Ein Bild aus besseren Zeiten: Ex-Kanzler Sebastian Kurz und Unternehmer René Benko werden nun beide von Thomas Schmid belastet.

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Schmid gab in Einvernahmen an, er fühle sich "benutzt" und wolle nicht das Bauernopfer für Leute sein, die ihm alles umhängen wollten.

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In den Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die durch das Ibiza-Video ausgelöst worden waren, gab es am Dienstag einen Paukenschlag – beziehungsweise deren drei: Zuerst verkündete die WKStA, dass Thomas Schmid, Schlüsselfigur in vielen Ermittlungssträngen, Kronzeuge werden will. Dann machte die Nachricht über Hausdurchsuchungen bei René Benkos Signa die Runde – und schließlich drangen auch erste Details aus Schmids insgesamt 15 ganztägigen Einvernahmen nach außen.

Um den Kronzeugenstatus, den Schmid noch nicht offiziell beantragt hat, zu erlangen, musste er den Ermittlern neue Sachverhalte offenlegen und zu bereits bekannten vollumfänglich aussagen. Und ein "reumütiges Geständnis" dazu ablegen. Das dürfte Schmid ziemlich ausgiebig getan haben. Und: Der frühere enge Vertraute von Altkanzler Sebastian Kurz und Ex-Finanzminister Gernot Blümel (beide ÖVP) belastet eine Reihe seiner einstigen Weggefährten und Bekannten schwer.

Thomas Schmid will Kronzeuge werden. Ob das überhaupt geht und was das konkret bedeuten würde
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Schmid will "Neuanfang" machen

Gegenüber den Ermittlern erklärte Schmid seinen wohl folgenschweren Schritt damit, dass er einen "Neuanfang" machen und Verantwortung übernehmen wolle. Er und andere hätten Dinge gemacht, die nicht in Ordnung seien – zudem fühle er sich "benutzt" und wolle nicht das Bauernopfer für Leute sein, die ihm alles umhängen wollten. Denn als es im Herbst 2021 rund um die Inseratenaffäre zu Hausdurchsuchungen kam, soll ihn Kurz aufgefordert haben, alle Schuld auf sich zu nehmen und in einer Stellungnahme festzuhalten, dass der Kanzler nichts von alledem gewusst habe.

Bei ihrem letzten Treffen soll ihn Kurz aufgefordert haben, ihm so schnell wie möglich alle Chats zu übergeben (bzw. "das Kastl", in dem die gespeichert sind) – was er aber nicht getan habe. Allerdings dürfte der Ex-Öbag-Chef Kurz bereits davor Sticks mit einem Teil seiner Chatnachrichten ausgehändigt haben, auch jene, bei denen es ums Beinschab-Tool (Inseratenaffäre) gegangen ist.

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Und zu welchen Themen hat Schmid ausgepackt? Zu Beinschab-Tool/Inseratenaffäre etwa, zur Steuercausa Siegfried Wolf, zur Chefposten-Besetzung des Finanzamts Braunau, zur Einsichtnahme im Finanzministerium in den Steuerakt Silberstein, zu den vermuteten Falschaussagen von Kurz und dessen Vertrauten Bernhard Bonelli und jener von Ex-Casinos-Chefin Bettina Glatz-Kremsner. Zur Namensgeberin des riesigen Akts, der Causa Casinos und zu dem von der WKStA vermuteten Deal zwischen dem Glücksspielkonzern Novomatic und der FPÖ sowie zur Italien-Steuer-Sache der Novomatic und zu etwaiger Parteienfinanzierung via Vereine soll Schmid nichts Weiterführendes zu berichten gehabt haben.

DER STANDARD betont, dass für alle hier Genannten die Unschuldsvermutung gilt.

Kurz sei eingebunden gewesen

Und was an Neuem soll Schmid der WKStA nun eröffnet haben?

Gemäß Einvernahmeprotokoll gestand der Ex-Generalsekretär, dass er mit Ressourcen des Finanzministeriums "das Fortkommen der ÖVP unter Sebastian Kurz" unterstützt habe. Und zwar in Bezug auf Personen im Kabinett, Personalbesetzungen, für die Vorbereitung der Regierungsverhandlungen – all das sei für Kurz und seine Zwecke und mitunter auch am jeweiligen Finanzminister vorbei geschehen.

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In diesem Zusammenhang gestand Schmid, dass das Finanzministerium 2017 im Wissen, dass es keine Inserate für ÖVP-Wahlkampfzwecke schalten durfte, das trotzdem in allen Medien getan habe. In dem Zusammenhang belastet er auch Kurz und dessen früheren Medienbeauftragten, Gerald Fleischmann; zudem habe er, Schmid, im Kanzleramt melden müssen, welches Werbe- und Inseratenbudget das Finanzministerium verwendet habe. Das sei auch in anderen Ministerien so passiert.

Auch die Medienmacher Fellner belastet Schmid. Sie hätten ihm als Öbag-Chef vorgeschlagen, er solle einen Generalsekretär installieren, um über Selbigen dann Zugriff auf die Öbag-Beteiligungen (bzw. wohl deren Inseratenvergabe) zu bekommen.

Sobotka soll rund um Steuerprüfungen interveniert haben

Auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka bleibt nicht von Schmids Geständnis verschont. Der soll Schmid auf Steuerprüfungen bei der Alois-Mock-Stiftung oder beim gleichnamigen Institut und bei der Pröll-Privatstiftung aufmerksam gemacht haben, das sei "zu erledigen". Schmid will das Anliegen weitergegeben haben, und die Sache sei dann auch im Sinne Sobotkas erledigt worden.

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Im Zusammenhang mit der Inseratenaffäre, die auch unter dem Beinamen Beinschab-Tool läuft, schilderte Schmid den Ermittlern etwa, dass sich vor allem Kurz-Vertrauter Johannes Frischmann, dem er das Projekt übergeben habe, um diese Dinge gekümmert habe. Frischmann habe das Tool dann auch im Kanzleramt weiterbetreut – und Kurz soll das gewusst haben. Geht es nach Schmid, war auch Fleischmann eng eingebunden: Bei Anliegen von Kurz zu Umfragen habe Fleischmann die an Schmid kommuniziert, weil Kurz und Schmid aus Sicherheitsgründen nicht direkt kommunizieren wollten. Die Umfragen wollte man verdeckt über Ex-Ministerin Karmasin bekommen, da sie über beste Kontakte zu den Fellners verfügt habe. Und, so gestand Schmid, finanziert und sichergestellt werden sollten die beabsichtigten Veröffentlichungen insbesondere im Wege der Fellner-Gruppe durch parallel erfolgende Inseratenschaltungen.

Die Achse zu Karmasin

Bei der Entstehung des Tools war Kurz laut Schmids Aussage von Anfang an dabei. Im Frühling 2016 will Schmid mit Kurz darüber geredet haben, wie eng die SPÖ mit Karmasin zusammengearbeitet habe und wie sie über die Schwankungsbreite der Umfragen Einfluss nehmen konnte. Das habe Kurz fasziniert, er habe Schmid den Auftrag gegeben, so ein Medien-Tool zu entwickeln. Karmasin habe dann Fellners ins Spiel gebracht. Da Kurz (er war damals ja noch nicht ÖVP-Obmann) nicht über entsprechende Mittel verfügt habe, sollte Schmid das aus dem Finanzministerium heraus organisieren. Es sei klar gewesen, dass die Umfragen durch Studien finanziert werden sollten, die das Ministerium bei Karmasin in Auftrag gab. Laut Aussage Schmids habe ihn Kurz zur Verschwiegenheit aufgefordert, niemand anderer sollte davon erfahren. Es sei darum gegangen, Umfragen zu frisieren.

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Karmasin, damals Familienministerin (ÖVP), will Schmid unter Hinweis darauf, dass der Auftrag von Kurz komme, gleich gefragt haben, ob es möglich wäre, über ihre Institute Umfragen zu beauftragen und dann aufs Ergebnis Einfluss zu nehmen. Die sei sofort an Bord und sehr engagiert gewesen und habe Sabine Beinschab empfohlen. Gemäß Schmids Geständnis seien so alle auf ihre Rechnung gekommen: Fellners hätten über Beinschab einen Zugang zum Finanzministerium bekommen, das bei ihnen Inserate schaltete und Sonderbeilagen beauftragte, und Kurz und Co hätten über die Fragestellungen und Themenvorgaben steuern können, was veröffentlicht wird.

Goodwill bei "Österreich"

So habe man sich "Goodwill" der "Österreich"-Gruppe gesichert. Finanziert worden sei das, was eigentlich die ÖVP hätte zahlen müssen, über die Studien, all das habe er, Schmid, umgesetzt. Und Schmid belastet Kurz auch bei diesem Punkt schwer: Er habe Kurz am Laufenden gehalten, all das sei immer wieder Thema gewesen, 2016 habe ihm Kurz auch Aufträge zu Umfragethemen gegeben. Kurzum: Der spätere Kanzler habe übers gesamte Tool Bescheid gewusst.

Das Verhältnis zwischen Kurz und Schmid war laut Letzterem immer davon geprägt, wie sehr Kurz ihn, Schmid, gebraucht habe. Etwa um Kontakte zu Chefredakteuren der "Krone", von "Österreich" und der "Presse" zu knüpfen oder für die Organisation des Beinschab-Tools. Freunde wären der Ex-Kanzler und der Ex-Generalsekretär nicht gewesen – trotz der Wanderungen, die man gemeinsam unternahm. So hat Schmid ausgesagt, auch nicht ins Projekt Ballhausplatz eingebunden gewesen zu sein, mit dem eine kleine türkise Gruppe Kurz' Weg an die Parteispitze und ins Kanzleramt penibel vorbereitet haben soll. Laut Schmid soll es in dieser Gruppe niemanden gegeben haben, der alles wusste.

Die Causa Benko

Eine Folge der Einvernahmen waren am Dienstag auch Hausdurchsuchungen an zwei Bürostandorten sowie Sicherstellungen. In dem Fall geht es laut Aussendung der WKStA um den Verdacht auf Bestechung bzw. Bestechlichkeit und Amtsmissbrauch. Zwischen 2016 und 2018 habe "ein österreichischer Unternehmer" dem damaligen Generalsekretär des Finanzministeriums "die parteiische Unterstützung im Steuerprüfungsverfahren seines Konzerns, nämlich eine gut bezahlte Führungsposition", angeboten, damit es zu keiner oder einer möglichst geringen Abgabenfestsetzung komme. Bei diesem Unternehmer handelt es sich um Signa-Gründer René Benko – jedenfalls fanden die erwähnten Hausdurchsuchungen bei der Signa-Holding statt.

"Die Rolle eines Generalbevollmächtigten bei uns im Konzern würde dir sicher gut liegen", schrieb Benko Anfang Dezember 2016 an Schmid. In der Ermittlungsanordnung der WKStA von Dienstag heißt es, Benko habe Schmid diesen Job mit 300.000 Euro Gehalt und 300.000 Euro Bonus angeboten, Schmid habe dafür laut eigenen Aussagen sogar schon einen Vertragsentwurf erhalten. Ab Mai 2017 ging es bei den mehrfachen Treffen zwischen Schmid und Benko "höchstwahrscheinlich um steuer- oder abgabenrechtliche Themen", schreibt die WKStA. Rund ein Jahr später ließ Schmid dann Benko wissen: "Lieber Rene (…) In deiner Sache ist alles auf Schiene!" Im laufenden ÖVP-Untersuchungsausschuss wurde das Thema Steuerprüfung der Signa öfter aufs Tapet gebracht.

Laut Schilderung eines hohen Beamten dazu hatte Schmid ihn zu einem Gespräch mit Benko ins Finanzministerium eingeladen und ihm Benko als "den besten Unternehmer Österreichs" vorgestellt. Die komplexe Betriebsprüfung der Signa sei damals schon seit Jahren gelaufen. Schmid habe die Besprechung dann telefonierend verlassen, Benko habe ihm auf seine Frage, was er für ihn tun könne, seine Sichtweise erklärt und gesagt, dass der Fall endlich erledigt werden müsse. Das hätten er, der Finanzbeamte, und sein Chef auch so gesehen, so der Mann im U-Ausschuss, zumal 2018 die Verjährung gedroht habe. Mit Steuerpflichtigen zu sprechen und sich deren Sichtweise anzuhören gehöre zu seinem Job – das Ungewöhnliche sei der Ort der Besprechung (Finanzministerium) gewesen und dass ihn der Generalsekretär persönlich angerufen habe.

"Ich soll beeindruckt sein"

Auf die Frage der Verfahrensrichterin, ob er all das als politische Intervention zugunsten Benkos wahrgenommen habe, antwortete der Beamte so: "Ich habe nicht wahrgenommen, dass ich beeinflusst werden sollte, sondern ich habe mehr wahrgenommen, ich soll beeindruckt sein von seiner Person, wie wichtig er ist." Und er könne nicht sagen, "ob man da beeindrucken wollte oder helfen wollte oder unterstützen wollte". Eine Frage, der nun die Staatsanwälte nachgehen.

Ob Schmid wirklich Kronzeuge wird und das Verfahren gegen ihn somit eingestellt werden könnte, ist noch offen. Voraussetzungen dafür sind ein reumütiges Geständnis und das Offenbaren neuer Sachverhalte, zudem dürfen Kronzeugen nicht beschuldigt oder von Zwangsmaßnahmen betroffen sein. Bei Schmid ist zwar beides der Fall – er und seine Anwälte dürften sich aber den Fall von Demoskopin Sabine Beinschab zum Vorbild genommen haben. Sie war beschuldigt und sogar kurz festgenommen worden – aber nicht wegen jener Sachverhalte, die sie der WKStA offenlegte. Sie ist seit August tatsächlich Kronzeugin. (Renate Graber, Fabian Schmid, 18.10.2022)