Im Hof der Steinberger Mühle wartete die Pax auf den Tieflader, der sie zu ihrem eigentlichen Element brachte.

Edition Lex Liszt 12

Es gibt Menschen, die leiden an Fernweh wie an einer chronischen Krankheit. Johann Stipkovits war so einer. Festgezurrt im mittelburgenländischen Steinberg, trieb es ihn immer wieder ans Wasser. Erst an die heimatliche Rabnitz – hier betrieben die Stipkovits’ eine Getreide- und Sägemühle –, dann über die Raab und die Donau und schließlich ans Meer.

Als er im Jahr 1971 in Istanbul, wo er sein gesunkenes Selbstbauschiff, die Pax, suchte, zwei junge burgenländische Backpacker aus Neckenmarkt traf, stellte er sich mit dem schönen Satz vor: "I bin der narrische Müllner von Steinberg."

Es gibt Menschen – auch das kann, wenn schon keine Krankheit, so doch eine Marotte sein –, die sind stets auf der Suche nach Erzählstoff. Walter Reiss ist so einer. Er hat das schon als ORF-Redakteur gemacht, manch spannendes Österreich-Bild aus dem Burgenland geliefert. Als Pensionist schreibt er nun Bücher.

Zuletzt eben die Lebensgeschichte des narrischen Müllers von Steinberg. Eine sehr ans Herz zu legende Geschichte von Leidenschaft und Strebsamkeit und Kampf gegen Windmühlen und Sturschädelei und Träumen von Völkerverbindung und Friedensbewegtheit inmitten des Kalten Kriegs, an dessen Frontlinie Steinberg ja lag.

Exotischer Alltag

Johann Stipkovits kam im Jahr 1905 im ungarischen Kőhalom zur Welt, dem heutigen Steinberg, das sich 1971 mit dem Nachbardörfl zusammenschloss. Reiss beschreibt ihn als echten Homo pannonicus. "Ich habe", zitiert er aus Stipkovits’ nachgelassenen Lebenserinnerungen, "mein Ungarisch im Kindergarten gelernt. Zu Hause sprach man Kroatisch, mit meinen Spielkameraden redete ich Deutsch." Eine heute exotisch anmutende Alltäglichkeit in Westungarn, wo die Volksgruppen ja seit Jahrhunderten ineinander siedelten und ihr Auskommen miteinander finden mussten.

Bis 1919 besucht er das Gymnasium in Kőszeg/Güns. An der Fassade der dortigen St.-Jakobs-Kirche prägte sich ihm eine Inschrift ein: Pax. Und so benannte er dann sein großes Schiff, das in zehnjähriger Arbeit gebaut wurde, fast ist man versucht zu sagen: gewachsen ist. Die Werft war der Dachboden seiner Mühle.

Fernwehgeplagt

Müller wollte der schon als Bub Fernwehgeplagte nicht werden. Nach dem Tod des älteren Bruders musste er es allerdings. Sein Eigentliches waren, gegen den ausdrücklichen Wunsch der Eltern, aber stets die Boote, die er sich schon früh bastelte und im von der Rabnitz abgeleiteten Mühlbach erprobte.

Über die Rabnitz ging er dann, 1928 war das, erstmals tatsächlich auf große Fahrt. Er paddelte sein Faltboot in die Donau. Mit zwei unterwegs aufgelesenen Reisegefährten, vazierenden Musikanten aus Hamburg, ging es durch das damals noch ungestaute Eiserne Tor, per Zug bis Varna und von dort mit dem Boot, die Schwarzmeerküste entlangpaddelnd, bis nach Istanbul.

Den Ärger der mittlerweile verwitweten Mutter weiterhin missachtend, baute Johann Stipkovits bald schon an der Burgenland. Ein motorbetriebenes, dreirädriges Amphibienfahrzeug war das, mit dem er 1932 auf bekanntem Weg tatsächlich in See stach. Misstrauische ungarische Zöllner verlangten, dass er die Räder abmontiere. Sie erkannten im Eigenbau ein gefährlich schmugglertaugliches Gefährt.

Quer übers Meer

Und so tuckerte er quer über das Mittelmeer. Bis 1935 kam er bis Melilla nach Spanisch-Marokko. Über Spanien und Frankreich wanderte er retour nach Steinberg, wo ihn die Mutter ins angestammte Handwerk zurückredete; eigentlich wahrscheinlich: stamperte.

Es kam der Krieg (in den er als unabkömmlicher Müller und E-Werk-Betreiber nicht musste). Es kamen die Russen. Und der lästige Traum blieb. Der vom wirklich großen, seetüchtigen Schiff. Das baute er in zehnjähriger Arbeit auf dem Dachboden der Mühle. 1962 wurde die halbfertige, 18 Tonnen schwere Pax auf einem Tieflader in die Korneuburger Werft gebracht, wo sie endgefertigt wurde. Ein russisches Schiff schleppte die Pax bis in den heute ukrainische Donauhafen Ismail. Und zwar ausdrücklich deshalb, weil dieses Schiff sich als "Friedensmission" verstünde.

Die erste Ausfahrt ins Meer endete auf einer Sandbank. In Constanța lag die Paxbis zum Frühjahr 1965. Dann erst konnte der Motorsegler wieder aufs Meer. Im August kam das Schiff vor der Krim in schweren Sturm. Die Takelage riss. Schon die Leuchtfeuer von Sewastopol im Blick, trieb die Pax südwestwärts. Nördlich von Istanbul lief das selbstgebaute Schiff des narrischen Müllners auf Grund. Legte sich zur Seite. Sank. Und blieb bis heute verschwunden.

Windmühlen

Nur im Kopf des Johann Stipkovits tauchte sie immer wieder auf. Walter Reiss, der ganz penibel den Traumspuren nachgegangen ist und sie wunderbar nachgezeichnet hat, nennt den Kampf gegen die türkischen Behörden, denen Stipkovits immer vehementer unterstellte, ihm das Wrack abgeluchst und in eigene Dienste gestellt zu haben, einen "Kampf gegen Windmühlen".

Den Don Quijote aus dem Mittelburgenland, der 1993 verstorben ist, gibt es nun zum Nachlesen im südburgenländischen Verlag Lex Liszt 12. Inklusive eines Reprints der Werbebroschüre zur Mission der Pax. (Wolfgang Weisgram, 21.10.2022)