Das Verbot wird auf Geschäfte zwischen Russland und Europa massive Auswirkungen haben. Umstritten ist vor allem, ob die vorgelagerte Beratung darüber, ob Sanktionen überhaupt greifen, erlaubt ist.

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Ein bisher kaum beachtetes Detail im neuen Sanktionspaket gegen Russland könnte große wirtschaftliche Auswirkungen haben: Anwaltskanzleien dürfen künftig keine russischen Unternehmen mehr beraten. Das wird Geschäfte zwischen Europa und Russland bedeutend erschweren – und zwar über alle Branchen hinweg.

Die Anwaltschaft übt an dem Paket, das seit einer Woche in Kraft ist, allerdings scharfe Kritik: Laut Ulrich Wessels, Präsident der deutschen Anwaltskammer, verstoßen die Sanktionen gegen "rechtsstaatliche Grundsätze". Der österreichische Anwaltspräsident Armenak Utudjian kritisiert, dass das Paket Justizgrundrechte unzulässig einschränken könnte. Die EU-Verordnung sollte deshalb überarbeitet werden, fordert Utudjian im STANDARD-Gespräch.

Generelles Verbot mit Ausnahmen

Aber worum geht es konkret? Die neue Verordnung verbietet es, die russische Regierung oder russische Unternehmen "unmittelbar oder mittelbar" zu beraten. Ausgeschlossen sind also auch Dienstleistungen "ums Eck" – etwa die Beratung von russischen Anwälten, die wiederum russische Unternehmen vertreten.

Es gibt jedoch Ausnahmen: So bleibt zum Beispiel die Beratung von russischen Privatpersonen weiter erlaubt. Bestimmte Tätigkeiten können genehmigt werden, wenn sie humanitären oder diplomatischen Zwecken dienen. Ausgenommen sind zudem die Beratung bei der Beendigung von Verträgen und die Vertretung in "streitigen" Angelegenheiten. Gemeint sind damit Verfahren vor staatlichen Gerichten, privaten Schiedsgerichten oder Verwaltungsbehörden.

In der Praxis ist das – entgegen der landläufigen Meinung – aber nur ein Teil der anwaltlichen Tätigkeit. Vor allem im Wirtschaftsrecht spielen Rechtsdienstleistungen abseits von "streitigen" Causen eine wichtige Rolle. So begleiten Anwältinnen und Anwälte etwa jedes größere Handelsgeschäft oder helfen dabei, Verträge auszuarbeiten und zu überprüfen. All das ist Rechtsberaterinnen künftig verboten.

"Handel massiv erschwert"

Aus Sicht von Marc Lager, Rechtsanwalt und Partner bei DLA Piper, haben die Sanktionen gegen Russland damit eine neue Qualität erreicht. "Faktisch wird dadurch der Zugang russischer Unternehmen zum europäischen Markt massiv erschwert", sagt Lager. Der Grund: Bisher sind von den Sanktionen nur bestimmte Branchen betroffen – zum Beispiel der Bereich Hochtechnologie. Das Beratungsverbot hat indirekt allerdings Auswirkungen auf sämtliche Geschäfte zwischen Russland und der EU, weil es deren Abwicklung verkompliziert oder überhaupt unmöglich macht.

Und was ist nun die Kritik der Anwaltschaft? "Sanktionen sind als europäische Reaktion auf die inakzeptable Aggression Russlands erforderlich", sagt Präsident Utudjian. "Die neue Verordnung ist aber sehr undeutlich formuliert." Für Anwälte sei daher oft nicht klar, ob sie beraten dürfen oder nicht. Das sei insofern problematisch, als bei Verstößen harte Strafen drohen.

Die Verordnung lasse etwa den Schluss zu, dass auch die sogenannte Compliance-Beratung verboten ist – also die vorgelagerte Beratung darüber, ob ein Geschäft unter das Sanktionsregime fällt oder nicht. Ein solches Verbot wäre eine "unzulässige Einschränkung der Justizgrundrechte", kritisiert Utudjian. Die Verordnung müsse neu formuliert werden, weil die FAQs, die die EU-Kommission bereitstellt, rechtlich nicht bindend sind.

Ökonomisches Interesse?

Nach der Kritik der Anwaltschaft hat das deutsche Justizministerium vergangene Woche betont, dass es sich auf EU-Ebene gegen das Verbot eingesetzt habe, seinen Standpunkt jedoch nicht durchsetzen konnte. Das österreichische Ministerium hält den Kompromiss angesichts der Ausnahmen für "vertretbar", heißt es auf Standard-Anfrage.

Bereits kurz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine hatten sich im März dieses Jahres zahlreiche internationale Sozietäten aus Russland zurückgezogen – darunter etwa DLA Piper und Freshfields. Für viele kleinere Kanzleien, die ihre Mandate behielten oder gar neue aufnahmen, geht es aber um viel Geld. Vor allem die Compliance-Beratung wurde in den letzten Monaten zu einem wichtigen Geschäftsfeld. Dass wirtschaftliche Interessen der Grund für die Kritik am neuen Sanktionspaket sind, weist Präsident Utudjian entschieden zurück. "Uns geht es um die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundprinzipien." (Jakob Pflügl, 17.10.2022)