Gidon Kremer, der Gubaidulinas Violinkonzert Offertorium zusammen mit dem RSO Wien 1981 uraufgeführt hat, interpretierte es neuerlich.

Angie Kremer

Wien – Während sich die beiden anderen ortsansässigen Klangkörper seit Jahrzehnten hingebungsvoll der Pflege der drei großen B (Beethoven, Brahms und Bruckner) widmen, reicht das Repertoire des ORF RSO Wien von Bach bis Boulez und darüber hinaus – bis zu Sofia Gubaidulina und Mark Andre, zum Beispiel.

Den französischen Komponisten rückt der Musikverein in dieser Saison in den Fokus, seine "Echographie" (2017) eröffnete das erste Abokonzert des Orchesters im Großen Saal, das wiederum von einer Porträtkünstlerin dieser Saison geleitet wurde, der 1986 in Hongkong geborenen Dirigentin Elim Chan.

Inspiriert von der im Lukas-Evangelium geschilderten Emmaus-Episode, gleicht Andres Vierminüter einer entrückten Kurzwanderung an den Grenzen der Hörbarkeit. Auch Gubaidulinas Violinkonzert "Offertorium" kennt die christliche Religion als Inspirationsquelle, konkret zitiert die russische Komponistin eingangs das Thema aus Bachs "Musikalischem Opfer". Es folgt eine 40-minütige Erzählung von hoher deskriptiver Kraft.

Entspannte Spontaneität

Gidon Kremer, der das Werk zusammen mit dem RSO Wien 1981 uraufgeführt hatte, interpretierte es am Freitagabend mit dem Lockenhaus-Spirit entspannter Spontaneität. Der Geiger warnte danach davor, russische Musiker pauschal zu verunglimpfen und widmete seine Zugabe, eine Serenade von Valentin Silvestrov, den leidenden Menschen in der Ukraine.

Klangschön und sichtlich genussvoll interpretierte das RSO dann unter Chans Leitung Rachmaninows 1941 in Philadelphia uraufgeführten "Symphonischen Tänze", so leistungsstark und robust wie ein US-amerikanischer Klangkörper. (Stefan Ender,16.10.2022)