Der Bau eines Kernkraftwerks, wie hier der britische Reaktorblock Hinkley Point, dauert. Mit Kleinreaktoren nach dem Bausatzprinzip soll es künftig schneller gehen.

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Mit Atomenergie ist Österreich nie so ganz warm geworden, um es vorsichtig auszudrücken. Das Grazer Unternehmen Emerald Horizon hält das nicht davon ab, es nochmals mit der Kernkraft zu probieren. Sie will ein sicheres Konzept für nachhaltige Atomenergie erarbeitet haben.

Statt auf klassische Atomkraftwerke setzen die Steirer auf kleine Reaktoren, die mit dem Element Thorium betrieben werden. Das soll vor allem sicherer, aber auch effizienter als die Kernspaltung mit Uran sein. Statt mit Brennstäben wird der neue Reaktortyp mit einem flüssigen Kern aus Thorium betrieben, der in geschmolzenem Salz gelöst ist.

Nächste Atomkraftgeneration

Eine Kernschmelze wie in Tschernobyl soll dabei nicht möglich sein. Wenn der Kern zu heiß wird, etwa durch ein ausgefallenes Kühlungssystem, dehnt sich das Flüssigsalz aus, und die Kettenreaktion wird verlangsamt. Zwar fällt auch bei Thoriumreaktoren Atommüll an, allerdings in kleinerer Menge – und er soll nur wenige hundert statt hunderttausende Jahre strahlen.

Die Idee ist nicht neu: Schon seit Mitte der vergangenen Jahrhunderts wird versucht, aus Thorium Energie zu gewinnen. In den 1980er-Jahren speiste in Deutschland ein Thoriumreaktor sogar einmal Strom ins Netz ein – doch das Projekt galt schon nach wenigen Jahren als gescheitert.

Nun soll eine neue Generation von Thoriumkraftwerken die Energiewende vorantreiben. Bill Gates will mit seiner Firma Terrapower neuen Kerntechnikverfahren, darunter auch Thoriumreaktoren, zum Durchbruch verhelfen und soll bereits über eine halbe Milliarde Dollar investiert haben.

China und Indien setzen auf Thorium

China hat sein Thoriumprogramm bereits 2011 gestartet und will noch in diesem Jahr einen Versuchsreaktor hochfahren. Spätestens 2030 soll dann ein Kraftwerk ans Netz gehen, das immerhin 370 Megawatt liefert, genug für hunderttausende Haushalte. Indien wiederum will langfristig sämtliche seiner Atomkraftwerke auf Thorium umstellen.

Es sind auch geopolitische Argumente, die den Reaktortyp attraktiv machen. So gibt es in Indien etwa kaum Uran, dafür die größten Thoriumvorkommen der Welt, die laut Angaben der indischen Atomagentur die Stromversorgung Indiens für Jahrhunderte sichern könnten.

Um die Kettenreaktion in Gang zu bringen, muss das Thorium zunächst mit Neutronen beschossen werden, die in der Regel aus zerfallendem Uran kommen. Emerald Horizon plant hingegen, das Thorium-Salz-Gemisch mit Neutronen aus Teilchenbeschleunigern zu beschießen, die derzeit etwa in der Medizintechnik zum Einsatz kommen.

Investorengeld für Demonstrator

Das soll den Reaktor besser steuerbar machen. "Bei klassischen AKWs muss man die Kettenreaktion im Zaum halten, bei Thorium ist es umgekehrt, man muss die Reaktion dauernd anstoßen, damit sie nicht aufhört", sagt Mario Müller, Entwicklungsleiter von Emerald Horizon, der bereits Erfahrung am Kernforschungszentrum Cern gesammelt hat. Der Physiker hat in seiner Jugend selbst gegen Atomkraft demonstriert, inzwischen sei er zu der Erkenntnis gekommen, "dass es ohne Kernkraft nicht gehen wird".

Laut Emerald-Horizon-Gründer Florian Wagner ist der Prototyp bereits finanziert, nun sammelt er Geld von Investoren für einen Demonstrator, der etwa 250 Millionen Euro kosten wird. Danach soll es bald Richtung Marktreife gehen.

Kernkraft im Kleinformat

Der gesamte Reaktor soll Platz in einem Standard-Schiffscontainer finden, in einem weiteren könne die vom Reaktor erzeugte Hitze in Strom, Wasserstoff, Fern- oder Prozesswärme für die Industrie umgewandelt werden. Die Module sollen in einer Fabrik standardisiert in großer Stückzahl produziert werden – das spare Geld gegenüber dem klassischen Anlagenbau, wie er bei Großkraftwerken üblich ist.

Wer Thoriumenergie beziehen will, werde die Container künftig pachten können, wobei nicht für den Reaktor selbst, sondern für den bezogenen Strom bezahlt werden soll – sogenanntes Energy Contracting, das Emerald Horizon schon länger für größere Photovoltaikanlagen anbietet.

Weiter Weg

Der Nuklearexperte Thomas Schulenberg zweifelt daran, dass kleine Thoriumreaktoren bald marktreif sind. Er leitete bis 2019 das Institut für Thermische Energietechnik und Sicherheit am Karlsruher Institut für Technologie und forschte dort auch zu Thorium. "Physikalisch macht das alles Sinn", sagt Schulenberg. "Aber der Weg zum fertigen Produkt ist noch weit."

Er erinnert daran, wie viel Manpower und Zeit es braucht, ein traditionelles Kernkraftwerk zu errichten. Bei dem neuen Reaktordesign kommen aber noch viele Unbekannte dazu – denn bis heute gibt es keinen einzigen funktionstüchtigen Prototyp eines Thorium-Flüssigsalzreaktors.

Unbekannter Zeithorizont

Auch die Idee der massenproduzierten Fertigteilreaktoren sei in der Realität wohl schwer umzusetzen, schließlich gibt es in jedem Staat eigene Bestimmungen für die streng regulierte Kernkraftindustrie. Trotzdem will er den Steirern die Motivation nicht nehmen. "Es ist wichtig, dass die Forschung weitergetragen wird", sagt Schulenberg.

Der australische Nuklearexperte Lyndon Edwards sagte der Fachzeitschrift "Nature", dass Thorium eine "sehr nützliche Technologie für in 50 oder 100 Jahren" sei. Doch bis die neuen Kraftwerke eine nennenswerte Menge Energie einspeisen werden, werde es wohl noch Jahrzehnte dauern – weshalb man schon jetzt mit der Erforschung anfangen müsse.

Präsentation im Parlament

Ob und wann den Thoriumreaktoren der Durchbruch gelingt, lässt sich nicht genau sagen. Das deutsche Öko-Institut schätzt, dass es erst 2060 so weit sein könnte. Für die Klimawende kommt die Technologie aber zu spät – schließlich bleiben nur mehr wenige Jahre für eine Trendwende bei den CO2-Emissionen. Dazu kommen einige ungelöste Probleme. Der Atommüll, den die Thoriumreaktoren produzieren, sondert etwa Gammastrahlung ab, weshalb er gekühlt werden müsste.

Florian Wagner sieht hingegen das größte Risiko ganz woanders. "Es nicht zu tun", sagt der Unternehmer. Umweltverschmutzung und Klimakrise würden schon heute täglich Menschenleben fordern. Ob das die traditionell kernkraftkritische österreichische Politik ähnlich sieht, wird sich zeigen. Am Dienstag stellt das Unternehmen sein Projekt im Parlament vor. (Philip Pramer, 18.10.2022)

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DER STANDARD