Im Fokus des öffentlichen Interesses steht ein Megadeal der EU mit Pfizer. Ob es in den Ermittlungen darum geht, ist aber offen.

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Die Mitteilung der europäischen Staatsanwaltschaft von vergangenem Freitag hätte kaum kürzer ausfallen können. In drei lapidaren Sätzen bestätigte die EU-Behörde, dass sie "laufende Ermittlungen zu der Beschaffung von Covid-19-Impfungen" in der EU durchführt. Diese Bestätigung sei aufgrund des "extrem hohen öffentlichen Interesses" notwendig geworden. Abgesehen davon werden "keine weiteren Details bekanntgegeben".

Das "extrem hohe öffentliche Interesse", das die EU-Behörde anspricht, dürfte sie mit ihrer Pressemitteilung aber erst recht befeuert haben. Seit vergangenem Freitag wird über die Gründe für die Ermittlungen eifrig spekuliert – bis hin zu einer möglichen Involvierung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Im Fokus des Interesses steht der EU-Deal mit dem US-Impfstoffproduzenten Pfizer.

Frage: Welche Bedeutung hat das Verfahren?

Antwort: Das ist zum aktuellen Zeitpunkt schwer einzuschätzen, weil weder der Grund noch das Ziel der Ermittlungen bekannt ist. Die Europäische Staatsanwaltschaft ist für Korruption, Geldwäsche und Steuerbetrug auf EU-Ebene zuständig und hier vor allem für "Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union." Unabhängig davon, gegen wen oder weshalb ermittelt wird, werden die Untersuchungen in der Brüsseler Bürokratie jedenfalls einiges an Staub aufwirbeln.

Frage: Warum das?

Antwort: Der Impfstoffmarkt war nach Ausbruch der Pandemie heiß umkämpft. Um mehr Verhandlungsmacht zu gewinnen, verhandelte die EU-Kommission im Namen aller Mitgliedsstaaten. Auf diesem Weg wurden hunderte Millionen Dosen Impfstoff gekauft. Bis Ende 2021 betrug das Volumen der Aufträge rund 71 Milliarden Euro, gezahlt haben die Summe vorrangig die Mitgliedsstaaten. Das Vorgehen der Kommission stand allerdings immer wieder in der Kritik: Die Verträge mit den Arzneimittelkonzernen wurden auch gegenüber EU-Abgeordneten nur teilweise öffentlich gemacht oder geschwärzt. Zudem stand immer wieder im Raum, die EU-Mitgliedsstaaten hätten zu viel für die Impfdosen bezahlt. Später gab es mitunter Lieferverzögerungen.

Frage: Das betrifft mehrere Arzneimittelkonzerne – warum wird nun dennoch vor allem über die Verträge mit Pfizer spekuliert?

Antwort: Die EU schloss im Frühjahr 2021 einen Megadeal über 1,8 Milliarden Impfdosen mit Biontech/Pfizer ab. Der Kaufpreis wurde auf 35 Milliarden Euro geschätzt. Wie die "New York Times" im April 2021 aufdeckte, dürfte der persönliche Kontakt zwischen Kommissionspräsidentin von der Leyen und Pfizer-Chef Albert Bourla mitentscheidend für den Abschluss des Geschäfts gewesen sein. Im Vorfeld sollen die beiden SMS ausgetauscht haben. Dieses Jahr haben die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly und der Europäische Rechnungshof das Vorgehen der EU-Kommission scharf kritisiert.

Laura Kövesi ist seit letztem Jahr Europas Korruptionsjägerin.
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Frage: Wie lautete konkret die Kritik?

Antwort: Alexander Fanta, ein Journalist von "netzpolitik.org", hatte bei der EU-Kommission den Antrag gestellt, Einsicht in die fraglichen Textnachrichten zu bekommen. Die Behörde lehnte dies jedoch ab, was die Bürgerbeauftragte O’Reilly kritisierte. Wenn die Textnachrichten "Regelungen und Entscheidungen der EU betreffen, sollten sie als EU-Dokumente behandelt werden". Die Kommission ließ sich davon nicht beeindrucken: Erstens müsse sie die Chatnachrichten nicht veröffentlichen, und zweitens seien sie nicht mehr auffindbar.

Frage: Und der Europäische Rechnungshof?

Antwort: Der kam in einem Bericht, der im September öffentlich wurde, zu dem Schluss, dass von der Leyen die frühen Verhandlungen mit Pfizer zur Chefinnensache machte. Auch dem Europäischen Rechnungshof legte die Kommission keine genaueren Informationen über die Involvierung der Präsidentin in die Vertragsverhandlungen vor. Beides nährt nun die Gerüchte, dass der Pfizer-Deal Gegenstand der Ermittlungen sein könnte. Bestätigt ist das freilich nicht, es könnte sich genauso um eine andere Causa handeln.

Frage: Was sagt Pfizer dazu?

Antwort: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne sich das Unternehmen nicht zu dem Thema äußern, heißt es auf STANDARD-Anfrage.

Frage: Und die EU-Kommission?

Antwort: Auch die Kommission will das Ermittlungsverfahren nicht kommentieren. Bei einer Pressekonferenz am Montag betonte die Behörde, dass sie bisher nicht von der Staatsanwaltschaft kontaktiert worden sei. Die Behörde agiere "unabhängig".

Frage: Die Europäische Staatsanwaltschaft ist bisher kaum in Erscheinung getreten. Warum?

Antwort: Das liegt daran, dass die Behörde erst letztes Jahr ihre Arbeit aufnahm und Startschwierigkeiten hatte. Zunächst war von mangelnder Finanzierung die Rede, dann gab es Streit um die Besetzung der Posten, weil sich Slowenien lange weigerte, einen Behördenvertreter zu nominieren. Zudem sind nur 22 der 27 EU-Mitgliedsstaaten an Bord. Die Leitung der Staatsanwaltschaft übernahm Laura Kövesi, die ehemalige rumänische Generalstaatsanwältin. Jetzt könnte sie ihren ersten dicken Fisch an der Angel haben. (Jakob Pflügl, 19.10.2022)