September 1973, Ferrari-Testgelände Fiorano. Niki Lauda war ja mit allen Wassern gewaschen, hier aber wäscht er selbst: seinen lange verschollenen 365 GT4 2+2.
Foto: Copyright Marcel Massini, zur Verfügung gestellt von Dorotheum

Im Jahr des Herrn 1973 geht es unruhig zu auf dem Erdenrund. Bis Ende März ziehen die USA ihre Truppen aus Vietnam ab, und Watergate beutelt das politische Amerika. Am 3. Juni schafft Papst Paul VI. die seit dem 6. Jahrhundert gebräuchliche Tonsur, im Volksmund "Landeplatz des Heiligen Geistes" genannt, ab. Am 11. September putscht sich Augusto Pinochet mithilfe seiner Militärs in Chile an die Macht. Der Jom-Kippur-Krieg, ab 6. Oktober, bringt Israel an den Rand einer Niederlage. Im Gefolge des Krieges zeigt die Ölkrise den westlichen Staaten drastisch ihre Abhängigkeit von billiger Energie und den ölproduzierenden Ländern auf. Geschichte wiederholt sich.

Mit Eimer und Putzzeug

Europas Auto des Jahres, damit sind wir beim Automobil, ist der Audi 80. Punktlandung zur Ölkrise: Im Herbst debütiert mit dem BMW 2002 turbo das erste deutsche Serienmodell mit Abgasturbolader, noch vor dem Porsche 911 Turbo. Der Wagen wird heftig kritisiert wegen seines Verbrauchs, geschadet hat es ihm nicht, im Gegenteil, heute wird es als mit mythenbegründend wahrgenommen. Und am 19. September greift Niki Lauda auf dem Gelände der Ferrari-Teststrecke in Fiorano zu Eimer und Putzzeug und pflegt liebevoll seinen 365 GT4 2+2: Schau mal, wer da wäscht.

Das Ereignis ist gut dokumentiert, im umfangreichen Archiv des Schweizer Ferrari-Experten Marcel Massini gibt es ein paar wundervolle Schwarz-Weiß-Aufnahmen, und damit sind wir beim Star dieses Beitrags.

Foto: Copyright Marcel Massini, zur Verfügung gestellt von Dorotheum

Regisseur Zufall

Hätte nicht ein Zufall Wolfgang Humer, den langjährigen Leiter der Abteilung Klassische Fahrzeuge im Dorotheum, zu diesem Auto geführt, sein bedeutsamster Vorbesitzer wäre wohl niemals mehr ermittelt worden.

Humer ist so freundlich, uns die Geschichte dieser wundersamen Entdeckung in seinem Büro zu schildern. "Wundersam tatsächlich, als ich eigentlich wegen eines Testarossa zu einem Termin gefahren bin. Dann hieß es: Wir hätten noch zwei andere Autos – eines davon ist ein Ferrari 365 GT4 2+2. Also Karosserie, wie sie später der 400er und 412er gehabt haben, aber noch mit dem Motor vom 365er. Ein Auto in sichtlich noch nicht restauriertem Zustand, dunkelrot-metallic lackiert, gebrauchter Originalzustand. Pickerl und alles, angemeldet, das originale Interieur noch drinnen in einem dunklen Blau."

Foto: Copyright Marcel Massini, zur Verfügung gestellt von Dorotheum

Marcel Massinis Archiv

Jedenfalls, Humer sieht sich das Auto an, macht schnell ein paar Fotos, Fahrgestell- und Motornummer, um ein bisserl nachzuforschen. Und damit kommt der vorhin erwähnte Marcel Massini ins Spiel. Der Schweizer ist nicht irgendwer – sondern gilt als die Instanz weltweit, wenn es um historische Ferraris geht, mit einem grandiosen Archiv. Humer: "Bei manchen Autos weiß er vermutlich mehr als Ferrari selbst, er hat im Grunde sein ganzes Leben der Marke verschrieben."

Mit Massini tauscht der Dorotheum-Spezialist sich immer wieder einmal aus, es ist ein Geben und Nehmen. "Ich schicke ihm also unter anderem das Fotomaterial des 365ers – und innerhalb einer Minute kommt eine E-Mail zurück, wo in Großbuchstaben drinnensteht: ERSTBESITZER NIKI LAUDA!"

Foto: Copyright Marcel Massini, zur Verfügung gestellt von Dorotheum

Prominente Vorbesitzer

Humer: "Das Witzige ist: Als ich die Mail geschrieben habe, geschah das mit dem Hinweis auf zwei originelle Vorbesitzer, Karl Oppitzhauser, Rennfahrer aus Bruck an der Leitha, und als Nächstes Michael Denzel aus dem Denzel-Clan. Dass ein dritter, noch viel prominenterer Name auftauchen würde, hatte ich da noch nicht geahnt." Jedenfalls war damit die Sensation perfekt, und der Handlungsablauf stellt sich wie folgt dar. Dass sich die Spur in den Fahrzeugpapieren vor 1975 verliert, hat folgenden Grund: EE-Kennzeichen. Und zwar: Angesichts seiner Vertragsunterzeichnung erhält Lauda 1973 einen silbernen Daytona quasi als "Gehaltsbestandteil", den er auch gleich verkauft, zu Geld macht. Sein Firmenauto aber, mit dem er fährt, wird besagter 365 GT4 2+2 – mit italienischem EE-, dem Zoll-Export-Kennzeichen. Deshalb scheint der Erstbesitzer in den Papieren nicht auf. Die Sache ist aber einwandfrei geklärt: "Massini hat mir Ferraris Karteikarte zu dem Auto geschickt, mit dem Export-Kennzeichen. Drinnen steht: Mr. Niki Lauda, Pötzleinsdorfer Straße 59, 1180 Wien. Zweifelsohne war das also sein Auto."

Aus 365 wird 512

Weiter im Geschehen. Verwiesen wird in den Ersatzpapieren – die originalen waren verlorengegangen – auf 1975 und Helmut Marsoner in Innsbruck, und auch dazu hat Humer mit detektivischem Spürsinn die Fakten zusammengetragen. Helmuts Bruder Wolfgang war damals Denzel-Niederlassungsleiter in Innsbruck und mit Lauda befreundet. Der Rennfahrer hatte 1975 als Nachfolgemodell eine 512 Berlinetta Boxer bekommen und Wolfgang Marsoner gefragt, ob er sein altes Auto übernehmen wolle. Der habe abgewunken, als Denzel-Repräsentant könne er ohnehin stets die neuesten Ferraris fahren, aber sein Bruder schlug dann zu.

EE-Kennzeichen: Es mögen durchaus auch fiskaltechnische Überlegungen eine Rolle gespielt haben bei dem sich anbahnenden Geschäft, das sich da im Jänner des Jahres 1975 in Wolfgangs Wohnzimmer abgespielt hat, aber "für Helmut Marsoner als Steuerberater war die Zollgeschichte dann relativ einfach zu regeln".

So präsentiert sich das Auto heute. Versteigert wird es in einer singulären Online-Auktion des Dorotheums am 7. Dezember, da kann sich alle Welt um Laudas Erstling balgen.
Foto: Dorotheum

Umlackiert

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt: Der Steuerberater fuhr das Auto bis 1979, irgendwann sind, siehe oben, die Papiere abhandengekommen, ergo wurden 1979, als das Auto an den Herrn Oppitzhauser ging, neue ausgestellt. Humer schließt den Kreis: "Oppitzhauser hat es dann Michael Denzel weiterverkauft, und vermutlich bei dem wurde das Fahrzeug dann vom originalen Grigio argento (Silbergrau) auf das heutige Dunkelrot umlackiert, vermutlich in den 1980er-Jahren. Von Denzel ist es dann weitergegangen an einen Grazer Besitzer und von diesem an seinen jetzigen."

Die Kunde vom Erstbesitzer war in der Stafette irgendwann verlorengegangen, das Fahrzeug galt als verschollen. Humer resümiert: "Massini hat anlässlich des Todes von Niki Lauda für den österreichischen Ferrari-Club einen Beitrag über dessen Straßen-Ferraris geschrieben, wo auch auf diesen hier Bezug genommen wird. Jetzt wurde das Rätsel gelöst."(Andreas Stockinger, 20.10.2022)