Möchte man sich in eine wirklich abgelegene Bergregion zurückziehen, ist Humla ein heißer Tipp. Die Region im Nordwesten Nepals ist der letzte der 77 Verwaltungsbezirke des Landes, der noch nicht über das Straßennetz gut erreichbar ist. Man kommt zu Fuß hierher oder per Kleinflugzeug, das in der Hauptstadt Simikot landen kann. Humla bietet eine enorme Vielfalt an Landschaften – von relativ niedrig gelegenen Tälern mit subtropischem Klima bis zu Gipfeln, die weit über die 7000er-Marke hinausragen. Als Grenzland zu Tibet hat die Region Anteil am tibetischen Hochplateau und viele kulturelle Gemeinsamkeiten mit dem von China annektierten Nachbarn. Gleichzeitig ist Humla bitterarm. Nur ein geringer Anteil der bergigen Landschaft eignet sich für den Ackerbau. Die hier vorherrschende Subsistenzwirtschaft garantiert keine Nahrungsmittelsicherheit, und viele Menschen können kaum lesen oder schreiben.

Humla ist auch die Heimat von Rinzin Phunjok Lama. Der 1991 geborene Nepalese hat in den Bergen, in denen er aufgewachsen ist, eine einzigartige Position inne – und das ist keine Übertreibung. Er ist der erste Einwohner der Region, der Ökologie studiert hat. "Das macht mich automatisch auch zum ersten Naturschützer von Humla", betont der Nepalese. Und diese Aufgabe nimmt er sehr ernst. Mit seiner NGO Third Pole Conservancy arbeitet er an der systematischen Erfassung der regionalen Biodiversität, die trotz aller Abgeschiedenheit zunehmend unter Druck gerät.

Rinzin Phunjok Lama ist Teil einer neuen Generation von Naturschützern in Nepal. 2021 erhielt der Ökologe einen Preis für Unternehmertum der Uhrenmarke Rolex.
Foto: Rolex/Marc Latzel

Er bezieht dabei die lokale Bevölkerung mit ein, sorgt für Bildungsmaßnahmen und arbeitet gleichzeitig an der wirtschaftlichen Entwicklung seiner Heimat. Dabei besteht auch sein Team ausschließlich aus Menschen, die aus der Region kommen. Lange Zeit blieb die von Spendern und Förderern getragene Arbeit auf einen kleineren Rahmen beschränkt. Ein Preis für Unternehmungsgeist der Uhrenmarke Rolex, den der Ökologe 2021 erhielt, sorgte nicht nur für internationale Aufmerksamkeit, sondern brachte auch die Mittel, um die Aktivitäten nun in einem größeren Stil auszurollen.

Neue Generation

Eigentlich wollte Rinzin Phunjok Lama Forstwirt werden. Das Stipendium, das ihm das Studium ermöglichte, stammte aus einem besonderen Programm. Es wurde nach einem tragischen Unglück geschaffen: 2006 stürzte ein Hubschrauber ab, 24 Menschen kamen ums Leben. Fast alle hatten mit Naturschutz zu tun – Aktivisten, Beamte, sogar der Minister für Wald- und Bodenschutz waren dabei.

Während der ersten Studienjahre entdeckte Rinzin Lama die Wildtierbiologie für sich. Die Aussicht, als Forstwirt fern der Heimat arbeiten zu müssen, schreckte ihn ab. "Ich komme aus den Bergen. In dem Umfeld, das ich gut kenne, kann ich besser arbeiten und mehr erreichen", sagt der Forscher, der zum herausragenden Vertreter einer neuen Generation von Naturschützern in Nepal wurde.

Humla hat eine reichhaltige, wenig erforschte Tierwelt. Eine besonders beeindruckende Spezies ist der Schneeleopard – er ist auch im lokalen buddhistischen Glauben tief verankert. Rizin Lama ist von dem Tier, das er schon in seinen Jugendtagen in der Wildnis beobachtete, fasziniert. Während seines Bachelorstudiums konnte er das Geld für ein eigenes Schneeleopardenprojekt noch nicht auftreiben. Doch das Forschungsansinnen war nur aufgeschoben. Er wurde für ein Masterstudium für Internationalen Naturschutz akzeptiert, das ihn an die Universität Göttingen in Deutschland und an die Lincoln University in Neuseeland führte. Schließlich konnte er mit dem führenden Schneeleopardenforscher Rodney Jackson arbeiten, der zu seinem Mentor wurde.

Biodiversität von Humla

Heute stehen aber längst nicht nur Schneeleoparden in Rinzin Lamas Forschungsfokus. "Es geht darum, ein grundlegendes Biodiversitätsprofil von Humla zu erarbeiten", betont er. Monitoringmaßnahmen sollen einen Überblick über den Gefährdungsstatus verschiedener Spezies geben. Der Klimawandel mit den einhergehenden Veränderungen der Niederschlagsmuster ist hier etwa längst zu bemerken.

Auf 4000 Meter Höhe erforscht der Ökologe Rinzin Phunjok Lama gemeinsam mit einem Kollegen Nepals Tierwelt.
Foto: Rolex/Marc Latzel

Anfang November 2022 kommt Rinzin Lama gerade von Feldforschungen zurück. Kamerafallen wurden aufgestellt, um den Schneeleoparden auf die Spur zu kommen. Gleichzeitig arbeiteten die Forschenden an Zählungen seines liebsten Beutetiers, dem Blauschaf. Naturgemäß sind bei den Expeditionen aber nicht nur wissenschaftliche Herausforderungen zu meistern: "Frühere Feldforschungen waren extrem zeitaufwendig. Logistik und Koordination sind die größten Herausforderungen, es gibt keine Kommunikation im Feld", schildert Rinzin Lama. "Nun verzichten wir aber auf die schwere Expeditionsausrüstung. Wir bauen keine Lager mehr auf, sondern reisen mit leichtem Campingequipment wie Schlafsäcken und Gaskocher. Wir übernachten in Höhlen. Das ist weniger bequem, aber wir kommen schneller voran."

Die Menschen vor Ort

Einer der wichtigsten Grundsätze von Rinzin Lamas Engagement ist die Arbeit mit den Menschen vor Ort. Einerseits macht er sie zu Citizen-Scientists. Er und sein Team zapfen ihr Wissen und ihre Beobachtungen an, um mehr über die Tiervorkommen Humlas herauszufinden. Andererseits bringt er ihnen den Naturschutzgedanken näher. Er hilft ihnen, eine bessere Koexistenz mit den Wildtieren aufzubauen. Seine NGO stattet die Kleinbauern etwa mit Gehegen und Abschreckungsvorrichtungen aus, die die Nutztiere vor Wolf, Schakal und Leopard schützen. Die Jagd nach Wildtieren soll so dezimiert werden. Die gemeinsame Kultur, die gemeinsame Religion sei bei der Arbeit mit den Bewohnern Humlas eine große Hilfe, betont Rinzin Lama.

Diesen Bewohnern möchte er auch bei der Absicherung ihrer Lebensgrundlage helfen und ihnen eine bessere wirtschaftliche Perspektive bieten. Ein Heritage-Trail soll künftig Wildnis und lokale Kulturen für Ökotouristen erschließbar machen. Kunsthandwerk und andere unternehmerische Tätigkeiten bringen neues Einkommen. Die Wirkung der Arbeit soll aber letztendlich nicht auf Humla beschränkt bleiben. Rinzin Lama: "Wir wollen beim Naturmonitoring und bei der Arbeit mit der Community eine Methodik entwickeln, die in allen Berggegenden Nepals angewandt werden kann." (Alois Pumhösel, 4.11.2022)