Für die Hygienerichtlinien macht es keinen Unterschied, ob ein Covid-positiver Patient wegen Atemnot oder wegen eines Schenkelhalsbruchs im Spital ist. Das Foto wurde im November 2021 auf einer Intensivstation in Salzburg aufgenommen.

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"Mit" oder "wegen" – zwei unscheinbare Wörtchen haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren in der Debatte über die Schwere der Covid-19-Pandemie eine Kraft entfaltet, die ihresgleichen sucht. Neben der Frage über die genaue Todesursache der mittlerweile mehr als 20.000 Opfer der Pandemie allein in Österreich steht dabei im Zentrum, warum Corona-infizierte Menschen in Österreichs Krankenhäusern behandelt werden.

Seit mehr als einem Monat weist der Datenauszug des Covid-19-Register der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) aus, wie viele Corona-Infizierte in Österreichs Spitälern primär mit Covid-19-Sympomatik aufgenommen und wie viele mit der Hauptdiagnose Covid entlassen werden. Rund 25 Prozent der Corona-positiven Patientinnen und Patienten in Österreichs Spitälern sind dem Register zufolge aktuell aufgrund einer Covid-19-Symptomatik aufgenommen worden.

Aus der Stadt Wien kam rasch Kritik an diesen mutmaßlich niedrigen Prozentzahlen. Die Bundeshauptstadt selbst liefert aber keine Daten an das freiwillige Register: Derartige tagesaktuelle Zahlen brauche es für Managemententscheidungen gar nicht, sagt man im Büro des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker (SPÖ). Dem widerspricht ein Sprecher der GÖG. Forscherinnen und Forscher hätten ein solches tagesaktuelles Register schon seit langem gefordert. Und 75 von 110 rein landesfondsfinanzierten Krankenhäusern lieferten mittlerweile auch schon Daten an das Register.

Corona-Patienten in jedem Fall Zusatzbelastung

Abgesehen von der Debatte zwischen Wien und Bund erklären Ärztinnen und Ärzte aber auf Nachfrage des STANDARD, dass diese Zahlen so oder so nicht alles beantworten könnten. Es komme vielmehr auf die richtige Frage an. "Die Frage 'Wegen oder mit Corona?' ist aus meiner Sicht im Krankenhaus von untergeordneter Bedeutung", sagt Bernd Lamprecht, Vorstand der Universitätsklinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Pneumologie des Kepler-Universitätsklinikums. So oder so besteht nämlich im Krankenhaus ein deutlich erhöhter Aufwand aufgrund der notwendigen Isolierungsmaßnahmen, die gerade zum Schutz vulnerabler Patientinnen und Patienten besonders wichtig sind. "Daher bedeutet ein Patient mit einem positiven Corona-Test in jedem Fall einen erhöhten Aufwand für das Spital."

"In der klinischen Praxis ist das von geringer Bedeutung", sagt auch Ewald Wöll, ärztlicher Direktor und Leiter der Inneren Medizin am St.-Vinzenz-Krankenhaus in Zams. Sehr wohl müssen aber bei jedem positiven Patienten die aufwendigen Hygienerichtlinien beachtet werden, auch wenn man sich inzwischen damit behilft, dass Patientinnen und Patienten ohne klassische internistische Covid-Symptome, etwa mit einer Hüftfraktur, auf der chirurgischen Station bleiben und dort isoliert oder kohortiert werden. Dennoch so, Wöll: "Der Aufwand fürs Gesundheitssystem bleibt – egal ob Patienten mit oder wegen Covid aufgenommen werden."

Die Frage "Wegen oder mit Corona?" ist im Krankenhaus von untergeordneter Bedeutung, sagt der Linzer Lungenfacharzt Bernd Lamprecht.
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Entlassungsdiagnosen sind essenziell

Relevant sei die Unterscheidung vor allem für die Frage nach dem Übersetzungsverhältnis von Infektion zu schwerer Erkrankung, sagt Lamprecht. "Und das Übersetzungsverhältnis hat sich natürlich im Laufe der Pandemie durch die inzwischen verbesserte Immunität der Bevölkerung und auch ein wenig durch die Abschwächung der Omikron-Virusvariante zu unseren Gunsten verändert", sagt der Pneumologe.

Dem stimmt Elisabeth Bräutigam zu. "Wenn ich wissen will, ob man das Gesundheitssystem wegen zu vieler Covid-Lungenentzündungen akut schützen muss, bieten diese Zahlen eine Antwort", sagt die Direktorin des Ordensklinikums Linz Barmherzige Schwestern. Im Gegensatz zu den vergangenen beiden Jahren sind in ihrem Krankenhaus diese Fälle aber zurzeit keine übermäßige Belastung, die droht, den Rahmen zu sprengen.

Für sie sind die Daten des Covid-Registers schlüssig, auch in ihrem Haus sind es aktuell rund ein Viertel der Covid-positiven Patientinnen und Patienten, die mit klassischen Covid-bezogenen Symptomen wie Lungenentzündung, Atemnot oder hohem Fieber eingeliefert werden. Die Hauptdiagnose könne sich von Aufnahme zur Entlassung mehrmals ändern, erklärt Bräutigam, das sei auch ein ganz normaler Vorgang.

Die Aufnahmediagnose sei sowieso in der Regel nur als Information für Versicherungsträger wichtig, nur im Falle von Corona-Positiven wird die Aufnahmediagnose auch an öffentliche Stellen weitergeleitet. Essenziell seien die Entlassungsdiagnosen, von denen laut Covid-Register aktuell etwa knapp 40 Prozent Covid als Hauptgrund für den stationären Aufenthalt bei den positiv getesteten Patientinnen und Patienten bezeichnen. Eine Änderung der Belagszahlen spiegelt sich aber so oder so naturgemäß zeitverzögert nach der Aufnahme wider. Auch hier gehe aber seit der Dominanz der Omikron-Variante bei den Hauptdiagnosen Covid eine Tendenz nach unten, wie Florian Trauner von der GÖG gegenüber dem STANDARD sagt: "Vermutlich werden die Hauptdiagnosen Covid bei den Entlassungen in nächster Zeit auf dem derzeitigen Niveau bleiben."

Hauptdiagnosen oft ein "akademischer Streit"

Oft ist es aber schon zu Beginn gar nicht so leicht, eine klare Hauptdiagnose zu finden beziehungsweise sich auf eine Diagnose festzulegen, die primär die Spitalsbehandlung erforderlich macht. Lungenfacharzt Lamprecht nennt das Beispiel einer 85-jährigen Patientin, die eine Corona-Infektion erleidet, Fieber und Kreislaufprobleme bekommt und infolgedessen stürzt und sich verletzt. "Jetzt ist sie natürlich eigentlich wegen ihrer Sturzverletzungen hier, aber man darf sich fragen, ob sie ohne Virusinfekt, der dann zu Fieber und Kreislaufproblemen geführt hat, überhaupt gestürzt wäre."

Auch in Deutschland wird die Frage "Mit oder wegen Covid" aktuell diskutiert, Cihan Çelik, Sektionsleiter Pneumologie am Klinikum Darmstadt, meldete sich auf Twitter zu Wort und wurde auch von der "Zeit" befragt.

Oder der 60-jährige Patient mit der chronischen Lungenerkrankung COPD, der sich mit Corona infiziert, wodurch sich die COPD akut verschlechtert. "Ursächlich ist natürlich die Coronavirus-Infektion. Ist der jetzt mit oder wegen da?", fragt Lamprecht. In vielen Fällen würde in so einem Fall eine COPD-Exazerbation, also eine plötzliche Verschlechterung der COPD, als Hauptdiagnose vermerkt werden, die durch verschiedene Infekte ausgelöst werden kann. "Ich bin überzeugt, dass das nicht allenorts das gleiche Label bekommen würde", so Lamprecht, der die Diskussion darum als "teilweise akademischen Streit" bezeichnet, der nicht angetan ist, die Covid-Gesamtlage im Land zu bewerten.

Bräutigam: Maskenpflicht nicht für Spitäler, sondern zum Schutz Dritter

Das unterstreicht auch Bräutigam. Sie betont, dass die Zahl an Personen mit Hauptdiagnose im Spital keine Aussage über Auswirkungen des Coronavirus auf den Gesundheitszustand in der Gesamtbevölkerung zulässt. Dafür seien es nicht die richtigen Daten. Junge Menschen, die nie im Krankenhaus waren und nun an Long Covid leiden, oder Diabetes-Patienten, deren Werte sich durch eine Corona-Infektion so sehr verschlechtert haben, dass sie in der Ambulanz behandelt werden müssen, tauchen in dieser Statistik nicht auf.

Bräutigam betont die Gruppe der besonders Vulnerablen. Die Klinik der Barmherzigen Schwestern behandelt viele Krebspatienten und organtransplantierte Patientinnen, für die Covid nach wie vor lebensbedrohlich sein kann. Auch in Bezug auf Maßnahmen spricht die Klinikdirektorin diesen Aspekt an. Die Situation, die sie in ihrem Spital sieht, rechtfertige etwa aktuell keine Maskenpflicht. Diese müsse man aber im Kontext vom Schutz Dritter diskutieren. "Man muss der Bevölkerung klarmachen, dass man andere Personen mit solchen Maßnahmen schützt", so Bräutigam.

Und nicht zuletzt: Beim sowieso schon bestehenden Personalmangel kommen Corona-Fälle im Krankenhaus verschärfend hinzu. Denn auch das Personal wird so häufiger krank. Und kann dann mitunter wegen Corona keine Patienten mehr versorgen – egal mit welcher Hauptdiagnose diese eingeliefert werden. (Levin Wotke, 1.11.2022)