Isabell Welpe am HR Inside Summit 2022 in der Hofburg in Wien.
Foto: Nicole Heidegger

Wer kennt sich denn schon gut aus mit Web3 oder besitzt eine Kryptowährung?" Drei von rund 200 Menschen im Festsaal der Hofburg heben zögerlich die Hand. Die Frage stellte Isabell Welpe, Leiterin der Forschungsgruppe Strategie und Organisation an der Technischen Universität München (TUM), bei ihrem Vortrag am HR Inside Summit, der Mitte Oktober stattfand. Obwohl es die Technologien des Web3 schon länger gibt, werden sie in der breiten Masse noch kaum angewendet. "Das ist schade, denn sie bergen sehr viel Potenzial, gerade auch für Personalabteilungen. In den nächsten fünf Jahren werden wir radikale Veränderungen durch die Adaption von Web3 erleben", davon ist die Wirtschaftswissenschafterin und Professorin an der TU München überzeugt.

Arbeitsalltag vereinfachen

Und wie werden diese Veränderungen aussehen? Isabell Welpe lässt die Zuhörenden hinter die Kulissen blicken. Blockchain ist das Zauberwort hinter Web3. Sie ist eine Art öffentliche Datenbank, die auf mehreren Servern gespeichert wird. Man kann es sich auch als Art Logbuch oder Protokoll vorstellen. Alles wird sichtbar mitgeschrieben, alle Geldtransaktionen, alle Entscheidungen – alles, was man dem Programm aufgibt, mitzuschreiben. Darauf können auch Smart Contracts hinterlegt werden. Darunter versteht man Verträge, die als Code zum Beispiel auf der Ethereum-Blockchain eingeschrieben werden. Darüber liegt eine virtuelle Maschine, die diese Verträge automatisch liest und auswertet. "Das kann den Arbeitsalltag enorm erleichtern", sagt Isabell Welpe. Ein Beispiel: Ein Programm zeichnet automatisch auf, wann für welches Projekt gearbeitet wird, rechnet die Zeit zusammen und veranlasst automatisch die Bezahlung. Eine Personalabteilung müsste somit keine Gehaltsabrechnungen mehr durchführen. Auch Arbeitsverträge könnten künftig als Code geschrieben und als Smart Contract hinterlegt werden. Die Neuerungen verheißen weniger Administrationsaufwand für alle Beteiligten. "Das kommt uns dann zugute, wenn wir zukünftig in mehreren Firmen gleichzeitig arbeiten."

Community bilden

Das Besondere an Web3 ist auch, Geld, Rechte oder Wertgegenstände versenden und kaufen zu können. Einfach ausgedrückt: Wir werden das Internet besitzen können. Das wird über sogenannte Token abgewickelt, zu Deutsch: Wertmarken. Bekommt oder besitzt man einen Token, erhält man dadurch Rechte, Anteile oder einen Zugang zu digitalen Waren, Räumen oder Unternehmen. Was heißt das für den Personalbereich? Diese Technologie stelle eine Möglichkeit dar, IT-Fachkräfte zu finden und sie an sich zu binden. Denn um hoch qualifizierte Personen anzuziehen, müssen Personaler proaktiv und kreativ werden, sagt Isabell Welpe. Ist ein Unternehmen im Web3 präsent, nehmen die potenziellen Bewerbenden es als innovativ wahr und treten vielleicht in Kontakt. Ein Unternehmen könnte diese Personen in Form einer Gemeinschaft mit Token an sich binden. Das ist im Rahmen einer sogenannten Dezentralen Autonomen Organisation (DAO) möglich. Eine DAO ist am ehesten mit einer Genossenschaft zu vergleichen – einer Online-Gemeinschaft, die durch einen gemeinsamen Vertrag (Smart Contract) verbunden ist. Dieser kann nur von allen Mitgliedern gemeinsam geändert werden, und nur diese können Neues entscheiden: Wo soll die Weihnachtsfeier stattfinden, welche neue Kaffeemaschine soll gekauft werden oder vieles mehr. Mitgliedschaft in einer DAO erwirbt man per Token. Diese können entweder gekauft, erarbeitet oder von anderen Mitgliedern verschenkt werden und fungieren als eine Art Wahlzettel. Die Mehrheit entscheidet.

Erster Schritt ins Web3

Um Token ausgeben zu können und eine DAO zu gründen, braucht eine Firma allerdings ein eigenes Wallet, eine digitale Brieftasche. Das Wallet ist einerseits der Speicherort für die Zugänge zu Kryptowährungen, andererseits aber auch eine Art Vernetzungsplattform wie LinkedIn, ein E-Mail-Account und Sammelbuch für ihre erworbenen Fähigkeiten. Schon jetzt stellt zum Beispiel die Universität St. Gallen ihren Absolventen ein digitales Zeugnis als nicht veränderbares Token (NFT), aus, das in dem eigenen Wallet gespeichert werden kann. Welpe ermuntert Firmen, den ersten Schritt in die digitale Zukunft zu wagen: "Legen Sie sich ein Wallet zu. Dadurch sind Sie im Web3 und können potenzielle Bewerbende bei Ihrem Unternehmen andocken. (Natascha Ickert, 21.10.2022)