Stirbt ein geliebter Mensch, ist das meist ein großer Schock. Wie man damit umgeht, dafür gibt es aber kein allgemeingültiges Rezept. Trauern ist ein Prozess, der in unterschiedlichen Wellen passiert – und bei jedem Menschen anders verläuft.

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Es gibt Tode, die kündigen sich über Monate, wenn nicht gar Jahre an. Andere ereignen sich vollkommen unerwartet. Grund dafür kann eine Herz-Kreislauf-Erkrankung sein oder Krebs. Aber auch ein Unfall oder eine Corona-Infektion. Covid-19 hat die für die Hinterbliebenen ohnehin schon schwierige Situation zusätzlich verschärft: Gerade zu Anfang der Pandemie passierte es immer wieder, dass sich Angehörige wegen Hygieneregeln und Quarantäne nicht von Sterbenden verabschieden konnten. Mittlerweile hat sich die Situation zum Glück entspannt. Doch eine Frage bleibt: Wie verarbeitet man den Verlust eines geliebten Menschen – besonders, wenn man keinen Abschied nehmen konnte? Wie kann das Leben danach weitergehen?

"Stirbt ein Mensch, ist das für die Hinterbliebenen erst einmal ein Schock", sagt Hansjörg Znoj, Psychologe und Trauerforscher von der Universität Bern. "Kündigt sich der Tod etwa durch eine lange Erkrankung an, bietet das Angehörigen zumindest die Möglichkeit, sich auf ihr weiteres Leben vorzubereiten." Bei einem Schlaganfall oder einem Unfall sei das anders: Hier schmerze nicht nur der Verlust selbst, sondern auch die Plötzlichkeit, mit der er eintritt. "Der Alltag ändert sich von einem Tag auf den anderen", sagt Znoj, "einfach so, ohne Vorwarnung."

Tod als Teil der Realität

"Das Abschiednehmen kann Hinterbliebenen helfen, den Tod als Teil der Realität zu akzeptieren", erklärt Heidi Müller vom Trauerzentrum in Frankfurt am Main, wo man Angehörige beim Trauern begleitet. Betroffene können beim Verabschieden letzte Wünsche austauschen, noch nicht beendete Konflikte bereinigen und sich noch einmal sagen, wie wichtig sie sich sind.

Menschen, die diese Möglichkeit nicht erhalten, hätten es in der Regel schwerer, weiß Müller. Besonders, wenn sie sich kurz vor dem Tod noch gestritten haben. Das bedeute jedoch nicht, dass diese Menschen mit dem Verlust automatisch schlechter zurechtkommen: "Wie eine Person einen Verlust verarbeitet, ist von vielen Faktoren abhängig."

Was für Faktoren das sind, hat die Wissenschaft über viele Jahre untersucht. Die wichtigsten hat die Psychologin Mary-Frances O'Connor von der University of Arizona mit ihren Kollegen und Kolleginnen in einer umfassenden Untersuchung aus dem Jahr 2019 zusammengetragen. Die Art des Todes hat demnach zwar Einfluss auf die Verarbeitung. Ebenso wichtig scheint jedoch die Reaktion des sozialen Umfelds und die psychische Verfassung der Trauernden. Menschen, die vor dem Tod psychisch stabil sind und von ihnen nahestehenden Personen unterstützt werden, haben es leichter als jene, die während der Trauer niemanden zum Reden haben oder bereits vorher unter einer Depression oder anderen Erkrankung leiden. Die Zugehörigkeit zu einem Verein, einer religiösen Gemeinde oder Sportgruppe kann Trauernden ebenfalls Halt geben.

Äußere Umstände beeinflussen das Verarbeiten

Einfluss hat auch die finanzielle Situation, wie Studien zeigen. Denn Menschen, die sich während des Trauerns keine Sorgen um ihren Kontostand machen müssen, ersparen sich zum Beispiel die Sorge, wie sie die Beerdigung finanzieren. Wer viel über den Tod nachgrübelt und sich beispielsweise immer wieder fragt, ob sie den Tod hätten verhindern können, sich vielleicht gar selbst die Schuld an ihm geben, hat es O'Connor und ihrem Team zufolge zusätzlich schwer.

Viele Angehörige fühlen sich überdies schuldig, wenn sie den Toten für einen Moment vergessen, sich über etwas freuen, vielleicht sogar selbst einen Witz machen, berichtet Trauerforscherin Müller. Für die Verarbeitung sind solche Momente aber essenziell. Muss man den Verlust eines nahestehenden Menschen bewältigen, ist das nämlich anstrengend und kann mitunter mehrere Monate, manchmal sogar Jahre dauern. "Da sind positive Momente und Auszeiten wichtig", sagt Müller.

Manchen Hinterbliebenen ginge es allerdings auch schon nach ein paar Wochen wieder gut, und auch das sei vollkommen in Ordnung: "Die Dauer der Trauer und der Trauerausdruck sagen nichts darüber aus, wie nah sich zwei Personen standen."

Personen, die rückblickend mit dem Verlust eines Angehörigen gut zurechtkamen, erleben einen "resilienten Trauerverlauf". So nennt es zumindest die Wissenschaft. Damit ist nicht gemeint, dass sie nicht trauern. Nur werden sie durch den Verlust nicht vollkommen aus der Bahn geworfen, haben ihren Alltag weiterhin im Griff.

Das gelingt jedoch nicht jedem. Manche ziehen sich von Freunden und Familie zurück, brechen mitunter unvermittelt in Tränen aus und finden nicht mehr in ihr vorheriges Leben hinein. Bei ihnen höre die Trauer einfach nicht auf, erklärt Psychologe Znoj. "Anhaltende Trauerstörung" nennt das medizinische Klassifikationssystem ICD-10 dieses Phänomen.

Nicht zur Krankheit erklären

Die Diagnose ist nicht unumstritten. Kritiker und Kritikerinnen sprechen in diesem Zusammenhang von einer Medikalisierung der Trauer: Ein an sich normaler Zustand werde zur Krankheit erklärt, lautet der Vorwurf. Manche befürchten auch, dass Betroffene durch die Diagnose stigmatisiert werden und dadurch zusätzlich leiden. Wissenschaftler Znoj ist mit der Diagnose ebenfalls nicht glücklich. Er sieht es jedoch pragmatisch: "Jetzt ist die Diagnose da, jetzt müssen wir mit ihr umgehen." Der Vorteil sei, dass Personen, die unter einem Verlust stärker leiden als der Durchschnitt, nun Anspruch auf eine Psychotherapie haben. Manche Therapeutinnen und Therapeuten haben sich mittlerweile sogar auf die Behandlung von Trauer spezialisiert.

Vorerst scheint die Angst, dass die Umdeutung zur Krankheit Trauernde stigmatisiert, unbegründet. Das zeigt eine Studie der Philipps-Universität Marburg aus dem Jahr 2020 für den Raum Deutschland. Das liegt nach Auswertung der Wissenschafter und Wissenschafterinnen jedoch nicht daran, dass die Diagnose so gut angenommen wird, sondern daran, dass die Gesellschaft generell nicht mit Menschen umgehen kann, die länger als zwei Jahre trauern. Die Menschen erwarten, dass die Trauer mit der Zeit abnimmt, berichten die Studienautoren. Sei dies nicht der Fall, beginnen sie, die Betroffenen zu meiden – mit anderen Worten: zu stigmatisieren.

Fünf Phasen der Trauer?

Die Idee, dass Trauer in festen Phasen verläuft und irgendwann abgeschlossen ist, erlangte in den Siebzigerjahren an Popularität. Durch Gespräche mit Sterbenden identifizierte die amerikanisch-schweizerische Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross damals fünf Phasen, die sie für die Verarbeitung eines Verlustes als essenziell einstufte. Über die Jahre hinweg haben einige Fachkräfte und Wissenschafter die Idee der Phasen in ihrer praktischen Arbeit aufgegriffen und neu interpretiert.

Gemeinsam ist all diesen Modellen der Schock, der Hinterbliebene trifft, wenn sie von dem Tod erfahren. In dem Moment seien sie wie versteinert, können oder wollen die Nachricht nicht glauben. Nach der anfänglichen Abwehr wird der Tod zur Realität. Wut macht sich breit, mitunter kommt es auch zu Schuldzuweisungen – gegen sich selbst, weil man den Tod nicht verhindern konnte, oder gegen den Verstorbenen, der einen allein zurückgelassen hat. Am Ende steht jedoch immer die Akzeptanz: Mit dem Verlust wird Frieden geschlossen.

Das Phasenmodell wird bis heute gerne genutzt, um Trauer zu beschreiben und zu erklären. Nicht nur in Selbsthilfebüchern und Zeitschriften, sondern auch von Fachkräften, wie Trauerforscherin Müller berichtet. Das Problem: Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis, dass es diese Phasen wirklich gibt, geschweige denn braucht. So das Ergebnis einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2017 um die Psychologin Margaret Stroebe von der Universität Utrecht. In manchen Fällen könne das Modell Trauernden sogar schaden.

Jeder Mensch trauert anders

Etwa wenn es Betroffenen und ihrem Umfeld suggeriert, dass es für die Verarbeitung des Verlustes einen festen Fahrplan gibt, dass sie ihre Trauer nur aktiv durcharbeiten müssen – und dann ginge es ihnen besser. "So einfach ist das aber nicht", betont Müller. "Nur weil jemand nicht wütend ist, bedeutet das nicht, dass er oder sie den Verlust nicht an sich ranlässt und deshalb schlechter verarbeitet." Mitunter gibt es sogar gute Gründe, die Trauer erst einmal beiseitezuschieben – beispielsweise, wenn finanzielle Probleme drängen oder Eltern sich um ihr Neugeborenes kümmern müssen. "Jeder Mensch trauert anders", bestätigt Forscher Znoj.

Statt von Phasen spricht die Wissenschaft daher lieber von einem Prozess. Statt einen stringenten Weg des Trauerns zu beschreiten, pendeln Betroffene zwischen verschiedenen Stressoren. "Einerseits setzen sie sich mit den Erinnerungen, der schmerzhaften Leere und allem, was direkt mit dem Verstorbenen zu tun hat, auseinander", erklärt Trauerforscherin Müller. Andererseits sind sie mit den Anforderungen konfrontiert, die das Leben ohne den verstorbenen Menschen an sie stellt, etwa den Alltag zu organisieren oder den Unterhalt allein zu verdienen.

Betroffene schwanken daher zwischen der sogenannten verlustorientierten und wiederherstellungsorientierten Bewältigung hin und her. Forscher und Forscherinnen nennen dies Duales Prozess-Modell (DPM). Wie lange der Prozess andauert, ist individuell verschieden. Betroffene, aber auch ihr Umfeld sollten hierfür Verständnis haben. (Stella Marie Hombach, 29.10.2022)