Eine Zitteralge in mehr als hundertfacher Vergrößerung.
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Mikroorganismen haben in den vergangenen Jahrzehnten eine neue Rolle bei industriellen wie auch pharmazeutischen Herstellungsverfahren eingenommen. Dank der Errungenschaften der Molekularbiologie wurden sie zu vielseitigen biotechnologischen Produktionssystemen. Mit entsprechend angepasster Geninformation können Bakterien, Hefen oder Pilze die erwünschten Biomoleküle als Stoffwechselprodukte hervorbringen. Das können unter anderem therapeutische Antikörper sein oder Enzyme für die chemische Industrie. Selbst Lebensmittelzusätze oder Biokraftstoffe werden auf diese Weise hergestellt.

Biologisch abbaubar

Ein neues Produktionssystem dieser Art entsteht gerade im EU-Interreg-Projekt "Plastocyan". Forschende der FH Oberösterreich in Wels, der TU Wien und des Algenzentrums Třeboň in Tschechien entwickeln eine neue Methode, um eine bestimmte Form von Biokunststoffen zu erzeugen – sogenannte Polyhydroxybutyrate (PHB).

Dabei handelt es sich um ein thermisch verformbares Polyester, aus dem sich unter anderem Folien oder Kunststoffbestecke herstellen lassen. Dieses ist auch gut biologisch abbaubar. In dem Projekt werden Cyanobakterien zu Kunststoffherstellern – früher hat man sie auch Blaualgen genannt. Sie haben den erfreulichen Nebeneffekt, dass sie im Zuge ihres Stoffwechsels auch klimaschädliches CO2 aus der Luft binden, um es als Wachstumsgrundlage zu verwenden.

Nutzung von Reststoffen

PHB wird schon seit geraumer Zeit mithilfe von Mikroorganismen aus Grundstoffen wie Glucose, Stärke oder Ölen hergestellt. Projektleiter Alexander Zwirzitz von der Arbeitsgruppe Biosciences der Fachhochschule OÖ in Wels und seine Kolleginnen und Kollegen machen mit "Plastocyan" nun aber einen neuen Stoff für die Herstellung nutzbar – Abwässer, die in Molkereien entstehen. "Der industrielle Abfallstrom beinhaltet Anteile von Milchzucker und anderen hochenergetischen Reststoffen", erklärt Zwirzitz. "Sie können mithilfe des mikrobiellen Produktionssystems auf neue Art genutzt und verwertet werden."

Mit dem Projekt belegten die Forschenden den zweiten Rang bei den kürzlich vergebenen Sustainability Awards 2022. Die vom Klimaschutzministerium und vom Wissenschaftsministerium im Zweijahrestakt vergebenen Ehrungen zeichnen Projekte aus, die zu den Nachhaltigkeitszielen des Landes beitragen.

Photosynthese unter extremen Bedingungen

Cyanobakterien kommen überall auf der Welt in Gewässern und im Boden vor – auch in extremen Umgebungen. Sie sind bekannt dafür, dass sie wie Pflanzen Photosynthese betreiben können. Vor Milliarden Jahren haben sie maßgeblich dazu beigetragen, die Atmosphäre mit Sauerstoff anzureichern.

Dass PHB als ein Nebenprodukt zu den Stoffwechselprodukten der anpassungsfähigen Einzeller gehört, ist in der Forschung ebenfalls bekannt. Doch das Ausmaß der Anreicherung ist zu gering, um natürliche Stämme in einem industriellen Ausmaß nutzbar zu machen. Gleichzeitig ist der Milchzucker, den sie für die neue Anwendung verarbeiten sollen, kein idealer Nährstoff.

Biochemische Tricks

Beide dieser Probleme wollen Zwirzitz und sein Team beheben. Die Cyanobakterien werden gentechnisch so verändert, dass sowohl die Aufnahmefähigkeit von Laktose als auch die Ausbeute von PHB erhöht werden. Dafür nutzen die Forschenden eine biochemische Methode zur Vervielfältigung von DNA.

"Um die Zellen dazu zu bewegen, mehr PHB herzustellen, benötigen sie auch mehr der dafür verantwortlichen Enzyme", erklärt Zwirzitz. "Wir kopieren also die Gene, die für das Ausbilden dieser Enzyme zuständig sind, und verdoppeln sie in der DNA des Mikroorganismus. Durch diese sogenannte Überexpression wird die Enzymanzahl stark erhöht."

Arbeitsteilung

Damit die Cyanobakterien auch in den Molkereireststoffen gut wachsen können, benötigen sie zusätzlich neue Fähigkeit, die in ihrer Genetik nicht angelegt ist. Zwirzitz und sein Team nutzen hier eine Fremd-DNA aus Pilzen oder anderen Bakterien, die die Laktose für die Mikroorganismen zu einer problemlosen Nährstoffquelle machen.

Während die Forschenden der FH Oberösterreich dafür verantwortlich sind, die Mikroorganismen auf diese Art auf ihren künftigen Einsatz vorzubereiten, arbeiten die Projektpartner an der TU Wien an einer Methode, um die Biokunststoffmoleküle auf effiziente Weise aus den Bakterienzellen herauszubekommen. Dafür muss ein geeigneter Prozess entwickelt werden, der etwa auf nachhaltige Lösungsmittel zurückgreift, um die gewünschten Stoffe aus der Biomasse zu extrahieren.

Erneuerbare Quellen

Im Algenzentrum in Třeboň schließlich sind die Bioreaktoren zu finden, welche die genetisch veränderten Cyanobakterien in den Molkereiabwässern wachsen lassen. De facto handelt es sich dabei um große Outdoorpools, in denen die Wachstumsbedingungen streng überwacht werden. Auf diese Art könnte schließlich ein weiterer Weg entstehen, Kunststoffe aus nicht-fossilen Quellen zu erzeugen. (Alois Pumhösel, 26.10.2022)