ist hier denkunmöglich.

STANDARD: Sie produzieren auch Grabsteine und Denkmäler. Ist dieses Geschäft in Stein gemeißelt?

Artmayr: Da ist ein bisserl Herzblut dran. Es war das erste Geschäftsfeld der Unternehmensgründer, wir zählen hier 40 Mitarbeiter. Vor allem aber bilden diese unsere Lehrlinge aus. Es ist traditionelle Steinmetzarbeit mit Hammer und Meißel. Denkmäler werden seltener, es gibt aber Gräber mit schönen Reliefs.

STANDARD: Sie selbst haben Strasser 2004 aus der Konkursmasse ersteigert. Was hat Sie an diesem Markt gereizt?

Artmayr: Ich wollte schon immer als Unternehmer tätig sein. Dafür muss man aber brennen. Sonst sollte man besser die Finger davon lassen.

STANDARD: War der Betrieb nicht bereits an andere Bieter vergeben?

Artmayr: Der Kaufvertrag war noch nicht unterzeichnet. Wir haben in der Nacht ein Nachtragsangebot gesandt, was für Diskussionen sorgte. Was ist wichtiger: mehr Geld in der Masse oder Schutz des Bieters in der Versteigerung? Es folgten Seminare für Richter und Anwälte mit Strasser als Fallbeispiel. Ich lernte daraus: Aufstehen, Krone richten, und weiter geht’s. Fühle ich mich benachteiligt, laufe ich zur Höchstform auf.

STANDARD: Studien zufolge schaffen weniger als 20 Prozent der Unternehmen, die pleitegehen, den Neustart.

Artmayr: Die ersten Jahre waren nicht einfach. Man baut Neues auf, reduziert anderes und tanzt auf der Nulllinie. Es galt, Mitarbeiter zu motivieren: "Auch KTM, Atomic waren in Konkurs, wir gehören zu jenen, die es schaffen." Ob ich schlaflose Nächte hatte? Gott sei Dank nicht. Ich empfehle das auch nicht. Wer zu Steinbrüchen von Italien bis Indien fährt, sollte gut ausgeschlafen sein.

STANDARD: Sie sind 2018 mit Ex-VP-Finanzminister Hans Jörg Schelling bei der digitalen Möbelplattform Roomle eingestiegen. 2021 wurde die App verkauft. Hat sich der Deal gelohnt?

Artmayr: Er hat sich gelohnt, da ich Professionisten der Szene kennenlernen durfte. Finanzieller Verlust war es keiner. Das Geschäft hat Zukunft, man hätte allerdings viel Kapital nachschießen müssen.

STANDARD: Können Sie sich vorstellen, sich von Strasser zu trennen?

Artmayr: Es ist natürlich anders als bei Unternehmen, die seit Generationen in Familienhand sind, wo die Kinder schon beim Opa in der Firma auf dem Schoß saßen. Ich habe aber noch so viele Ideen. Ich sehe dieses Unternehmen als langes Projekt mit unzähligen Möglichkeiten. (Verena Kainrath, 16.10.2022)