In drei Blöcken des Atomkraftwerks Cattenom finden Überprüfungen auf Korrosionsrisse statt, viele andere sind ebenfalls nicht am Netz.

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Alle 27 EU-Staaten sind sich einig, dass die rasant gestiegenen Energiepreise rasch sinken müssen, weil sie die Inflation antreiben und die Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber anderen Regionen verschlechtern. Über das Wie ist man sich aber alles andere als einig, was nicht zuletzt an den unterschiedlichen Ausgangspositionen der einzelnen Länder liegt.

Es war somit nicht weiter überraschend, dass die EU-Kommission bei den am Dienstag präsentierten Vorschlägen zur Verbesserung der Preissituation relativ vage geblieben ist. Das iberische Modell, bei dem der Gaspreis (teure Gaskraftwerke bestimmen gemäß Einheitspreisverfahren, wie viel der Strom im Großhandel insgesamt kostet) für die Stromerzeugung staatlich festgelegt und die Differenz zum Gas-Einkaufspreis den Kraftwerksbetreibern ersetzt wird, fand nicht einmal Erwähnung.

Iberisches Modell out?

Spanien und Portugal, die im Gegensatz zu anderen Länder mehr schlecht als recht mit Strom- und Gasleitungen an den Rest Europas angeschlossen sind, gehen jedenfalls seit Sommer genau so gegen die hohen Energiepreise vor – mit Erfolg: Die Strompreise für Industrie und Haushalte sind auf der Iberischen Halbinsel tatsächlich gesunken, während sie im Rest Europas gestiegen oder zumindest hoch geblieben sind. Die Kehrseite der Medaille ist, dass der Verbrauch von an sich knappem Gas gestiegen ist. Zudem glühen die Stromleitungen nach Frankreich, weil die Franzosen so viel subventionierten Billigstrom aus Spanien absaugen wie möglich.

Frankreich war auch jenes Land, das zuletzt massiv für ein Ausrollen des iberischen Modells auf ganz Europa geworben hat – auch mittels Brief an die anderen Mitgliedsländer. Österreich hat zuletzt Sympathie für das iberische Modell erkennen lassen, war aber kein euphorischer Befürworter angesichts einer Vielzahl noch offener Fragen. Dazu gehört etwa, wie man mit Ländern außerhalb der EU verfährt, die an das europäische Stromnetz angeschlossen sind, aber einen anderen Preisfindungsmechanismus haben – zuvorderst Großbritannien, aber auch Norwegen und die Schweiz.

Doppelt gemoppelt

Zuletzt hat sich auch die Arbeiterkammer (AK) für das iberische Modell als "praktikable, wirksame und rasch umsetzbare Lösung" ausgesprochen. "Das Problem muss an der Wurzel angegangen werden; mit Transferzahlungen zur Linderung des Preisanstiegs stößt man rasch an Grenzen", argumentierte AK-Energieexperte Josef Thoman einen temporären Markteingriff. Einen Gaspreisdeckel und eine Gewinnabschöpfung, die es ab Dezember geben soll, halten manche ohnehin für "doppelt gemoppelt".

Neue Datenanalysen festigen nun aber den schon öfter geäußerten Verdacht, dass es nicht nur eine Gasmangellage aufgrund eingeschränkter Lieferungen aus Russland gibt, sondern auch Stromknappheit. Letzteres ist nichts Ungewöhnliches, Stromknappheiten treten zeitlich befristet immer wieder auf. Neu ist das Verhalten Frankreichs. Der größte Atomstromproduzent Europas war bisher immer Nettoexporteur von elektrischer Energie, ist seit geraumer Zeit aber auf Zukäufe aus dem europäischen Stromnetz angewiesen, um seine Wirtschaft am Laufen zu halten.

Frankreichs Probleme strahlen aus

Das hat mit dem Kraftwerkpark zu tun, der zu einem Großteil auf Kernkraft fußt. Von den 56 Reaktoren ist fast die Hälfte außer Betrieb – da in Revision oder in Reparatur. Seit Donnerstag der Vorwoche schickt Frankreich Gas nach Deutschland, damit dort Strom für Frankreich produziert wird. Die erhöhte Nachfrage treibt die Preise.

"Wenn Maßnahmen zur Senkung der Energiepreise überlegt werden, ist die Situation jetzt noch komplexer", weist Karina Knaus von der Österreichischen Energieagentur hin. "Einfach zu sagen, entkoppeln wir den Strom- vom Gaspreis und alles wird gut, spielt es wohl nicht mehr." Daten zeigten seit einiger Zeit "eine gewisse Entkoppelung der Strom- und Gaspreise, aber in die falsche Richtung – nach oben".

Gemeinsame Gasbeschaffung

Das hieße im Umkehrschluss: noch rascherer Ausbau von Stromerzeugungskapazitäten, insbesondere von Windkraft und Solar, aber auch der Netze. Trotz erhöhter Anstrengungen, Strom einzusparen, zeigen alle Prognosen zum künftigen Strombedarf nach oben.

Einer der wenigen konkreten Punkte, die sich im Brüsseler Kommissionsvorschlag zur Dämpfung der Energiepreise finden, ist eine Gemeinschaftsbeschaffung von Gas. Durch die geballte Einkaufsmacht der EU-27 soll die Befüllung der Gasspeicher nächstes Jahr zu besseren Konditionen möglich sein als heuer. Insbesondere Österreich hat sich als Binnenland dafür starkgemacht und ist damit auch zufrieden.

(Günther Strobl, 20.10.2022)