Das Buch wird im Oktober auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert.

Foto: Goldmann Verlag

Als in Belarus im August 2020 der langjährige Machthaber Alexander Lukaschenko seinen neuerlichen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen mit 79 Prozent bekanntgab, nahmen die Proteste gegen den Autokraten Fahrt auf: Hunderttausende Menschen gingen gegen das Wahlergebnis, das auch europäische Wahlbeobachter als gefälscht ansehen, auf die Straße.

Unzählige Frauen stellten sich dabei mutig bewaffneten Polizisten entgegen und riskierten Festnahmen. Die Bilder von friedlichen Demonstrantinnen mit Blumen gingen um die Welt. Dennoch entgegneten ihnen die belarussischen Regimekräfte mit Gewalt.

Mittendrin im Geschehen war damals auch Jo Angerer, einer der wenigen europäischen Journalisten, die die nötige Akkreditierung für Belarus hatten. Der damalige ARD-Journalist interviewte dort etwa die Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa, kurz bevor sie verschwand, und berichtete über ihre Festnahme.

"Wenn Widerstand weiblich ist"

In seinem aktuellen Buch "Wenn Widerstand weiblich ist" kehrt der aktuelle Moskau-Korrespondent des STANDARD unter anderem zu den Geschehnissen in Minsk zurück: "Ich habe schnell begriffen, dass der Widerstand, der Protest gegen ein altes, verkrustetes System, ganz entscheidend von Frauen getragen wurde", schreibt Angerer in der Einleitung seines Werkes, das vor kurzem im Goldmann-Verlag erschienen ist und demnächst auf der Frankfurter Buchmesse (19.–23.Oktober) präsentiert wird.

Im Bild: eine Demonstrantin in Belarus im Sommer 2022.
Foto: AFP

Der 66-Jährige beleuchtet in seinem Buch nicht nur die Rolle der Belarussinnen, sondern auch die zahlreicher Aktivistinnen und Frauenbewegungen bei Protesten und Revolutionen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion: So blickt er in dem 190-Seiten-Werk auch auf Frauen in Aserbaidschan und Zentralasien, die sich um das Aufbrechen tiefsitzender patriarchaler Strukturen bemühen.

Mutigen Frauen

Angerer geht auch auf Freuen ein, die in der Ukraine und in Russland gegen den gegenwärtigen Angriffskrieg von Kreml-Chef Wladimir Putin aufbegehren. Stichwort Marina Owsjannikowa – die Redakteurin des russischen Staatsfernsehens, die in den Hauptnachrichten ein Plakat mit der Aufschrift "Russen gegen den Krieg" in die Kamera hielt und jüngst nach Europa geflohen ist. Das Buch ist damit auch hochaktuell.

Korrespondent Jo Angerer verarbeitet in seinem Buch Interviews und Eindrücke seiner Recherchereisen im postsowjetischen Raum.
Foto: Goldmann Verlag/Annika Fußwinkel

Angerer, der weiterhin in Moskau lebt und von dort für den STANDARD berichtet, erläutert die prekäre soziale Situation der Frauen anhand persönlicher Geschichten und setzt sie in Verhältnis zu Geschichte und Stellung der Frau in der Sowjetunion. Demnach wirken die Altlasten der Sowjetunion für das Geschlechterbild bis heute nach: Nur "auf dem Papier herrschte Geschlechtergerechtigkeit". Gegen das überkommene Rollenverständnis wachse allerdings der Widerstand. Wissenschaftlich eingeordnet werden Angerers Ausführungen von Carmen Scheide, Dozentin für die Geschichte Osteuropas an der Universität Bern. (fmo, 19.10.2022)