Schwermut und Schönheit: Saedi veröffentlicht ihr Album "Token" und präsentiert es am Mittwoch live im Wiener Club Das Werk.

Ina Aydogan

Die Ballade ist auf ihre Art eine Königsdisziplin. Sie muss erzählen können, Tiefgang und Erfahrung besitzen, sich Zeit nehmen, die Dinge ausformulieren. Wer schummelt, fliegt sofort auf, denn wenn eine Ballade nichts kann, macht sie bloß gähnen.

Die iranischstämmige Österreicherin Tania Saedi hat eben ihr zweites Album veröffentlicht. Es heißt knapp Token und ist, tiefgestapelt formuliert, ziemlich gelungen. Token ist eine Sammlung von Balladen, lässigen Schleichern, die lebenserfahren um die Ecke biegen. Dabei streift Saedi mit träger Eleganz den Jazz, überträgt Charakteristika des Trip-Hop ins Bandgefüge und verleibt das alles der Balladenform ein. Es ist eine intim produzierte Musik, aus der 46 Jahre Lebenserfahrung sprechen, die sich selbst nichts vormachen kann und will. Es sind "Reflections in blue", wie das der Bluessänger Bobby Bland einst weise genannt hat. Am Mittwoch präsentiert sie Token live im Wiener Werk.

Zweite Sprache

Tania Saedi wurde 1976 in Teheran geboren. Ihre Mutter erhielt bald nach der Geburt eine Krebsdiagnose, die Familie ging zurück nach Wien, wo sich ihre Mutter und ihr aus dem Iran kommender Architektur studierender Vater kennengelernt hatten. In Wien ist Saedi aufgewachsen, in Graz hat sie später Jazz studiert, in den USA gelebt und gearbeitet, Englisch ist für sie eine zweite Sprache geworden, ein Gespräch mit ihr verläuft gewissermaßen bilingual: Was treffender ist, wird verwendet.

Hierzulande fiel sie in der elektronischen Clubmusik der 1990er- und Nullerjahre erstmals auf, 2011 veröffentlichte sie ihr Solodebüt Exhale. Dann passierte vordergründig betrachtet lange nichts.

Feministischer Outbreak

Saedi sang bei der Band DelaDap, arrangierte, komponierte für andere Musikerinnen, blieb eher im Hintergrund. "Ich hätte zu der Zeit zu ein paar Sachen Nein sagen sollen. Weil ich das nicht getan habe, befand ich mich in schwierigen Situationen, über die ich keine Entscheidungsgewalt hatte, privat und beruflich. Das hat viel Erwachsenwerden von mir gefordert."

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Token spiegelt diese Erfahrungen, der Song Gold in the Desert behandelt die angesprochenen Situationen, der Rest der Songs sind reflektierte Offenbarungen. Das Album sei rückblickend betrachtet eine Art feministischer Outbreak, sagt Saedi. Simone heißt diesbezüglich der getragene Opener und meint Simone de Beauvoir ebenso wie Nina Simone, beides Role-Models.

Hinzu kommt ihre Biografie mit dem frühen Verlust der Mutter, ein noch nie besuchter Geburtsort in einem Land unter einem islamistischen Regime. "Solange dort Menschen gesteinigt werden, setze ich keinen Fuß dorthin."

Yoga und Meditation

All das verleiht ihrer Kunst eine Schwermut, dem das akustische Setting des Albums gut ansteht, dem die Melancholie nicht Mühlstein, sondern Antrieb ist. Saedi singt über Themen, die im Entertainment eher randgruppenspezifisch sind, doch sie setzt sich mit ihren Dämonen gern an einen Tisch. Im Umgang damit sind ihr Yoga, Meditation und der Buddhismus hilfreich, Token überträgt das alles in eine dunkle Schönheit.

Ein Song wie The Bridge durchmisst das Fach des tiefen Soul, andere lichtscheue Momentaufnahmen heißen Bad Shape oder Dark Night of The Soul. Letztgenannter Song beendet das Album und ist vielleicht ein Hinweis auf den Regisseur David Lynch und dessen Zusammenarbeit mit Danger Mouse und Mark Linkous von Sparklehorse. Auf jeden Fall verweist es auf die cineastische Qualität ihrer Musik, die bereits erkannt wurde.

Musik in TV-Serien

Saedis Arbeiten waren schon in internationalen Serien zu hören. Hilfreich dabei war ihr Cousin Arian Moayed. Den kennt die Neigungsgruppe aus TV-Serien wie Succession oder Inventing Anna, im letzten Spiderman spielte er auch.

"Den Weg würde ich gern weitergehen", sagt Saedi, setzt aber nach, dass sie sowieso keine andere Wahl hat. "Die Musik kommt einfach aus mir heraus. Wenn sie jemandem gefällt, super, wenn nicht, mache ich trotzdem weiter." Alles andere wäre eine verantwortungslose Verschwendung. (Karl Fluch, 18.10.2022)