Im Gastblog schildert Sexualberaterin Nicole Siller, mit welchen Hindernissen man nach einem Ausbleiben des körperlichen Miteinanders konfrontiert werden kann und welche Fragen man sich dabei stellen sollte.

Wie geht Sex nach einer Pause, nach längerer Zeit? "Regelmäßig Sex zu genießen, das haben wahrscheinlich so gut wie alle anderen, nur ich nicht", denken viele. Dabei ist es in sehr vielen Leben ganz normal, mal längere Zeit keine Sexualität zu erleben, ob alleine oder mit jemand anderem.

Um Körperlichkeit wieder zuzulassen, braucht es Mut und Selbstvertrauen – und genügend Raum für die eigenen Wünsche.
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Ob als Single oder in einer Beziehung, nach einer Trennung, ob als junge Eltern, nach einer Krise jedweder Art, ob mit 20 oder über 70: Wer wieder wohltuende Sexualität erleben möchte, kann Wege finden. Oft braucht es gar nicht viel, nur ein bisschen Mut und Selbstvertrauen.

Mögliche Fragen nach Pausen

Letztens arbeitete ich mit einer Frau Mitte 50, sie war seit gut einem Jahr geschieden, nach über 17 Jahren Ehe. Diese Frau sehnte sich nach endlich wieder gutem Sex, nach Erregung, Nähe und Intimität. Diese war auch während der letzten Ehejahre nicht mehr gelebt worden, jetzt möchte sie wieder mehr. Sie kam mit vielen Fragen – diese stellen sich natürlich auch Menschen in jedem Alter und Geschlecht. Zweifel, die zu Möglichkeiten werden, entstehen oft gerade dann, wenn etwas fehlt.

"Als ich das letzte Mal Single war, war ich Ende 30 – jetzt Mitte 50! Bin ich in diesem Alter noch begehrenswert und sexy? Wie kann ich mich noch entspannen beim Sex? Ich habe ein paar Kurven und Kilos zugenommen, mag ich mich so noch zeigen? Wie finde ich den Mut, in einer Beziehung zu zeigen, was ich mir wirklich wünsche? Lerne ich endlich einen Mann kennen, dem es wirklich wichtig ist, dass auch ich lustvolle Höhepunkte in der Sexualität genieße? Ich möchte nicht mehr darauf verzichten! Kann sich noch jemand in mich verlieben? Kann ich mich noch in jemanden verlieben?" Für viele Frauen auch essenziell wichtig: "Darf Frau genießen, sich hingeben, sich zeigen in Zart- und Wildheit, fordern?"

Übung macht den Meister – oder doch nicht?

Ein Mann in den 30ern ist seit zwei Jahren Single und eher zögerlich auf Datingplattformen unterwegs. Er hat regelmäßig, sehr regelmäßig, Solosex. Die Sehnsucht nach der passenden Partnerin für die Familienplanung wächst und wächst. Nun hat er eine tolle Frau getroffen, er möchte sich gerne auf eine neue Beziehung einlassen und stellt fest, sein Penis hält die Erektion nur noch, wenn er ausreichend manuell stimuliert wird. Sobald es zur Penetration kommt, wird er schlaff. Seine Freundin ist geduldig, aber sie freut sich schon auf mehr, deshalb kommt er in die Praxis.

Diese Erkenntnis hatten auch schon einige andere Männer vor ihm, egal welchen Alters. Ja, Solosex ist super, aber nein, immer dieselbe Stimulation nicht. Da kann der Penis leicht vorübergehend verlernen, wie wunderbar erregend es ist, in eine Vagina einzudringen. Ähnlich ist es für Frauen, die sich hauptsächlich mit immer denselben Sexspielzeugen befriedigen. Abwechslung tut gut, macht Varianten möglich. Also ein bisschen Geduld und neue Berührungen, die zu Erregung führen können, forcieren.

Zulassen, sich selbst zu spüren

Mutterliebe nährt sich auch aus der Kraft und Ruhe der Mutter. Eine essenzielle Frage hier: Wie "egoistisch" darf ich sein? Eine Frau, vor knapp zwei Jahren Mutter geworden, kommt auf der Suche nach sich selbst zu mir. Sie jongliert sich durch Kind, Teilzeitjob und ihre Beziehung. "Mein Mann wünscht sich mehr Sex, es stimmt, wir haben so gut wie keinen mehr. Ich will das auch, aber die Lust, mein Begehren sind weit weg. Wie finde ich es wieder?"

Hilfreiche Fragen können hier sein: Wann und wie finde ich überhaupt mal wieder Zeit für mich, entspannt und unverplant? Wer kann mich unterstützen? Ich erlebe bei vielen Frauen mangelnde Lust auf Sex, weil sie sich selbst kaum noch als eigenständige Frau spüren und es zusätzlich viel zu wenig Raum und Zeit für das Paar in Zweisamkeit gibt – Zeit, in der es dann mal wieder ums Paar gehen darf und nicht um die Kinder.

Sexflaute in der Langzeitbeziehung

Ich lerne immer wieder Paare kennen, die sich Hilfe holen, weil sie einander zwar wirklich lieben und sehr gerne mögen, ein gutes Team sind und gerne zusammenleben, aber die Sexualität verloren gegangen ist. Oder Paare, die, seit Kinder da sind, keinen Sex mehr miteinander leben, weil sie zu müde sind. Es gibt auch Paare, die sich nach längerer Zeit eingestehen müssen, dass es da diese eine Zurückweisung zu viel gab und sich seither nichts mehr tut. Andere, die sagen, wir konnten noch nie wirklich ehrlich über unsere persönliche Sexualität reden, jetzt sind wir nur noch sprachlos miteinander. Manche haben keinen Körperkontakt mehr, andere kuscheln täglich.

Natürlich kommen auch Paare, bei denen eine Person eine Affäre hatte und es nun wieder um die gemeinsame Beziehung mit Sex gehen soll. Aber das ist eine andere Geschichte, dazu demnächst mehr. Meist holt man sich spät, manchmal zu spät Unterstützung, wenn alles in Gefahr ist zu kippen, wenn Lieben und Leben komplett infrage gestellt werden oder zumindest eine Person wieder mehr möchte.

Individuelle Antworten auf individuelle Situationen

Für niemanden gilt dieselbe Antwort, derselbe Weg, da sind wir Menschen und unsere Leben zu verschieden, zu einzigartig. Aus meiner langjährigen Erfahrung heraus kann ich jedoch sagen, dass es wirklich gelingen kann und sehr oft auch tut, wenn Mensch eine Entscheidung für positive Veränderung trifft und es wieder deutlicher spürbar wird, dass es Wege gibt.

Es ist berührend und wunderschön, wenn Selbstvertrauen und der Mut, sich zu zeigen, stärker werden als Verluste oder alte Verletzungen. Wenn jemand wieder in eine vertrauensvolle und (vor)freudige Stimmung mit sich selbst kommt. Eine Grundvoraussetzung ist immer, sich auf den Weg zu machen, also im ersten Schritt tatsächlich eine Entscheidung zu treffen.

Ehrlichkeit sich selbst gegenüber

"Wieder sich selbst gut und entspannt mit den eigenen Bedürfnissen spüren" und "ein eigenes Tempo, Intensität und Nähe genießen" sowie ein "(wieder) Wollen" beginnt immer bei einem selbst. Es wäre verdammt schade, wir erfüllen die Wünsche anderer und geben den eigenen Bedürfnissen kaum Raum, wir würden uns alle sehr viel an Lust und Freude nehmen. Wer seine Sexualität intensivieren oder verbessern will, kann dies am besten tun, indem er oder sie sich ehrlich zeigt, im ersten Schritt liebevoll sich selbst gegenüber. (Nicole Siller, 21.10.2022)